Mediziner schlagen Alarm: Das Übergewicht ist drauf und dran, das Rauchen als größtes Risiko für schwere Erkrankungen abzulösen. Es gibt aber auch Forscher, die das Feindbild "dick" kritisieren.
Diese beiden Zahlen sind schwer unter einen Hut zu bringen: Nach aktuellen Daten von Organisationen wie Foodwatch landen in Deutschland jedes Jahr 20 Millionen Tonnen Lebensmittel auf dem Müll. Und trotzdem wird immer noch zu viel verzehrt: Mehr als die Hälfte der Bundesbürger ist zu dick, das Bruttoinlandsübergewicht dürfte sich auf 300.000 Tonnen summieren: Das wäre in reinem Fett ein Butterwürfel mit 70 Metern Kantenlänge.
Die Medizin hat es dicke, dass das Thema Übergewicht meist unter der Rubrik Unterhaltung angesiedelt wird: Einmal geht es um den Weltanschauungskrieg zwischen Fettleibigkeit und Schlankheitswahn, dann um Wunderdiäten und die Fitness-Welle. Dabei belegen Studien unter anderem des Gesundheitsministeriums: Übergewicht ist nicht nur eine Geschmacksfrage. Die Folgen
ungesunder und überreichlicher Ernährung rangierten inzwischen hinter dem Rauchen auf einem Spitzenplatz der Gesundheitsrisiken. Zucker und Fett könnten Nikotin und Teer als Killer bald überholen.
Ist das Panikmache, wie etwa der Bremer Soziologe Friedrich Schorb sagt? Will die Gesundheitspolitik den Menschen den Spaß am Essen nehmen? Gerade da verstehen in der Tat die wenigsten Bundesbürger Spaß. Als zwei Abgeordnete der CDU und der SPD während der Koalitionsverhandlungen laut über eine Sondersteuer für kalorienreiche Nahrungsmittel nachdachten (Vorbild Mexiko), brach ein Sturm der Entrüstung los.
"Der Gewinn solcher Debatten besteht vor allem darin, dass die Komplexität des Themas deutlich wird", heißt es beim Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Differenziert heißt für die bayerischen Gesundheitsexperten: Leichtes Übergewicht im Erwachsenenalter erhöht die Sterblichkeit nicht oder zumindest nicht wesentlich.
Krankhaftes Übergewicht dagegen - Adipositas - sei ein enormer Risikofaktor, fördere Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes, Muskel- und Skeletterkrankungen sowie Krebs. Diese Krankheiten - und nicht unmittelbar das Übergewicht - erhöhen die Sterblichkeit. Laut Landesamt steigt die Sterblichkeit bei sehr dicken Patienten um 20 Prozent, bei hochgradiger Adipositas um über 200 Prozent.
In Deutschland hat etwa die Hälfte der Bevölkerung zu viel auf den Rippen, und 14,7 Prozent der Deutschen gelten nach der WHO-Rechnung als fettleibig. Die Bayern schneiden trotz der Genusskultur mit 14 Prozent Fettleibigkeit besser ab, besonders gut die Oberbayern (11,9), besonders schlecht die Oberfranken (17,6).
Während die amtlichen Gesundheitsschützer die regionalen Unterschiede nicht erklären können und auf positive Entwicklungen verweisen, etwa weniger fettleibige Kinder, gibt es eine Gegenbewegung: Der Soziologe Schorb bezeichnet die Diskussionen um die angebliche "Volkskrankheit" Übergewicht als, "hanebüchenen Unfug". Es sei unseriös, bestimmte Krankheiten nur am Lebensstil festzumachen. "Die Nulldiät ist die einzige Ernährung, die garantiert keine Krankheit auslöst."