Wie Madeleine Wegner einem zweieinhalb Jahre alten Mädchen aus Russland das Leben rettete und warum sie das Kind erst in zwei Jahren kennenlernen darf.
Madeleine Wegner hat panische Angst vor Nadeln. Oder besser: Sie hatte Angst. Deshalb entschied sie sich im Juni 2012 für ein Wattestäbchen, das sie lieber im Internet bestellte als sich bei der Typisierungsaktion, die die Coburger Berufsschule für die Deutsche Knochenmarkspenderdatei (DKMS) durchführte, Blut nehmen zu lassen.
"Es war ganz einfach", sagt die mittlerweile 21-Jährige, die unbedingt bei der Aktion mitmachen wollte, sich aber eben zunächst nicht traute. Mit dem Wattestäbchen tupfte sie sich den Mund aus und schickte es zur Auswertung zurück an die DKMS. So weit, so gut. Genau wie ihre Eltern war jetzt auch Madeleine typisiert und trug ihr Kärtchen mit der Registrierung immer bei sich.
Übereinstimmung!
Im November dann, kaum ein Vierteljahr später, kam ein Brief aus Tübingen von der Zentrale der DKMS: "Erfreulicherweise hat sich
herausgestellt, dass Sie mit einem Patienten, für den ein Stammzellenspender gesucht wird, in mehreren Gewebemerkmalen übereinstimmen." Schnellstmöglich sollte sich die junge Frau mit Tübingen in Verbindung setzen. "Oh Gott, dachte ich, was passiert jetzt?" Immer noch ganz aufgeregt, wenn sie daran zurückdenkt, erzählt Madeleine was in ihr vorging. Formulare, mehrere Infobriefe und vor allem, alles, was für eine Blutentnahme gebraucht wird, lag bereits bei! Der Hausarzt redete ihr gut zu, nahm ihr die Angst und die benötigte Blutprobe ab.
Wieder vergingen drei Monate, bis sich die Klinik endlich meldete. Doch dann war die Enttäuschung groß. "Denn es hieß, meine Spende werde nicht gebraucht." Es sollte eben nicht sein, dachte die 21-Jährige, die so gerne gespendet hätte.
Alles ging plötzlich ganz schnell
Im Juli vergangenen Jahres klingelte plötzlich das Telefon auf der Arbeit. Es meldete sich die DKMS. Der Arzt des Patienten hat sich gemeldet und die Stammzellenspende wird doch benötigt. Am 10. und 11. September sollte Madeleine Wegner nach Dresden kommen.
Die Firma Brose, wo Madeleine als Industriekauffrau arbeitet, hat sie dafür sofort freigestellt und den Betrag, den die DKMS für den Arbeitsausfall bezahlt hätte, gespendet.
Bevor es allerdings so weit war, musste noch eine ganze Reihe von Voruntersuchungen bei Madeleine gemacht werden, "damit auch wirklich alles passt". Und es musste eine Entscheidung getroffen werden: Auf welche Art und Weise möchte Madeleine ihre Stammzellen spenden? Es gibt die Möglichkeit einer Operation, bei der Knochenmark entzogen wird, oder aber über eine periphere Stammzellenspende.
"Vor
einer Operation hatte ich noch mehr Angst, deshalb entschied ich mich für die ,Blutspende'", erzählt sie. 80 Prozent der Spender entscheiden sich übrigens für diese Methode. Dem Spender wird dabei über fünf Tage hinweg der Wachstumsfaktor G-CSF verabreicht. Dieses Medikament steigert die Anzahl der Stammzellen im peripheren Blut, die dann über ein spezielles Verfahren direkt aus dem Blut gewonnen werden.
Die kleinen Spritzen - ähnlich wie bei Diabetes - waren nicht das Problem. "Weh getan, haben die nicht, aber als ich anfing, darüber nachzudenken, habe ich es doch lieber meine Mama machen lassen", sagt die junge Frau und lacht dabei. Tatsächlich war es so, dass man sich in diesen fünf Tagen ein bisschen krank fühlt - wie bei einer Grippe.
"Aber nicht schlimm."
"Sex and the City" mit Blutwäsche
Am Spendertag selbst bekam Madeleine eine Art Blutwäsche, bei der die notwendigen Stammzellen herausgefiltert werden. Das dauert normalerweise bis zu acht Stunden. Lange Stunden, in denen man sich nicht bewegen darf, allerdings in aller Ruhe zum Beispiel "Sex and the City" gucken kann, wofür sich die Coburgerin entschieden hat. Nach einer Spielfilmlänge war Madeleine bereits fertig. Bis auf ihre Finger und Lippen, die kribbelten, und ein bisschen Schwindel verlief alles bestens.
Zusammen mit der Spende schickte Madeleine auch gleich noch einen Brief an den Patienten mit, von dem sie ja so gar nichts wusste.
"Ich wollte einfach nur mein Mitgefühl zeigen, viel Glück wünschen und sagen, dass ich hoffe, dass meine Zellen ihre Arbeit gut machen."
Kurz vor Weihnachten informierte sie die DKMS dann über den Gesundheitszustand der Patientin. Madeleine war sehr aufgeregt. Sie erfuhr, dass es zwischenzeitlich zu "transplantationsbedingten Begleiterscheinungen" gekommen war, auch zu einer Abstoßungsreaktion. "Die Zeit nach der Transplantation ist von vielen Untersuchungen und den Nebenwirkungen der Chemo- und Strahlentherapie geprägt", hieß es in dem Brief. Dennoch sei die Patientin bereits aus der Klinik entlassen und befinde sich auf dem Weg der Besserung. "Das war ein unbeschreiblich schönes Gefühl", sagt Madeleine und immer noch kommen ihr ein paar Tränen.
Über ihre Betreuerin bei DKMS erfuhr die Spenderin aus Coburg, dass es sich um ein zweieinhalb Jahre altes Mädchen aus Russland handelt, das seit seiner Geburt nur im Krankenhaus war. Der Gedanke, dass das Kind sein erstes Weihnachten zu Hause verbracht hat, rührt sie sehr. "Leider kann ich es erst im September 2015 persönlich kennenlernen", bedauert die junge Frau. Bis dahin läuft alles nach den deutschen Richtlinien anonym über die DKMS.
Brief von der Mutter
Um so mehr freute es sie jetzt, als am 5. Februar ein Brief von der Mutter der kleinen Patientin an sie in der Post war. "Hab ich geheult!" In englischer Sprache verfasst und ohne Rückschlüsse auf die Person zu ziehen, bedankt sich die überglückliche Mutter bei der Lebensretterin ihrer Tochter. Natürlich ist eine Antwort nach Russland längst auf den Weg gebracht.