Forchheimer Adressen auf rechter Feindesliste: So gefährlich ist die Hetze

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Im Netz wird eine Fake-Liste "Mitglieder der Antifa" verbreitet, auf der auch Namen und Adressen von Forchheimer Bürgerinnen und Bürgern stehen. Foto: Ronald Heck
Im Netz wird eine Fake-Liste "Mitglieder der Antifa" verbreitet, auf der auch Namen und Adressen von Forchheimer Bürgerinnen und Bürgern stehen. Foto: Ronald Heck

Im Internet kursiert ein Dokument, das angebliche "Antifa-Mitglieder" enthüllt - darunter neun Adressen in der Königsstadt. Der FT hat die Hintergründe recherchiert und mit einem Forchheimer gesprochen, der im Visier der rechten Hetze gelandet ist.

Als er er in einem Chatverlauf plötzlich auf eine ominöse Liste stößt, wird FT-Leser Max Bauer* sofort hellhörig - und misstrauisch. Ein Nutzer hatte ein Dokument mit dem Titel "Mitglieder der Antifa" über den Messengerdienst Telegram geteilt. Im Schutze der Anonymität behauptet der Nutzer, "die amerikanische Polizeibehörde" habe einen Tag vorher eine Antifa-Liste für Deutschland enthüllt.

Ungeheuerliche Liste

Bauer kann kaum glauben, was er dort liest: Rund 25 000 Namen samt Adressen sind aufgelistet. In der langen Liste stehen auch neun Namen mit Anschriften in Forchheim. "Ich denke schon, dass alleine die Öffentlichmachung eine Ungeheuerlichkeit ist", schreibt er an die FT-Lokalredaktion Forchheim.

"Was aber für mich das Schlimmste ist, dass die genannten Personen - eventuell sogar in Unkenntnis - der Willkür Rechten hilflos ausgeliefert sind", sagt Bauer und wünscht sich Aufklärung: Wie viel Wahrheit steckt hinter der ominösen Antifa-Liste? Und wie gefährdet sind die aufgelisteten Forchheimer?

Der FT versucht die angeblichen Antifa-Mitglieder aus der Königsstadt zu kontaktieren und kann einen der gelisteten Haushalte telefonisch erreichen. Es zeigt sich: Die Forchheimer Namen und Adressen gibt es wirklich.

Dokument ist eine Fälschung

Aber: Die angebliche Antifa-Liste ist eindeutig eine Fälschung. "Nicht einmal ansatzweise hat irgendjemand an dieser Adresse irgendetwas mit der Antifa zu tun", sagt Klaus Meier*, der allein von der Anfrage hörbar überrascht ist. Er selbst ist Beamter. Meier sei zwar politisch interessiert, aber in keiner Weise orientiere er sich in eine extreme politische Richtung - weder links noch rechts. Die Forchheimer Anschrift ist die seiner Eltern, Maier wohnt selbst seit Jahren gar nicht mehr in Forchheim. Sein Vater und seine Mutter wissen nicht einmal, was der Begriff Antifa überhaupt bedeutet.

Fake wird wieder vermehrt geteilt

Seit Jahren kursieren online als "Todes-" oder "Feindeslisten" bekannte Dokumente. Politisch extreme Gruppen stellen Namen und Anschriften ihrer politischen Gegner ins Netz. Sie wollen den Gegner an den Pranger stellen, einschüchtern oder andere aufhetzen.

Bereits 2017 tauchte in den sozialen Netzwerken eine Liste mit 25 000 angeblichen Antifa-Mitgliedern auf, auch der Verein Mimikama ("Verein mit dem Ziel der Aufklärung über Internetmissbrauch") deckte die Fälschung auf. Sie basiert auf Kundendaten, die rechtsextreme Hacker von einem Punkrock-Versandhandel gestohlen hatten.

Diese alte "Feindesliste" scheint aktuell wieder vermehrt online geteilt zu werden - wohl auch, weil der US-Präsident Donald Trump "die Antifa" für die Unruhen in den Vereinigten Staaten verantwortlich macht.

Polizei: Erst bei erhöhter Gefahr

Wie schätzt die oberfränkische Polizei die Gefahr der im Netz verbreiteten Fake-Liste ein? In dem Dokument stehen unter anderem auch 27 Bamberger und 15 Bayreuther Adressen. "Das Phänomen der im Internet kursierenden sogenannten ,Feindeslisten' ist bei der oberfränkischen Polizei bekannt", sagt Alexander Czech, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Oberfranken.

Die Polizei werde allerdings selbst nur dann aktiv, wenn sie "gefahrenerhöhende Aspekte" bei gelisteten Personen feststellt. "Wenn bislang nicht über eine Listung informiert wurde, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass nach Kenntnis der bayerischen Polizei keine Gefährdung angenommen wird", erläutert Czech.

Jeder Bürger und jede Bürgerin könne sich aber an die Polizei wenden, um zu erfahren, ob er auf einer der "Feindeslisten" steht. Dafür sollten die Betroffenen persönlich bei einer Polizeidienststelle vorbeikommen und einen Ausweis zu Überprüfung mitbringen.

Klaus Meier weiß, dass es diese "Feindeslisten" gibt. Angst um sich hat er wegen der Erwähnung nicht. Vielmehr sorgt er sich, um Personen, die in der Öffentlichkeit aktiv gegen Extremismus vorgehen und so eine potenzielle Zielscheibe werden könnten. Trotzdem hatte die Familie aus Forchheim keinen Schimmer, dass ihr Name samt richtiger Adresse auf solch einer Liste steht, die noch immer regelmäßig in anonymen Chats herumgeschickt wird.

*Richtige Namen sind der Redaktion bekannt.

Kommentar: Findet Freunde statt Feinde im Netz!

von FT-Reporter Ronald Heck

Ein Fingertipp auf dem Smartphone, ein Klick mit der Computermaus. In wenigen Sekunden landet die Falschinformation auf dem Bildschirm eines anderen. Vielen scheint gar nicht bewusst, dass sie sich im Handumdrehen an einer potenziell gefährlichen Hetzjagd beteiligen. Jeder sollte wissen: Wer "Feindeslisten" oder Hasstiraden gegen andere online teilt, kann sich unter Umständen auch juristisch strafbar machen. Vor allem zeigt der Fall der Forchheimer Familie, die ohne ihr Wissen und Zutun zum "Feind" von Extremisten gemacht wurde, aber:

Gerade in unruhigen und polarisierten Zeiten (eines Donald Trump) braucht es Menschen, die sich gegenüber Fremden wie Freunde verhalten. So wie es der aufmerksame FT-Leser getan hat: Er war misstrauisch angesichts einfacher Feindbilder. Er wollte Aufklärung statt aufrührerischen Hetze; echte Recherche statt fragwürdig anonymer Quellen. Und er sorgte sich um die Forchheimer, die durch den Fake gefährdet sein könnten.

Genauso vorbildlich wie der überraschte Ex-Forchheimer, der plötzlich auf einer Feindesliste landete. Er sorgt sich vor allem um diejenigen - zum Beispiel engagierte Politiker oder Journalisten - die tatsächlich tagtäglich als vermeintliche "Feinde" im Visier von Extremisten stehen. Gerade im Netz, wo mitunter verbitterte Fehden ausgetragen werden, ist es gut zu wissen, dass es solche Freunde gibt.

Glossar: Das steckt hinter Antifa, Telegram und (rechts)extremen Chatgruppen

Antifa Heutzutage werden mit dem Begriff Antifa meist autonome Strömungen in der linken bis linksextremen Szene bezeichnet. Die Antifa ist keine Organisation. Die Kurzform kommt von "Antifaschistische Aktion". Rechte sehen "die Antifa" als ein Feindbild an. Antifaschismus ist eine Ideologie sowie gesellschaftliche Bewegungen, die sich als Gegner des Faschismus begreifen. Antifaschistische Strömungen gibt es seit dem Aufkommen des Faschismus in den 20er Jahren.

Telegram Mit Telegram können Nutzer Texte, Fotos, Videos, Audios oder Dokumente auf ihrem Smartphone, Computer oder Tablet austauschen. Telegram gilt als verschlüsselt und sicher, die eigene Telefonnummer kann verborgen werden. Viele Nutzer geben sich Pseudonyme und wollen anonym bleiben. 200 Millionen Nutzer hat Telegram weltweit.

Gruppenchats Auf dem verschlüsselten Dienst kann jeder Gruppen und Kanäle erstellen. Inhalte werden kaum kontrolliert oder gelöscht. Der Zugang zu geschlossenen Gruppen ist schwierig. Deshalb ist Telegram auch unter extremistischen Gruppen wie IS-Anhängern beliebt. Zuletzt nutzen vermehrt auch Rechtsextreme Telegram.