Vor 70 Jahren kauften die Brüder Georg und Wilhelm Schaeffler ein Grundstück in Herzogenaurach. Eine Ausstellung im Stadtmuseum zeigt die Firmengeschichte.
Häufig sind es die kleinen, die unsichtbaren Dinge, die die Welt bewegen. Und manchmal ist es auch eine geniale Idee. Mit der Erfindung des Nadelkäfigs revolutionierten die Brüder Wilhelm Schaeffler und Georg Schaeffler das Wälzlager und gaben den Anstoß zu einer überragenden Erfolgsgeschichte, die sich zum großen Teil in
Herzogenaurach abgespielt hat.
Einen Glücksfall für die Stadt nannte Herzogenaurachs Bürgermeister German Hacker (SPD) die Familie und das Unternehmen bei Eröffnung der Ausstellung "70 Jahre Schaeffler" im Stadtmuseum. Er freute sich, dass aus dem Hause Schaeffler unter anderem die Gesellschafterin Maria-Elisabeth Schaeffler-Thumann mit ihrem Gatten, der Vorsitzende des Vorstandes Klaus Rosenfeld, Peter Pleus (Vorstand Automotive) und Corinna Schittenhelm (Vorstand Personal und Arbeitsdirektorin) sowie Christoph Beumelburg (Leiter Kommunikation, Marketing und Investor Relations) gekommen waren.
In ihrer Eröffnungsrede blickte die Chefin, wie sie allgemein genannt wird, teils humorvoll auf 70 Jahre Schaeffler zurück. "Den Blick zurück habe ich gerne übernommen, da ich 53 Jahre hautnah erlebt habe", erklärte Maria-Elisabeth Schaeffler-Thumann eingangs. "Ich freue mich über diese Initiative der Stadt Herzogenaurach, die auf diese Weise ihre Verbundenheit mit dem Unternehmen Schaeffler unterstreicht und zeigt, dass Schaeffler Teil der Geschichte dieser Stadt und ihres Ranges als moderner und internationaler Industriestandort ist."
Wie die Gesellschafterin schmunzelnd erzählte, hat es ihr anfangs in Herzogenaurach überhaupt nicht gefallen. Als sie 1963 an die Aurach kam, sei Schaeffler schon ein internationales Unternehmen gewesen und ihr Mann Georg habe 365 Tage im Jahr gearbeitet. Von Heimweh geplagt, habe sie ihre Mutter in Wien angerufen und angedeutet, dass sie wieder heim möchte. "Da stieß ich auf Widerstand. ,Du hast diesen Mann gewollt und jetzt sieh zu, dass du mit ihm auch zurechtkommst‘, bekam ich zu hören."
Bürgermeister Hacker erinnerte an die erste Wachstumsphase der Firma, in der auch viele Gastarbeiter nach Herzogenaurach kamen, unter anderem auch aus dem ehemaligen Jugoslawien aus der heutigen Partnerstadt Nova Gradiska. Das ständig wachsende und weltweite Technologie-Innovationszentrum habe so zum Wachstum der gesamten Stadt beigetragen und gehöre immer noch zu den wichtigsten Arbeitgebern der Region. "Das Unternehmen mit den zweitmeisten Patentanmeldungen in Deutschland ist immer noch ein Familienunternehmen", erklärte der Bürgermeister. Er fügte an, dass sich sogar der Slogan "Eine Stadt in Bewegung" vom Firmen-Leitspruch "Wir bewegen die Welt" ableitet.
Hacker und die Gesellschafterin erinnerten auch an die größte Kundgebung der Stadtgeschichte in der größten Krise des Unternehmens: Am 18. Februar 2009 bekundeten 9000 Bürger Solidarität mit Schaeffler und skandierten "Auch wir sind Schaeffler". Maria-Elisabeth Schaeffler sagte rückblickend, dass die Übernahme von Continental zum schlechtesten Zeitpunkt gekommen sei, nämlich während der allgemeinen Finanzkrise.
Generell seien die Mitarbeiter mit der Familie in allen Phasen dieser 70 Jahre durch "dick und dünn" gegangen. Bei Auftritten der Schaeffler-Bigband würden die Mitarbeiter das Schaeffler-Lied mitsingen. "In Erlangen glaub ich undenkbar - gibt es überhaupt ein Siemenslied?", fragte Hacker schmunzelnd.
Begonnen hatte alles in den Trümmern des zerbombten Deutschlands, nachdem die Firmengründer aus Meerane in Sachsen über Schwarzenhammer im Fichtelgebirge an die Aurach geflüchtet waren. "Die Brüder Georg und Wilhelm Schaeffler erhielten vom damaligen Bürgermeister Hans Maier per Handschlag ein Grundstück und konnten mit einer neuen Firma der Industrie Gesellschaft mbH im April 1946 die Produktion aufnehmen. Auf diesem Gelände befinden sich noch heute das Stammwerk und die Unternehmensleitung der Schaeffler AG", erzählte Maria-Elisabeth Schaeffler-Thumann aus der Geschichte.
Der Kaufvertrag wurde am 17. Juni 1946 durch den Stadtrat abgesegnet, die Brüder Schaeffler sagten im Kaufvertrag zu, innerhalb eines Jahres 120 Arbeitsplätze zu schaffen, nach einem Jahr waren es schon 193. Während die Handwagenproduktion in Schwarzenhammer verblieb, wurden zunächst Knöpfe, Kämme, Gürtelschnallen und dergleichen in Herzogenaurach gefertigt. Nach Aufhebung der Produktionsbeschränkungen begannen die Brüder Schaeffler jedoch sofort mit der Produktion von Metallkomponenten wie Gelenkkreuzbüchsen, Gewindeschneidbacken und allen voran Nadellagern.
Der Aufstieg des jungen Unternehmens, das seit 1948 den Markennamen Ina - Industrie-Nadellager trug, begann, als Georg Schaeffler Ende 1949 den Ina-Nadelkäfig erfand. Wenig später gelang die industrielle Herstellung des käfiggeführten Nadellagers. Erstmals war es möglich, dass die Wälzlager stabil achsparallel geführt werden konnten. Diese neue Lagerart war kompakter, langlebiger und leistungsstärker. Diese Erfindung und ihre Weiterentwicklung wurden bereits in der ersten Hälfte der 50er Jahre zu einer unersetzlichen Komponente für den Fahrzeug-, Maschinen- und Anlagenbau in Deutschland und Europa. So fuhr 1953 in Deutschland kein Auto mehr ohne Lager aus Herzogenaurach, allein im VW Käfer waren 33 davon verbaut.
Das zweite Standbein der Schaeffler-Brüder, die Teppichwerke, die 1949 gegründet wurden, blieben bis Mitte der 70er Jahre in Herzogenaurach und wurden dann nach Bamberg verlagert. Das Teppichwerk wurde 1989 verkauft, denn die Konkurrenz aus Osteuropa und Asien war übermächtig. Diese Welt hatte Georg Schaeffler auch schon bei seinem sehr kurzen Ausflug in die Welt der Kleinbildkameras erfahren. In der fränkischen Kleinstadt konnten die Innovationspioniere in den folgenden Jahren ein Unternehmen etablieren, wie es im Bilderbuch des Wirtschaftswunders steht. Schaeffler avancierte zum Synonym für Präzisionstechnik.