Heinrich Kestler kann viel erzählen. Zum Beispiel, wer jetzt seinen knallroten VW bekommt. Oder wie er Höchstadt heller machte.
So einen kurzen Dienstweg erlebt Bürgermeister Gerald Brehm (JL) auf Gratulationsbesuch nicht alle Tage. "Mit 90 gebe ich meinen Führerschein ab", verkündete Heinrich Kestler an seinem Geburtstag im vergangenen Jahr. Und er hat sein Versprechen gehalten. Ein bisschen schwer falle es ihm schon, "aber gesagt ist gesagt", meint der rüstige Jubilar und überreicht gestern dem Bürgermeister den Schein.
Über 70 Jahre lang war Heinrich Kestler Autofahrer. Den Führerschein hat er Anfang der 40er Jahre beim Militär gemacht. In Afrika war er unter anderem stationiert, später dann in Kriegsgefangenschaft in den USA, die meiste Zeit in Dallas, Texas. "Mit dem Schiff sind wir nach Amerika gekommen. Uns ist es aber gut ergangen", erzählt Kestler von seiner Zeit in den Staaten.
Nach dem Krieg hatte er zunächst eine Stelle als Werkselektroniker bei der Schokoladenfabrik Piasten in Forchheim. "Jeden Tag bin ich von Gremsdorf aus mit dem Fahrrad zur Arbeit gefahren. Hin und zurück", erzählt er. Die Straßen waren damals noch richtige Schotterpisten. Eine ganz andere Zeit sei das gewesen.
Den Aischgrund beleuchtet Auch in Höchstadt, wo er sich dann mit seiner Frau Gunda niederließ, war einiges anders als heute. Als Elektromeister wurde Heinrich Kestler 1949 Bezirksstellenleiter beim damaligen Überlandwerk Oberfranken, das heute längst im Eon-Konzern aufgegangen ist.
In dieser Funktion half er mit, den Aischgrund zu illuminieren: "Ganze sieben Straßenlaternen gab es in Höchstadt damals, die nachts abgeschaltet wurden." Dann war es dunkel in Höchstadt. Aber durch die Neubaugebiete seien es dann schnell immer mehr geworden, erinnert sich der 90-Jährige, der für sein stolzes Alter sehr agil ist. "Morgens einen halben Liter Milch, abends einen halben Liter Bier. Mehr hat's nicht gebraucht", verrät Kestler schmunzelnd das Geheimnis seiner Rüstigkeit.
Orgelsolo für den Dekan Vielleicht hat auch die Musik einen Teil dazu beigetragen, jung zu bleiben. Begonnen hat Heinrich Kestler auf der Mundharmonika. Dazu kamen dann die Geige und das Akkordeon.
Im Wohnzimmer steht eine Heimorgel. Dekan Kemmer, zum Gratulieren in die Johann-Sebastian-Bach-Straße gekommen, muss nicht lange um eine kleine Kostprobe bitten. Keinen Bach, sondern einen flotten Walzer bekommt er zu hören. Nicht nach Noten, rein nach Gehör. Der Dekan kennt den Jubilar gut. Fast jeden Sonntag sieht er ihn in der Messe. Oder bei den Treffen des katholischen Männervereins, wo Kestler seit über 50 Jahren Mitglied ist.
Am Samstag wird es eine große Feier geben, bei der die ganze Familie zusammenkommt. Die zwei Söhne und die Tochter kommen genauso wie die vier Enkel. "Die Enkeltochter kommt extra aus England. Sie hat dort ein Stipendium an der Universität in Oxford", sagt Kestler stolz, der sich schon auf seine Enkel freut.
Einer von ihnen bekomme seinen knallroten VW Passat, meint der rüstige Rentner mit etwas Wehmut. Mit merklichem Stolz weist Kestler aber noch auf etwas hin, von dem sich die Jugend noch eine Scheibe abschneiden kann: "In den 70 Jahren, habe ich keinen Unfall gebaut und keinen einzigen Punkt in Flensburg bekommen." Dazu kann man nur gratulieren.