Die Sammlung Dehn, seit Jahrzehnten Teil der Universität Erlangen-Nürnberg, wirft Fragen über ihre Vergangenheit während der NS-Zeit auf. Ein Forschungsprojekt offenbart bedeutsame Aspekte dieser antiken Kunstgegenstände.
Auf den ersten Blick erzählen die Tonscherben der „Sammlung Dehn“, die in der Antikensammlung des Instituts für Klassische Archäologie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) aufbewahrt werden, Geschichten aus der Antike – von Alltag, Werten, Ritualen und Kunst. Das berichtet die FAU in einer Pressemitteilung. Doch bei genauerem Hinsehen offenbart sich eine zweite, düstere Geschichte: nämlich davon, wie die Fragmente während der NS-Zeit in die Sammlung kamen. Dieser Teil der Vergangenheit der Scherben steht im Mittelpunkt eines jetzt abgeschlossenen Forschungsprojekts.
Als der Archäologe Dr. Georg Gerleigner 2019 im Magazin der Antikensammlung des Instituts für Klassische Archäologie der FAU Objekte erforscht, fallen ihm etliche etwa 2500 Jahre alte Keramikfragmente auf, die aus einer in der Forschung bislang unbekannten Münchner Privatsammlung „Dehn“ stammen. Angekauft wurden diese laut Inventarunterlagen im Jahr 1939 – einer Zeit, in der viele Kunstobjekte unter fragwürdigen Umständen den Besitz gewechselt haben.
Das forscherische Interesse Georg Gerleigners ist geweckt. Er beginnt, die Herkunft der Objekte zu prüfen und eventuelle problematische Hintergründe zu beleuchten. Erste Nachforschungen bestätigen seinen Verdacht: Die Stücke stammen letztlich nicht, wie in der Dokumentation vermerkt, von Wiltrud Dehn oder aus dem Nachlass ihres Mannes. Der Sammler Georg Dehn selbst – nach den rassistischen Kriterien nationalsozialistischer Ideologie ein „Nicht-Arier“ – veräußerte die Stücke.
Seine Frau trat nur formell als Verkäuferin auf, wohl weil das Eigentum der Sammlung auf sie (nach den Kriterien der Nationalsozialisten eine „Arierin“) übertragen worden war. „Die ermittelten Umstände ließen schnell darauf schließen, dass Georg Dehn die Sammlung verkaufte, weil er vor der Verfolgung durch das NS-Regime aus dem Land fliehen musste“, erklärt Georg Gerleigner. Ein halbes Jahr nach dem Verkauf rettete sich die Familie nach Ecuador.
Der Käufer der Sammlung war Georg Lippold, der damalige Professor für Klassische Archäologie an der Erlanger Universität. Er kannte Georg Dehn aus der gemeinsamen Zeit an der Universität München vor dem Ersten Weltkrieg. Lippold erwarb einige Stücke für die Antikensammlung, der er vorstand, andere privat, die er jedoch wenig später der Antikensammlung weiterveräußerte.
„Die Unterlagen zeigen, dass Lippold die privat gekauften Objekte ohne Gewinn, sogar zu einem etwas niedrigeren Preis, an die Antikensammlung verkauft hatte, was weiter die Vermutung nährt, dass er sich nicht persönlich bereichern wollte“, sagt Georg Gerleigner. „Es liegt auch nahe, dass Georg Dehn in seinem Bekannten oder Freund Lippold grundsätzlich einen wohlwollenden Käufer hatte, von dem er sich auch später nicht übervorteilt fühlte, trotz der nicht besonders hoch scheinenden Verkaufspreise.“
Georg Gerleigners Forschung zeigt auch: Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Sammlung nicht Teil eines Wiedergutmachungsverfahrens. Mit den Nachfahren Georg und Wiltrud Dehns hatte er schon früh Kontakt aufgenommen und sich intensiv ausgetauscht. „Niemand in der Familie wusste über die Sammlung Bescheid. Im Mai 2022 waren der Sohn der Dehns und eine der beiden Töchter des verstorbenen älteren Sohns zu Gast in der Antikensammlung, um mit Vertretern der FAU über die Zukunft der Sammlung zu beraten. Sie zeigten sich damit einverstanden, dass die Stücke an der FAU verbleiben – ohne eine Entschädigung dafür oder die Rückgabe zu fordern. Sie wünschten sich aber das dauerhafte Recht auf Zugang zu den Objekten“, berichtet Georg Gerleigner.