Fensterbrettla

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Der junge Mann und seine Freundin hatten es sich zur Gewohnheit gemacht, das kleine Lokal recht spät am Abend zu besuchen.

Und wie es für sie selbst zum Ritual geworden, muss dies auch für den Wirt gegolten haben.
"Die späten Gäste" nannte er sie, und darin lag neben Spott auch eine Prise Irritation. Warum der junge Mann und seine Freundin denn immer so spät kämen? Ob der junge Mann wohl Arzt sei mit den entsprechend langen Arbeitstagen? So wandte er sich eines Tage an seine beiden Gäste. Nein, Arzt sei er nicht, sagte der junge Mann. Leider. Er sagte das etwas amüsiert, aber auch geschmeichelt. Die überlegene Art, die feingliedrigen Finger - so abwegig schien ihm die Vermutung des Wirts auf einmal gar nicht zu sein.
Ganz anders die Freundin des jungen Manns. "Was für ein Chauvinist!", schimpfte sie. Warum soll ausgerechnet der junge Mann Arzt sein, nicht aber sie? Verabscheuungswürdige Rückschrittlichkeit in Geschlechterfrage, lautete ihre Diagnose für den Wirt.
Sie fühlte sich zum Anhängsel degradiert.
Der junge Mann hatte aber keine Lust auf eine Diskussion, sondern freute sich auf sein spätes Essen. Er half sich mit Beschwichtigungen. Wahrscheinlich habe schlicht sein weißes Hemd den Wirt auf die falsche Fährte gelockt.
Seinen Worten glaubte er aber selber nicht ganz.
Derart empfänglich für die Schmeicheleien des Wirts gewesen zu sein, war ihm jetzt sogar ein wenig peinlich.