Sascha haut mit 16 von zu Hause ab. Drogen, Gewalt, Knast gehörten zu seinem Alltag Heute versucht er, die Vergangenheit hinter sich zu lassen.
Seinen linken Unterarm hat er komplett schwarz tätowiert. An der Armbeuge ragt ein abstraktes, rotes Tattoo heraus, auf dem vier Pfeile miteinander verbunden sind. "Ich sehe sie an und denke an früher", sagt Sascha (36). Früher, als er ein Punk war. Als er dealte, sich zudröhnte, sich in Leipzig mit den Ultras von Lokomotive Schlachten lieferte und letztlich im Knast landete. Heute lebt er in einem Mehrfamilienhaus in Coburg, oben im vierten Stock, zusammen mit seinem Sohn. Ein zerknittertes Ramones-Poster hängt im Flur. Es erinnert noch an die Zeit, als er in einem besetzten Haus wohnte. "So nach und nach hänge ich die alle ab."
Rödental, Anfang der Neunziger. "Totales Fascho-Kaff", erinnert sich Sascha. Sein Bruder Christian, sechs Jahre älter, zeigt ihm die Welt der Punk-Musik. Sascha lernt Punks in Coburg kennen, steigt in die Szene ein. Und lebt sie voll aus. "Ich hab' Drogen genommen. Alles, was es gibt." Mit 16 haut er von zu Hause ab. Schnorren, klauen, dealen - damit hält er sich über Wasser. Er wollte nur Party machen. "Ich hab' voll No-Future gelebt. Autoritäten hab' ich nicht anerkannt."
Seine raue, tiefe Stimme wird leiser, betretener. Er senkt den Kopf leicht. Die Augen in den tiefen Augenhöhlen blicken auf die Kaffeetasse, die er mit beiden Händen umklammert. Es muss viel nachdenken, sich erinnern. Lang ist es her, dass er ausführlich über seine Vergangenheit gesprochen hat. "Es war halt alles so dramatisch."
Heute tut er alles, um nicht daran zu denken. Wenn ihm langweilig ist, kommen die Erinnerungen zurück, sagt er. "Das macht mich depressiv." Deshalb grübelt er daheim oft über die Arbeit nach. Er hat Schreiner gelernt, ist jetzt Fensterbauer und hat seinen eigenen Aufgabenbereich. "In meinem Kopf ist nur Arbeit", sagt Sascha.
Von der Demo in den Knast
Mit 17 wird er beim Drogenschmuggeln erwischt. Er kommt mit einer Bewährungsstrafe und einer Therapie davon. Diese bricht er ab. Der verhasste Staat schickt ihn nach Leipzig in eine Wohngruppe. Zwar kommt er dort an, er kehrt aber schon am ersten Tag nicht mehr dahin zurück. Ein Jahr lang versteckt er sich in Leipzig vor dem Haftbefehl. Auf einer Demo gegen die NPD wird er aber geschnappt. Zwei Jahre verbringt er in der JVA Ebrach (Landkreis Bamberg) im Knast. "War nix aufregendes. Ich hab viel gelernt. Wie man mit gar nichts auskommt, Gegenstände zweckentfremdet und mit Morsezeichen kommuniziert. Ich habe auch viel Gewalt erlebt", sagt er.
Sein Sohn hält ihn auch auf Trab. Immer wieder kommt er ins Wohnzimmer, zeigt stolz seine Spielsachen, fragt nach Süßigkeiten. Zwei Wochen wohnt er bei seinem Vater nebenan im Kinderzimmer. Zwei Wochen bei der Mutter. Seit anderthalb Jahren leben die Eltern getrennt. Sascha holt den Sohnemann vom Kindergarten ab, wäscht ihn, spielt mit ihm, kocht für ihn. "Dann ist der Tag gelaufen. Um fünf klingelt der Wecker", sagt Sascha. Auch ein Teil seiner Ablenkung.
Nach dem Knast findet er sich in der Hausbesetzerszene in Leipzig wieder. "Das war die geilste Zeit in meinem Leben", sagt er. Der Zusammenhalt, das Philosophieren, die Freiheit. Er arbeitet sogar als Gebäudereiniger. Die Lehre dazu machte er in der Haft.
Aber sein Drogenproblem wird immer schlimmer. Crystal und Koks lassen seine Zähne ausfallen. Heute trägt der 36-Jährige ein Gebiss. Damals beklaut er seine Freunde. Zu denen gehören auch die Ultras der BSG Chemie Leipzig. Sascha wird Teil der Szene, liefert sich Schlachten mit den Rivalen von Lok. Die lauern ihm sogar zu Hause auf. Deshalb entscheidet er, aus Leipzig zu flüchten. Mit Mitte 20 kehrt er zurück nach Coburg. Sascha schüttelt den Kopf: "Wenn ich heute darüber nachdenke, kann ich das gar nicht mehr nachvollziehen. Ich hab' echt jedem auf die Fresse gehauen. "
Der Wandel
Warum hat er sein altes Leben hinter sich gelassen, hat seine mit spitzen Nieten bestückte Lederkluft gegen Arbeitshose und Sicherheitsschuhe getauscht? "Das ist ganz einfach erklärt: da!", sagt Sascha und zeigt mit dem Finger auf die Wand, hinter der sein Sohn in seinem Kinderzimmer spielt.
Sascha will ihm ein Vorbild sein. Er hört auf mit den Drogen. Einfach so, sagt er. Den Kontakt zu seinen alten Freunden bricht er ab. Als ein paar Jahre vorher seine Tochter geboren wurde, erkannte er die Lage noch nicht: "Ich war damals noch nicht reif genug und habe die Verantwortung nicht gesehen." Heute hat er nur wenig Kontakt mit ihr.
Er will sich ein neues Leben aufbauen und trifft den Sozialpädagogen Olaf Leipold. "Er hat mich quasi in die richtige Richtung getreten", sagt Sascha. "Leg die Scheiße ab, du hast was drauf", habe Leipold immer auf ihn eingeredet. Sascha holt bei ihm die Mittlere Reife im BfZ nach, beginnt eine Lehre als Koch, arbeitet im Trockenbau, am Fließband und im Metallbereich. "Das hat mir aber nie was gegeben", sagt er.
Der Rückfall
Dann entdeckt er seine Leidenschaft für Holz wieder. Die hat er von seinem Vater. Er beginnt eine Lehre als Schreiner. Aber auch in diesem Betrieb hält er es nicht lange aus. Er bekommt Hilfe von Nina Axmann im Jobcenter. Sie vermittelt Sascha an Marcus Riedel. Ihm gehört eine Holzmanufaktur in Lautertal. "Das war das Beste was mir passieren konnte. Ich habe bei ihm viel sehr viel gelernt." Nach zwei Jahren schließt Sascha die Lehre ab.
Die Trennung von seiner Frau wirft ihn aber wieder aus der Bahn. Wochenlang geht er nicht zur Arbeit und trinkt. Heute bereut Sascha sein Verhalten: "Das war nicht schön." Doch Riedel gibt ihm nach einem heftigen Streit eine zweite Chance.
Ob er nochmal so tief fallen könnte? "Ich habe gar keine Angst zurückzufallen", ist Sascha sich sicher. "Ich habe kein Verlangen danach."