Ein "Umsturz in aller Ruhe"

3 Min
Maschinengewehrstellung im Münchner Hauptbahnhof während der Räterepublik. In Forchheim jedoch blieben bewaffnete Auseinandersetzungen aus. Foto: Hoffmann, Archiv
Maschinengewehrstellung im Münchner Hauptbahnhof während der Räterepublik. In Forchheim jedoch blieben bewaffnete Auseinandersetzungen aus. Foto: Hoffmann, Archiv
 
Gemeinsamer Aufruf von Bürgermeister August Reinhard und dem ASB-Rat im Forchheimer Tagblatt vom 18. November 1918 (links); Titelblatt des Forchheimer Tagblatts vom 8. November 1918 (unten) Repros: Franze
Gemeinsamer Aufruf von Bürgermeister August Reinhard und dem ASB-Rat im Forchheimer Tagblatt vom 18. November 1918 (links); Titelblatt des Forchheimer Tagblatts vom 8. November 1918 (unten) Repros: Franze
 

Als vor 100 Jahren die Monarchie gestürzt und die Räterepublik ausgerufen wurde, nahm man dies im Raum Forchheim eher beiläufig zur Kenntnis. Von Unruhen wie etwa in München konnte hier nicht die Rede sein.

Vom Sturz der Monarchie und von der Ausrufung der Republik in München am 7. November 1918 erfuhren vor 100 Jahren die Leser des Forchheimer Tagblatts bereits am Freitag, 8. November. Auf der Titelseite hieß es, dass es nach einer Massenversammlung in der Landeshauptstadt "zu ernsten Unruhen" gekommen sei und sich danach "ein Rat der Arbeiter, Soldaten und Bauern! gebildet habe, "zu dessen Vorsitzenden Kurt Eisner ernannt" worden sei. Und weiter:

"Eine Volksregierung, die von dem Vertrauen der Massen getragen wird, soll unverzüglich eingesetzt werden. Der Rat wird strengste Ordnung sichern. ... Die Soldaten werden durch Soldatenräte sich selbst regieren. ... Alle Beamten bleiben in ihren Stellungen. Die Bauern verbürgen für die Versorgung der Städte. Jedes Menschenleben soll heilig sein."

In Forchheim kam der Anstoß zum Anschluss an die "Volksregierung" nicht aus der einheimischen Bevölkerung, sondern vom hier stationierten Ersatzbataillon des 6. Bayerischen-Infanterieregiments. Es hatte am Vormittag des 9. November nach Vorgabe zweier Werber aus Erlangen und Nürnberg den Gefreiten Mayer zum Vorsitzenden seines Soldatenrates gewählt.

Mayer und die beiden auswärtigen Räte - der Erlanger Feldwebelleutnant Hans Weigl und der Nürnberger Arbeiterrat Albrecht - stellten sich anschließend bei Bürgermeister August Reinhard (1882-1955) im Rathaus als Vertreter der revolutionären Räte vor. Nach Ausrufung der Republik liege nun "die gesamte Zivil- und Militärgewalt ... in der Hand des Arbeiter- und Soldatenrates. Man erwarte von der Stadtverwaltung, dass sie ihre Amtsgeschäfte unter der Aufsicht des Soldaten- und Arbeiterrates ruhig und ungehindert weiterführe. Für Ruhe und Ordnung sorge das hiesige Militär.

Aufruf mit Unwahrheiten

Bürgermeister Reinhard fügte sich der Situation, ohne sich aber politisch festzulegen. Selbstverständlich werde er "im Interesse der Stadt die Geschäfte weiter führen", da es zum "jetzigen Zeitpunkt die Pflicht aller sei, vereint zum Wohle und Wiederaufbau des Vaterlandes zusammenzuarbeiten.

In der Stadt verbreiteten die Aufständischen danach folgenden Aufruf:

"Gleich den Städten Nürnberg, Fürth und Erlangen hat sich heute Nacht auch Forchheim der Republik angeschlossen. Es konstituierte sich ein provisorischer Arbeiter- und Soldatenrat im Sitzungssaale des Rathauses. Sämtliche Stadt- und Polizeibehörden haben sich der Sache willig angeschlossen. Die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung ist unbedingte Notwendigkeit. Die Geschäfte, Fabriken und amtliche Dienststellen arbeiten unverändert weiter. Der provisorische Arbeiter- und Soldatenrat. Weigl. Albrecht."

Der Aufruf war eine Kopie des Erlanger Wortlauts, enthielt aber Unwahrheiten. Weder hatte sich in Forchheim ein Arbeiterrat konstituiert, noch die Behörden sich willig der Revolution angeschlossen. Erst am darauf folgenden Tag, Sonntag, 10. November, kam es vor dem Rathaus unter Leitung von Max Ludewig (1863-1958) von den Mehrheitssozialdemokraten (MSPD) zu einer großen Versammlung, die aus ihrer Mitte aber keine Räte wählte, sondern erst für Dienstag, 12. November, "alle männlichen Einwohner von Forchheim und Umgebung vom 21. Lebensjahre ab zur Wahl eines Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrates abends 6 Uhr" einlud.

Tags darauf wählten dann nicht nur Arbeiter, Soldaten und Bauern, sondern "alle männlichen Einwohner von Forchheim und Umgebung" einen örtlichen "Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrat". Das unterscheidet die Forchheimer Vorgänge von den in anderen Städten. Übernahmen dort revolutionär aus Gewerkschaft und Sozialdemokraten gebildete Räte die politische Macht, konstituierte sich hier durch eine öffentliche und allgemeine Wahl ein Gremium, das die christliche Arbeiterbewegung mit einbezog. Die im Rathaus gewählten zwölf Räte setzen sich zusammen aus sieben von der sozialistischen Seite, zwei von der christlichen Seite und drei Bauernräten.

Schwerwiegende politische Entscheidungen hat der Forchheimer ASB-Rat nicht getroffen. Seine Aufgabe wäre gewesen - so wie es der Rat der Volksbeauftragten und des Vollzugsrates in Berlin am 22. November 1918 vereinbarten, die Errungenschaften der Revolution zu behaupten und auszubauen sowie die Gegenrevolution zu verhindern. Davon konnte in Forchheim nicht die Rede sein. Der Magistrat tagte kontinuierlich weiter - ohne von dem neuen Gremium Druck zu bekommen.

Für Ruhe und Ordnung

Nicht zu Unrecht teilte Bürgermeister Reinhard am 16. November in seinem Wochenbericht an die Regierung in Bayreuth mit: "Der Umsturz vollzog sich dahier in aller Ruhe. Am letzten Sonntag Vormittag [10.11.] fand dahier auf dem Rathausplatz eine sehr wenig besuchte Volksversammlung statt. Unruhen oder Störungen irgend welcher Art ergaben sich weder bei dieser Gelegenheit noch auch seit dieser Zeit. Die städtischen Kollegien und die gesamte Bürgerschaft stellt sich auf den Boden der gegebenen Verhältnisse und ist sich ihrer Pflicht vollauf bewusst, alles dazu beitragen zu lassen, um die Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten und die geordnete Fortentwicklung der Dinge zu erleichtern." Den ASB-Rat hielt er nicht einmal für erwähnenswert.

Das sah auch der Vorstand des Bezirksamts Forchheim, Josef Völker, so, der sonst sehr detaillierte Berichte nach Bayreuth lieferte und seine eigene Meinung meist in Volkes Stimme kleidete. Kein Wort vom Forchheimer ASB-Rat, größere Bedeutung maß er der Beobachtung zu, "daß in der Nacht vom letztverflossenen Samstag auf Sonntag [9./10.11.] junge Burschen aus Nürnberg in der Stadt Gräfenberg johlend und schreiend Hochrufe auf Freiheit und Republik ausbrachten." Eine Woche zuvor hatte er geschrieben: "Allein wenn auch früher schon von Unzufriedenen mit dem Worte Revolution gespielt wurde, glaube ich doch, daß die Bevölkerung den Umsturz, wie er in einer Reihe von Städten unternommen wurde, nicht billigt und insbesondere die baldige Wiederherstellung der gestörten Ordnung in der Bayer. Hauptstadt aufrichtig wünscht."

"Teilweise ganz teilnahmslos"

Von einer Revolution war auch in Ebermannstadt nichts zu spüren. Nach den Zeitungsmeldungen gab es in Amtsbezirk nur in Hollfeld einen ASB-Rat und in Aufseß einen Arbeiter- und Bauernrat. Große Aufregung scheinten beide nicht hervorgerufen zu haben. "Die ländliche Bevölkerung steht der Umwälzung teilweise ganz teilnahmslos gegenüber", fasste der Vorstand des Bezirksamts Kulmbach die Situation Mitte November 1918 in der Fränkischen Schweiz zusammen. "Im ganzen Amtsbezirke kam es nirgends zu Unruhen oder Ausschreitungen."