Bayerns Fachärzte für Altersmedizin sind alarmiert: Die neuen Personaluntergrenzen reichen für geriatrische Kliniken nicht aus, erklären sie bei ihrer Tagung in Coburg.
"Unsere Patienten werden immer kränker und immer älter", sagt Christian Pohlig. Der Chefarzt am Klinikum Coburg leitet dort die "Akutgeriatrie", offiziell die Abteilung für Allgemeinmedizin und Altersmedizin.
Seit elf Jahren gibt es diese Abteilung; bei ihrer Gründung war sie eine der ersten in Bayern. Inzwischen gibt es über 80 solche geriatrischen Abteilungen. Die Akutgeriatrie in Coburg darf nicht mit der Klinik für Geriatrie und Rehabilitation verwechselt werden, die ebenfalls am Klinikum angesiedelt ist. Akutgeriatrie und Geriatrische Fachklinik arbeiten Hand in Hand, sagt Pohlig. "Wir haben in Coburg ein lückenloses System aus Frührehabilitation, Reha und ambulanter Reha." Die Behandlung, die in der Akutgeriatrie beginnt, wird in der Geriatrischen Rehabilitationsklinik fortgesetzt und ambulant ergänzt, wenn die Patienten wieder zu Hause sind.
Das gelingt freilich nicht immer: Weil die Patienten in Coburg meist schon hochbetagt sind - 6000 im Jahr sind über 80, 1000 über 90 - wechseln viele nach der Behandlung im Krankenhaus in ein Pflegeheim, "weil es zu Hause nicht mehr gehen würde", wie Pohlig sagt. Sei es, dass eine Demenz es unmöglich macht, einen Menschen auf sich allein gestellt leben zu lassen, sei es, dass die Folgen eines Sturze es nicht mehr zulassen. Denn "der alte Mensch fällt ja hin, weil er schon so schwach ist", sagt Pohlig. In der Regel liegt auch nicht nur eine einzige Erkrankung vor: Ins Krankenhaus komme der Patient wegen der akuten Lungenentzündung - an Herzschwäche leidet er ohnehin. Solche Mehrfacherkrankungen würden auch Ärzte und Pfleger vor andere Aufgaben stellen als ein jüngerer Patient ohne weitere Gebrechen.
Der Pflegeaufwand in der Geriatrie sei bei weitem höher als im normalen Klinikbetrieb, sagt auch der Arzt Jens Trögner vom Klinikum Amberg, Vorsitzender der ärztlichen Arbeitsgemeinschaft zur Förderung der Geriatrie in Bayern (Afgib). Am Freitag kam die Arbeitsgemeinschaft zu ihrer Jahrestagung im Coburger Landratsamt zusammen; Christian Pohlig leitet in der Afgib die Arbeitsgruppe Akutgeriatrie.
"Aus Unter- wird Obergrenze"
Trögner verwies auf das jüngst erlassene Gesetz der Bundesregierung zur Pflegeuntergrenze. Es schreibt den Kliniken eine Mindestanzahl von Pflegekräften vor. Eine Untergrenze könne in den Budgetverhandlungen für die Krankenkassen aber "schnell zur Obergrenze" werden, warnte Trögner.
Ein Schlüssel von einer Pflegekraft für zehn Patienten reiche in der Geriatrie aber nicht aus, betonte der Afgib-Vorsitzende. "Wir brauchen einen Schlüssel von 6:1 bis maximal 8:1." Und schon bei einer Pflegekraft für acht Patienten werde es schwierig, den Anspruch "mehr als satt und sauber" aufrecht zu erhalten. "Wir wollen ja aktivieren!", erläuterte Trögner. Aber die Patienten anzuregen, sich zum Beispiel selbst zu waschen, und ihnen dabei zu helfen, dauere eben länger, als sie schnell sauber zu machen. "Mit diesem Personalschlüssel, auch nachts, können wir die Patienten nicht so versorgen, wie wir Ärzte und die Pflegekräfte das wollen", sagte Trögner.
Die Geriatriker befürchten außerdem, dass sie doppelt benachteiligt werden: Abteilungen für Akutgeriatrie sind teurer als andere, weil dort meist schwer und mehrfach erkrankte Menschen behandelt werden. Solche akutgeriatrischen Abteilungen gebe es im norddeutschen Raum aber fast gar nicht, was andere Kostenstrukturen zur Folge habe und damit den Vergleich verzerre, sagte Trögner. Die Afgib setze sich deshalb auch für bundesweit einheitliche Geriatriestandards ein.