Populistische Anträge und Propaganda: Wie Coburg eine Hochburg der Nazis wurde
Autor: Simone Bastian
Coburg, Freitag, 23. November 2018
"Herrschaftsraum" und "Lebenswelt" sind die zentralen Begriffe, anhand derer die Historikerin Eva Karl beschreiben will, wie sich Coburg in den 1920er-Jahren zu einer Nazihochburg entwickeln konnte.
Manchmal macht die Vergangenheit einen Satz und drängt sich in die Gegenwart hinein. So geschah es vor kurzem im Coburger Stadtrat: Historikerin Eva Karl schilderte, wie die ersten Coburger Nationalsozialisten unter Führung von Franz Schwede ihre drei Stadtratsmandate nutzten, um Aufmerksamkeit zu erregen und Rückhalt in der Bevölkerung zu gewinnen. Sie taten dies nicht durch sinnvolle Anträge oder überzeugende Redebeiträge. Sie verzögerten durch Dringlichkeitsanträge den Sitzungsverlauf, stellten populistische Anträge.
Parallelen zu heutigen Parlamenten gezogen
Da waren die Parallelen zum Auftreten der AfD in heutigen Parlamenten schnell gezogen. Vor allem machte Eva Karls Schilderung deutlich, dass bestimmte Muster nicht an Zeiten oder Orte gebunden sind. Was die Nationalsozialisten in Coburg noch probten, erhoben sie später andernorts zum Prinzip. Erfunden haben sie diese Methoden der Machtübernahme nicht.
Gert Melville, international anerkannter Spezialist fürs Mittelalter, kennt weitere Beispiele, wo dieser Ablauf funktioniert: Erst die Institutionen aushöhlen, sie dann für nicht legitimiert erklären und sie schließlich durch eine eigene, neue Institution ersetzen. So machten es die Nationalsozialisten in den 1920er und 1930er-Jahren mit dem Coburger Stadtrat und dem deutschen Parlament, so geschah es schon im Mittelalter, "und so macht es heute auch Donald Trump", sagt Melville.
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Die Institutionen wie Verwaltung, Stadtrat, Kirche, Behörden bilden den Herrschaftsraum eine Stadt. Wie haben sich die Nationalsozialisten den Coburger Herrschaftsraum aneignen können, und wie wirkte sich das auf die Lebenswelt der Einwohner aus? Mit diesen beiden Begriffen, Herrschaftsraum und Lebenswelt, versucht Eva Karl Coburg in der ersten Hälfte es 20. Jahrhunderts zu fassen. Sie soll die Stadtgeschichte für diesen Zeitraum aufarbeiten. "Das geht nicht chronologisch, Tag für Tag, Jahr für Jahr", sagt Eva Karl.
Mit ihrem Arbeitsbericht m Stadtrat gab Eva Karl einen ersten Einblick in ihre Herangehensweise. Zusammen mit Professor Melville erläuterte sie Details. Die Nationalsozialisten wollten eine "Volksgemeinschaft" schaffen. Das konnte aber nicht allein von oben funktionieren. "Die Frage ist: Was kam von unten? Wie verhielt sich die Bevölkerung?", sagt Melville.
Das Landestheater kann in mehrerlei Hinsicht als Beispiel dienen: Der Verwaltungsausschuss beschloss schon vor 1933, keine Juden mehr im Ensemble oder beim Personal dulden zu wollen; das Theater konnte aber auch für die Propaganda und die Imagepflege genutzt werden. Das Landestheater habe im Bewusstsein der Bevölkerung einen besonderen Stellenwert gehabt, und es ist eine Coburger Besonderheit, sagt Eva Karl.