Wo es cool ist - Abi-Jahrgang verbringt die Nacht an einer Coburger Tankstelle

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Blaue kalte Nacht: Die Tankstelle an der Bamberger Straße ist seit fast 25 Jahren die Bühne für ein Klassentreffen der besonderen Art. Mitunter bis in die Morgenstunde dauert das zwanglose Treffen der Schulfreunde. Foto: Christoph Winter
Blaue kalte Nacht: Die Tankstelle an der Bamberger Straße ist seit fast 25 Jahren die Bühne für ein Klassentreffen der besonderen Art. Mitunter bis in die Morgenstunde dauert das zwanglose Treffen der Schulfreunde. Foto: Christoph Winter

Seit 24 Jahren treffen sich frühere Abiturienten am Abend des zweiten Weihnachtsfeiertages an einer Tankstelle in Coburg. Was treibt sie?

"Ich hab' mit allen Mädels geknutscht!" Nach mehr als einem Vierteljahrhundert bleibt dieses freimütige Geständnis ohne Folgen. Begleitet von einem breiten Grinsen erzählt Carsten von den amourösen Abenteuern aus den 80er und 90er Jahren. Für Carmen werden die Erinnerungen an die gemeinsame Schulzeit ebenso wieder lebendig, während sie einen Schluck aus der Bierflasche nimmt.

Es ist der zweite Weihnachtsfeiertag, gegen 22.30 Uhr. Das blaue Licht von der Tankstelle an der Bamberger Straße ist ein weithin sichtbarer Farbfleck in der kalten Nacht. Taghell beleuchtet sind die Zapfsäulen, der Schein der Halogenstrahler aus dem Dach darüber fällt auch auf die kleine Gruppe, die sich jetzt neben dem Eingang zusammengefunden hat.

Treffpunkt Tankstelle seit 1994

Die Begegnung ist kein zufälliges Treffen von einsamen Menschen an den Weihnachtsfeiertagen, vielmehr ist es ein Klassentreffen der besonderen Art. Man kennt sich schon ein halbes Leben lang. Seit 1994 gibt es diesen "allseits beliebten feuchtfröhlichen Weihnachtsumtrunk". Und immer ist die Tankstelle im Süden der Stadt der Treffpunkt. "Angefangen hat es zu Beginn der 90er Jahre", aber das genaue Datum weiß Wasti nicht mehr. "Es war nach dem Abitur und da war ich 19. Da haben wir uns hier zum ersten Mal getroffen", erklärt Carsten mit Bestimmtheit.

Im Jahr 2018 sind Sigrun und Carmen da, und sechs, später sieben der einstigen Mitschüler. "Die meisten von uns haben am Gymnasium Albertinum ihr Abitur gemacht. Aber durch Schulwechsel und Mundpropaganda sind auch im Lauf der Jahre welche vom Casi und Ernes dabei", erklärt Wasti. Trotz Mobiltelefon, E-Mail oder WhatsApp, die Verbindung der Tankstellen-Weihnachts-Stammtischler ist locker. "Wer kommt, ist da."

Wo ist es richtig cool?

Zuvor war "Die Insel" der Treffpunkt gewesen, eine seinerzeit bei Schülern beliebte Kneipe in der Straße Steintor. Irgendwann sei es aber nicht mehr cool genug gewesen, "und wir sind am zweiten Weihnachtstag zur Aral-Tankstelle gegangen", weiß Carsten. Schließlich wollte man sich auch von der Masse unterscheiden.

Ist der Kreis in diesem Jahr eher überschaubar, waren es in vergangenen Jahren auch schon mehrere Dutzend Schulfreunde. Bei der Masse von Leuten seien die Biervorräte der Tankstelle schon stark gegen Null gegangen, erinnert sich Wasti. "Stress oder irgendwelchen Ärger hat es aber nie gegeben." Vor vielen Jahren sei ein Mitarbeiter der Tankstelle etwas genervt gewesen. Möglicherweise sei vergessen worden, einige Getränke zu bezahlen. Genaueres sei nicht mehr bekannt. Auch einen Platzverweis durch die Polizei habe es einmal gegeben. Danach sei die Gruppe zu nächsten Tankstelle gelaufen.

Die "heiße Hexe" gegen den Hunger

Der feuchtfröhliche Weihnachtsumtrunk hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten nicht nur den Wandel der Schulfreunde erlebt. Aus Abiturienten und Studenten sind Ärzte geworden, Juristen, Journalisten und Unternehmer. In den ersten Jahren verkauften die Tankstellen noch die virtuellen Tamagotchi-Küken. Das elektronische Spielzeug kam 1997 nach Deutschland und war schnell ein Kult. Die "heiße Hexe" befriedigte damals unter anderem mit Hamburgern und Hot Dogs den kleinen Hunger.

Wie lange die zwanglosen Weihnachtstreffen des 1994er-Abiturjahrgangs andauern, lässt sich nicht abschätzen. "Wir waren mal nach einer Stunde weg, ein anderes Mal ging es bis halb sechs Uhr in der Früh, oder es endete woanders", erzählt Bernd. Die mitunter inzwischen vorhandene eigene Familie sei mit dieser Tradition aufgewachsen und kenne es nicht anders. Carsten: "Wenn man sich hier trifft, steht für einen die Zeit still. Es ist ein Stück Jugend."

Während die Zeiger der Uhr sich Mitternacht nähern, hat ein neuer Mitarbeiter die Nachtschicht in der Tankstelle angetreten, einige Autofahrer haben sogar Sprit gekauft und weitere Getränke sind über den Verkaufstresen gegangen.

Alle Jahre wieder ...