Das Landestheater bringt am Wochenende Max Frischs weiterhin brisantes Stück "Andorra" auf die Bühne. Regisseur Michael Götz will es straff konzentriert auf die aktuelle Situation beziehen.
"Andorra" ist gnadenlos. Ein Stück über harte Zeiten, für harte Zeiten. Als Max Frischs Parabel vom vermeintlichen Judenkind Andri, das von der Dorfgemeinschaft erst zum "Juden" gemacht wird, 1961 uraufgeführt wurde, ging es da rum, gesellschaftliche und psychologische Mechanismen bewusst zu machen, die gerade erst in die große Katastrophe geführt hatten: Ausgrenzung des Andersartigen, Sündenbock-Mentalität, Feigheit, Mitläufertum, irregeleitete Identitätsbildung.
Als das Landestheater Coburg das Stück in seine Spielplangestaltung einbezog, war die Dimension der aktuellen Flüchtlingsproblematik noch nicht absehbar. Jetzt aber verschärft sich die "Andorra"-Problematik - wieder. Und angesichts der täglichen Meldungen von Übergriffen und immer offeneren fremdenfeindlichen Redeweisen fragt sich Gastregisseur Michael Götz, ob sich die Menschheit nicht doch nur unablässig im Kreise dreht, seit Jahrtausenden.
Götz war bis 2013 Regieassistent mit vielerlei Ideen und Ini tiativen am Landestheater. Mittlerweile lebt er als freier Regisseur in Frankfurt und wurde für die Frisch-Produktion in der Reithalle verpflichtet.
Andri ist der uneheliche Sohn des Lehrers, der ihn als jüdischen Pflegesohn ausgibt. Die Bewohner Andorras pressen den Jungen in ihre Vorurteile und lassen dem Individuum keine Chance, bis er sich selbst zu den ihm unablässig unterstellten Charakterzügen bekennt, auch wenn es noch so haarsträubend ist. Die Andorraner überlassen ihn am Ende bereitwillig den rassistischen Nachbarn, den "Schwarzen".
Max Frisch (1911 - 1991) zog die grausame Geschichte, die in eben dieser Konstellation ja aber millionenfache Realität in der Zeit des Nationalsozialismus war und im übertragenen Sinne nicht aufgehört hat, als Parabel auf, die durch Statements der unterschiedlichen Positionen unterbrochen wird.
"Die Judenproblematik ist nicht das aktuell brennende Thema", erklärt Michael Götz seine Interpretation. "Ich möchte nicht, dass alle sofort nur noch an den Nationalsozialismus denken." Er hat also den Begriff Jude eliminiert. "Für Andri kann jeder stehen, der ausgegrenzt wird, weil er (vermeintlich) anders ist, ob Flüchtling, Homosexueller, vielleicht einfach nur Kind, Frau in bestimmten Zusammenhängen... Das Stück ist sehr modern, enthält viel Allgemeingültiges, zeigt uralte Muster." Wenigstens leben wir in einer Zeit, meint Götz, in der wir die Muster immerhin erkennen können, auch wenn wir sie keineswegs überwunden haben.
Zur Lehrstunde soll die Produktion aber keinesfalls werden, wehrt Götz im Gedenken an kontraproduktive Schullektüre-Stunden ab. Schließlich sind die typisch ausgeformten Rollen bei Max Frisch - anders als oft bei Bert Brecht etwa - durchaus pralle, lebensvolle Charaktere, die verstrickt sind in ihrer lokalen Lebenswelt.
Spielen lassen Michael Götz und sein Ausstatter Till Kuhnert "Andorra" in einer klassisch sauber geweißelten Welt mit hübschen Häuschen, in denen es allen gut gehen könnte. Und trotzdem geht es den Leuten nicht gut.
Max Frisch hatte für sein brennendes Thema viele beispielhafte Situationen und Szenen gefunden, für den heutigen Theatergänger vielleicht zu viele. Für die Coburger Produktion wurde kräftig gestrichen auf etwa 80 Minuten Spieldauer. "Ich erlaube mir, das aus dem Text zu nehmen, was ich brauche, um die Geschichte so zu erzählen, dass man sie versteht", kündigt Götz an. Er will Erkenntnis ja nicht einhämmern.