Heimatsound

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Georg Römer hat sich schon immer für Höchstadt begeistert. Und er hat die Stadt geprägt, als Musiker, Vorsitzender des Heimatvereins und Altenheimchef. Ein Treffen mit einem, der nur knapp einem Anschlag entging - und sich danach der Stadt verschrieb.

Georg Römer hat schon alles vorbereitet. Ambiente ist ja immer wichtig, gerade dann, wenn man Fragen beantworten soll, von denen vorher nicht ganz klar ist, wie sehr sie einem liegen. Römer sitzt am späten Vormittag in seinem Gesellschaftshaus am Kellerberg bei selbstgemachtem Schinken und Blutwurst. Ein kleiner Holzofen wärmt die zimmergroße Stube, aus dem Radio wabert die Musik von BR Heimat. "Stört Sie das?", fragt Georg Römer und lächelt breit.

Man tut sich schwer, nicht an die zurechtdrapierte Welt der Heimatfilme von Luis Trenker zu denken oder an Borgs Musikantenstadel, in dem das auftretende Schlagerpersonal längst aufgehört hat live zu singen. Ambiente täuscht ja oft. Bei Römer dagegen wirkt alles echt, unverstellt, was nicht weiter überrascht, schließlich hat der Mann mit der Schiebermütze fast sein ganzes Leben in Höchstadt verbracht. Was die Frage aufwirft: Was ist das eigentlich, Heimat? Da lehnt sich Georg Römer, 68, in den Stuhl zurück, verschränkt die Arme und sagt: "Heimat war für mich Gesellschaft."

Römer geht nach England

Römer hat sich früh für diese Gesellschaft interessiert. Als er sieben war, verkaufte er zusammen mit dem Vater Bratwürste auf Volksfesten. Der Vater kassierte, er stand am Fleischwolf, während seine Schulkameraden durch die Karussells fieberten. Dass er nie neidisch war, lag daran, dass er wusste, er würde den Vater nach dem Fest "zum Hirschen" begleiten, ein Lokal, in dem die Männer mit den Zigaretten im Mundwinkel lachten, wo sie diskutierten und Neuigkeiten erzählten. Mit ihm dazwischen lauschend. "Das hat mich damals fasziniert", sagt Römer.

Die Faszination war so groß, dass das Gasthaus später auch zu seiner Stammkneipe wurde. Jede Woche war er dort, aber weil der Wirt keinen Nachfolger fand, hat die Kneipe nun geschlossen. Für Römer zeige das ziemlich gut, wie es um Höchstadt bestellt sei: Geschäfte schließen, Kneipen gebe es jetzt schon keine mehr und auch der Kellerberg habe seine Zeit lange hinter sich. "Die Menschen, die hier leben, interessieren sich nicht mehr für ihre Heimat, sie kennen sie gar nicht mehr", sagt er.

Er aber kennt sie.

Dass er sie so gut kennt, hat einerseits damit zu tun, dass er fast 40 Jahre lang im Vorstand des Heimatvereins saß, die meiste Zeit davon als Vorsitzender. Andererseits, und das ist vielleicht noch wichtiger, hat er seine Heimat auch schon verlassen. Das war 1971. Die Bundeswehr schickte ihn damals nach Brannenburg und Garmisch-Partenkirchen, er landete im Heeresmusikkorps, wo er, wie er sagt, viel dazugelernt habe, und besuchte später die Musikschule in Hilden.

Mit Anfang 20, er war noch Soldat, flog Georg Römer nach England. Er konnte die Sprache nicht perfekt, aber er würde schon irgendwie durchgekommen, sagte er sich, und außerdem war er nicht gekommen, um zu sprechen. Er war gekommen, um ein Konzert zu spielen. Als er nach dem Auftritt im Pub landete, drohte ih ein Engländer, er verließ die Bar und hörte, wie auf dem Heimweg Sirenen durch die Stadt donnerten, die einen schwer verletzten Soldaten ins Krankenhaus brachten, den der Engländer zuvor attackiert hatte. Der Angriff, wie sich später herausstellte, galt Römer. "Ich hatte einfach Glück."

Zurück in Deutschland

Als er nach Deutschland zurückkehrte, wusste Römer in jedem Moment, was zu tun war. Er absolvierte eine Ausbildung zum Krankenpfleger und baute ein Haus auf dem Acker des Vaters. Er heiratete, bekam zwei Kinder und fing im Seniorenheim St. Anna zu arbeiten an, das er über 20 Jahre lang leitete. "Wenn ich erstmal irgendwo bin und es passt, dann bleibe ich auch lange da", sagt er.

Seither beschäftigt sich Georg Römer mit der Heimat. Er hat sie in seiner ganzen Art verbaut, in dem Schnauzer und der Klarinette, die er mal in der Stadtkapelle, mal in seiner Band, den Hornochsen, bläst. In seiner warmen Stimmfarbe und dem Lachen, das ein wenig reibt, wenn es ernst gemeint ist. Und er hat sie immer wieder nachgelesen, seine Heimat, jeden Morgen am Frühstückstisch in der Zeitung. Die Zeitung ist wichtig für Georg Römer, weil sie seine Heimat konserviert.

Römer blickt zum Ofen. Er muss jetzt erstmal ein Stück Holz nachlegen, es ist kühl im Boläsdä, wie er das kleine Kellerberghaus nennt, in dem er schon als Junge saß. Sein belegtes Brot hat er in kleine Quadrate geschnitten, gepfeffert, gesalzen, wie damals. Er linst hinüber zur Blutwurst. "Das ist mein größtes Laster", sagt er und reibt seinen Bauch.

Lesen auf der Blutwurst

Mit sechs, das war 1958, hat Georg Römer Lesen gelernt. Er saß damals oft im Boläsdä, wo er mit dem Großvater zur Brotzeit verabredet war. Der Großvater hatte die Blutwurst, die fast zu jeder Mahlzeit serviert wurde, stets in Zeitungspapier eingewickelt, erzählt Römer, und weil die bleierne Schrift immer ein bisschen abfärbte, las Römer seine ersten Buchstaben auf der Wurst spiegelverkehrt. Die Lehrer protestierten. Römer aber bestand auf seiner eigenwillige Schreibweise. Zunächst.

Später schrieb Römer selbst für die Zeitung. In zich Leserbriefen und Glossen kommentierte er das lokale Geschehen. Dass man für diese Arbeit nicht immer nur Lob bekommt, weiß Römer. Einmal hat ihm ein Leser vorgehalten, er wolle sich mit den Artikeln wichtigmachen. Gekränkt habe ihn das damals zwar nicht, sagt er. "Dafür bin ich pelzig genug." Aber: "Es freut sich keiner, wenn er ständig kritisiert wird." Das beste Rezept gegen Kritik sei es weiterzumachen, sagt Römer.

Was seine Frau sagt

Vor ein paar Jahren berichtete der damalige Zeitungsredakteur Werner Baier, der für seine kritischen Berichte bekannt war, wie Römer sagt, über einen Auftritt der Hornochsen. Römer spielte damals moderne Popmusik in fränkischer Tracht, was Baier offenbar so irritierte, dass er in seiner Kritik mit dem Kleidungsstil der Band abrechnete: solche Musik verlange unbedingt Glitzerjacken. Römer aber wollte das nicht stehen lassen. Also schickte er dem damaligen Redakteur einen Brief, in dem er sinngemäß und dezidiert darauf hinwies, dass er ein Affe sei.

Seine Frau sagt: "Der Grund, warum mein Mann so beliebt ist, ist, dass er viel für die Vereine in der Stadt gemacht hat. Und das kommt bei den Leuten gut an."

Georg Römer sagt: "Eine lokale Zeitung sollte das abbilden, was im Kleinen passiert, wenn Häuser abgerissen oder Läden geschlossen werden. Sie sollte keinen Weltmaßstab anlegen, das bringt unserer kleinen Welt nix."

Seit kurzem dreht Georg Römer Filme. Für den "Musiker Spiegel" von ERH-TV besucht er in seiner Funktion als Kreismusikpfleger junge Laienmusiker im Landkreis, die er für den Sender filmisch porträtiert. Man kann Römer dort zusehen, wie er beispielsweise den Niederndorfer Jazz Pianisten Thomas Fink begleitet oder den Hemhofer Kinder- und Jugendchor Fidelia. "Es ist erstaunlich, wie bunt die Laienmusik im Landkreis ist", sagt er.

Als der Skiclub Silvester 2002 ein Skirennen auf dem Kellerberg veranstaltete, saß Römer im Boläsdä. Er hatte Freunde eingeladen, weil man von dem Häuschen einen fantastischen Blick auf die Rennstrecke werfen konnte. "Es war ein riesiges Event", sagt Römer. Dass er den damaligen Gaststar, Felix Neureuther, verpasste, lag daran, dass die Stimmung im Boläsdä gerade sehr ausgelassen war, wie er sagt. Die kleine Welt ist Georg Römer immer am wichtigsten gewesen. Sie ist seine Heimat.