Sieben Kandidaten stellen unter Beweis, wie gut sie den Wahlkreis und die Wahlprogramme ihrer Parteien kennen. Gleich zu Anfang gibt's "voll auf die Zwölf".
Ist Hans Michelbach mit seinen 68 Jahren nicht eigentlich zu alt für eine weitere Bundestagskandidatur? Hat Doris Aschenbrenner eigentlich noch Bock auf Wahlkampf ohne sicheren Listenplatz? Natürlich widersprachen die beiden Bundestagskandidaten von CSU und SPD vehement am Donnerstagabend - CSU-Mann Michelbach hat noch "große Freude am Gestalten", SPD-Frau Aschenbrenner sieht Erfolg nicht an den Listenplatz gebunden.
Nach den jüngsten Umfragen kann sich Aschenbrenner keine Hoffnung machen, mit Listenplatz 28 auf der Bayernliste in den Bundestag einzuziehen. Michelbach genügt die relative Mehrheit im Wahlkreis - über die Liste sei auch er nicht abgesichert, beteuert er. René Hähnlein (Linke) will sein Engagement für die Leiharbeiter fortsetzen, Bundestag hin oder her, Michael Eckstein bekennt sich zu seinen Oldtimern ("das ist meine grüne Achillesferse"). "Voll auf die Zwölf" haben die Moderatoren des Regionentalks ihre Einstiegsrunde getauft, und auch in den übrigen 90 Minuten des Abends lassen Tageblatt-Redaktionsleiter Oliver Schmidt und RadioEins-Redaktionsleiter Thomas Apfel den sieben Kandidaten kaum eine Verschnaufpause.
Aber auch die Kandidaten schenken sich wenig: Martin Böhm (AfD) muss sich fragen lassen, ob die Forderungen seiner Partei nach weniger Steuergeld für die Aufarbeitung der NS-Geschichte schon rechtsradikal sei und kontert kühl, dass ja auch die CSU "geläuterte" Abgeordneten in ihren Reihen habe. Eine deutliche Anspielung auf den Kronacher Landtagsabgeordneten Jürgen Baumgärtner, der "seine Vergangenheit hinter sich gelassen" habe, wie Böhm sagt.
Und die Jugendsünden?
Alexander Arnold (FDP) und Christoph Raabs (ÖDP) können gelassen bleiben. Arnold distanziert sich von der früheren FDP ("wir haben uns von vielen Älteren getrennt") und sorgt damit für Gelächter. Raabs zeigt sich einfach nur zufrieden damit, dass der Regionentalk ihm ein Podium bietet, für seine Partei zu werben.
Angerissen werden sowohl die großen Themen wie Flüchtlinge, Familiennachzug, Miete, Rente, Bildung als auch die regionalen. Dass selbst der gutwilligste Kandidat nicht alle Feinheiten des Wahlprogramms seiner Partei kennen kann, zeigt sich in einer weiteren nicht ganz ernst gemeinten Runde. Apfel und Schmidt zitieren Passagen aus Wahlprogrammen. René Hähnlein identifiziert die Passage mit dem Rausch als "Bestandteil unserer Kultur" korrekt als die seine. "Das hätte aber auch im CSU-Programm stehen können." Dass die AfD die Kleingärtner und Kleintierhalter stärken will, überrascht sogar deren Kandidaten Martin Böhm: "Ich ziehe den Hut vor dieser Recherche und staune." Allerdings weiß auch Michael Eckstein nicht, dass seine Grünen freien Zugang in alle Bundesmuseen fordern.
Die Frage nach den Jugendsünden bleibt wenig ergiebig. Doris Aschenbrenner gibt zu, nachts in der Schule "ekliges Zeug" in den Seifenspender getan zu haben, Hans Michelbach bedauert, erst spät mit der Politik angefangen zu haben (mit 33 wurde er Bürgermeister in Gemünden am Main), René Hähnlein bekennt, mal SPD-Mitglied gewesen zu sein. Bei Martin Böhm ist es "Kreidler frisiert und dabei erwischt worden", Eckstein will als Polizistensohn nichts Schlimmes gemacht haben. Christoph Raabs erzählt, dass er mit 16 nach einem heftigen Kirmesrausch "in ekelhafter Situation aufgewacht" sei und Alexander Arnold weiß nichts Schlimmeres von sich zu sagen, als in die FDP eingetreten zu sein.
Von Hof bis zur Rodach
Wie gut kennen die Kandidaten ihren Wahlkreis? Die Moderatoren Oliver Schmidt und Thomas Apfel nannten vier Ortsnamen - und ausgerechnet Hans Michelbach lag beim ersten falsch. Freilich, Untersteinbach gehört noch nicht lange dazu - der Ortsteil von Geroldsgrün im Landkreis Hof wurde erst bei der Wahlkreisreform Coburg-Kronach zugeschlagen. Dass Lehesten in Thüringen liegt, wussten alle, dass Buch am Forst zu Lichtenfels und damit nicht zum Wahlkreis, auch. Sicherheitshalber orientierte sich mancher an Nebenmann oder -frau, als es um Eckersdorf ging: Das gehört zu Seßlach.
Breitband- und Bahnanschluss
Dass eine Diskussion zur Bundestagswahl von der Bundespolitik getrieben ist, versteht sich von selbst. Doch die Weichenstellungen im Bund strahlen auf den Wahlkreis aus.
Doris Aschenbrenner ging beispielsweise auf die jüngste Entwicklung beim Bahnanschluss des Landkreises Kronach ein. Dass sich der angekündigte IC-Halt für Ludwigsstadt verzögern wird, ist für sie ein Warnsignal, dass der Frankenwald verkehrstechnisch weiter aufs Abstellgleis geraten könnte. Nun müsse man schauen, was noch zu retten ist. Hans Michelbach ging auf den zusätzlichen Regionalexpress für Coburg ein ("Ein neues Zeitalter des Bahnfahrens für uns"). Für Kronach will er für den Zwei-Stunden-Takt des IC kämpfen.
Angesichts der steigenden Mietpreise in der Region "stehe ich zur Mietpreisbremse", so Aschenbrenner. Die SPD habe das bezahlbare Wohnen überhaupt erst auf die Agenda gesetzt. Insgesamt gehe es darum, dass Oberthema "Soziale Stadt" weiter im Auge zu behalten.
Moderator Thomas Apfel sprach die Gefahr an, eine weitere "Monster-Stromtrasse" in den Coburger Raum zu bekommen. "Wir haben bei der Energiewende einen großen Beitrag geleistet", betonte Hans Michelbach und erinnerte an die Thüringer Strombrücke. Nun gehe es darum, dass andere Regionen sich "einen schlanken Fuß machen und uns überlasten möchten. Das geht gar nicht."
"Jetzt könnte man sagen, Stockheim ist nicht Stockholm und Gauerstadt ist nicht Göteborg", scherzte Moderator Oliver Schmidt über die Fortschritte in den skandinavischen Ländern, nachdem Doris Aschenbrenner zuvor eine viel höhere Schlagzahl bei der Digitalisierung in Deutschland gefordert hatte. Mit dem Blick auf die Entwicklung im Frankenwald antwortete ihm Michelbach, dass er dafür das Konzept der "Innovationsregion" geboren habe. Er glaubt, "dass wir hier enorm zulegen müssen, an Förderung und Breitbandkabel-Ausbau". Außerdem müsse der 5G-Mobilfunk vorangebracht werden.
Keine Angst
Emotionaler ging es bei der Frage zu, wie sicher sich die Kandidaten in ihrer Heimat und in Deutschland infolge der Flüchtlingsankunft heute fühlen. "Ich fühle mich genauso sicher wie vor zwei, fünf oder zehn Jahren", stellte Christoph Raabs fest. Es gebe natürlich kriminelle "Einzelfälle" - leider mehr als früher -, daraus lasse sich aber keine generelle Bedrohung ableiten. Martin Böhm warnte davor, die "wohligen Coburger Verhältnisse aufs ganze Bundesgebiet zu projizieren". Alexander Arnold fühlt sich sicher, verlangte aber, dass Betroffene "beim Missbrauch des Gastrechts wieder gehen müssen". Viele ausländische Mitbürger würden jedoch einen guten Beitrag in Deutschland leisten. Michael Eckstein stellte klar, dass die Eingliederung in Coburg gut funktioniere. Dass unter 400 000 Flüchtlingen auch einzelne Kriminelle auftauchen, ist für ihn unvermeidbar.
Rene Hähnlein sagte, man müsse die Fluchtursachen bekämpfen. Doris Aschenbrenner machte sich mehr Sorgen um Trump, Erdogan und Putin. Hans Michelbach sieht in Deutschland unterschiedliche Gefährdungslagen, worauf die Politik reagieren müsse.
Stimmen danach
Martin Faber, Vorstand der Sparkasse Coburg-Lichtenfels, war als Mitveranstalter der Podiumsdiskussion nach 100 Gesprächsminuten zufrieden mit dem Abend. "Es gab sehr informative Beiträge", freute sich der Vorstand, dass die Runde "nicht belanglos" verlaufen ist. "Es war eine Dynamik drin und Spannung", zog er Bilanz. "Mir hat's gefallen."
Was die Kandidaten selbst betrifft, hätten seien alle seinen Erwartungen gerecht geworden. "Da gab es keine großen Überraschungen. Da ging es um Nuancen."
Heinz Köhler ist - bis auf Michelbach - den heimischen Bundetagskandidaten einen Schritt voraus. Als ehemaliger MdB weiß er aus eigener Erfahrung, worauf es in diesem Amt ankommt. Umso mehr freute er sich, dass in der Diskussion alle wichtigen Fragen auf den Tisch gekommen sind. Überraschende Antworten konnte er dabei aber nicht erkennen. "Es kamen die bekannten Statements", bilanzierte er. Auch etwas mehr Tiefe hätte er sich an mancher Stelle gewünscht. "Aber dass die Themen mehr an der Oberfläche geblieben sind, ist natürlich der Zahl von sieben Kandidaten und den eineinhalb Stunden Zeitvorgabe geschuldet."
Hintergrund
Der Regionentalk "Auf den Punkt" wird veranstaltet von Coburger Tageblatt, Radio Eins, iTV Coburg und der Sparkasse Coburg-Lichtenfels. Die Veranstaltungsreihe gibt es seit zehn Jahren. Einen Mitschnitt der Diskussion vom Donnerstag finden Sie
hierbei iTV Coburg.