Stehende Ovationen gab es beim 2. Sinfoniekonzert des Landestheaters in der Coburger Morizkirche für das Philharmonische Orchester unter Leitung von Generalmusikdirektor Roland Kluttig für die mitreißende Interpretation von Mahlers 5. Sinfonie. Gefeierte Vokalsolistin in Mahler Rückert-Liedern: Verena Usemann.
Manchmal verwandelt sich ein ganzes Konzert in eine einzige Geste. Die Hände vor der Brust gekreuzt, den Kopf leicht nach vorne geneigt - so verharrt Coburgs Generalmusikdirektor Roland Kluttig einige unendlich lang erscheinende Momente nach der hymnischen Steigerung im Finale von Gustav Mahlers "Fünfter". Erschöpft, erleichtert, glücklich? Dann hebt er die Arme, lässt das Philharmonische Orchester aufstehen - und der Jubel in der Morizkirche bricht los.
Spätestens in diesem jubelnden Dank an das Philharmonische Orchester des Landestheaters und seinen Dirigenten weiß wohl jeder, warum es sich an manchen Abenden ganz besonders lohnt, nicht den CD-Player mit einer hochgelobten, digital auf Hochglanz polierten Aufnahme im Dolby-Surround-Sound zu füttern, sondern ins Konzert zu gehen.
Lässt sich Musikgenuss in den Kategorien vermeintlicher Perfektion beschreiben, die nur im Tonstudio digital zu montieren ist? Oder
entsteht Musikgenuss nicht doch in jenem Moment, in dem das Glück des Gelingens über die immer auch bestehende Möglichkeit des Scheiterns triumphiert? Jener Moment des Gelingens, der scheinbar mühelos leicht und selbstverständlich klingt, in Wahrheit aber das Resultat höchster Konzentration und klug gebündelter Begeisterung ist.
Sehnsucht nach Glück Scheinbar mühelos richtig und selbstverständlich - so klingt Mahlers "Fünfte" beim Sinfoniekonzert des Landestheaters in der Morizkirche. Dabei hatte Mahlers einst schwer zu ringen gehabt mit dieser Sinfonie, hatte die Instrumentation nach der Uraufführung im Oktober 1904 in Köln mehrfach überarbeitet.
"Die Fünfte ist ein verfluchtes Werk. Niemand capiert sie" - dieses fast verzweifelt klingende Zitat aus dem Mund des Komponisten steht wie ein Ausrufezeichen im Programmheft des Abends.
Von diesem Fluch freilich ist bei diesem Konzert nichts spüren.
Alles klingt vielmehr ganz selbstverständlich - als müsste es genau so und nicht anders sein. Woran aber liegt das? Schließlich ist Mahlers Musik gerade auch in dieser "Fünften" voller schroffer Kontraste. Tiefste Trauer und jäh ausbrechender Jubel stehen unvermittelt nebeneinander, wilde Verzweiflung und die unstillbare Sehnsucht nach Glück begegnen sich manchmal im Wechsel von einem Takt zum nächsten.
Doch Mahlers Musik zerbricht nicht an diesen Kontrasten, sondern gewinnt ihre Ausdruckskraft genau aus diesen Kontrasten. "Zeitgenosse der Zukunft" - so lautete der Titel einer 1969 erschienen Mahler-Biografie. Diese Zukunft scheint Gegenwart geworden zu sein.
Vielleicht ist es ja dieser Kontrastreichtum in Mahlers Sinfonik, die diesen Komponisten so gegenwärtig erscheinen lässt in einer Welt, die wie aus den Fugen geraten wirkt.
Am Dirigentenpult jedenfalls verbindet Roland Kluttig genaues Wissen um die Architektonik des rund 75-minütigen Riesenwerkes mit der Sorgfalt für präzise Gestaltung von Details. Vor allem beweist er feines Gespür für die ständigen Veränderungen im Tempo, formt Übergänge und lässt die Musik in jedem Takt, in jeder Note atmen.
Traumwandlerisch souverän Die Zuhörer erleben hervorragende solistische Leistungen in allen Instrumentengruppen - allen voran die besonders exponierten Solostellen der ersten Trompete (Markus Riepertinger) und des ersten Horns (Martin Osterhammer).
Vor allem aber erleben sie, wie sich das höchst konzentriert musizierende Orchester
mitreißen lässt von Kluttigs traumwandlerisch souveränem Dirigat und seine gestalterischen Impulse in faszinierend lebendigen Klang verwandelt.
Kammermusikalisch intim mutet der Beginn an - Mahlers fünf Rückert-Lieder, die fast zeitgleich mit den ersten Skizzen zur "Fünften" entstanden. Verena Usemann singt sie mit schlankem, aber dennoch tragfähigem Mezzosopran und fein differenziertem Ausdruck.
Der Rest ist Jubel, schrankenlose Begeisterung und das Bewusstsein, Zeuge eines außergewöhnlichen Gustav-Mahler-Abends geworden zu sein: Roland Kluttig und das Philharmonische Orchester des Landestheaters auf künstlerischem Höhenflug.
Zu den Werken
Gustav Mahler, 5. Symphonie Die ersten Skizzen zu dieser fünfsätzigen Symphonie stammen aus dem Jahr 1901.
In Mahlers Sommerdomizil in Maiernigg 1902 sind große Teile der Symphonie entstanden, die Reinschrift der Partitur aber beschäftigte Mahler bis in die ersten Monate des Jahres 1903. Danach hat der Komponist mehrfach an der Instrumentation gearbeitet. So schreibt Mahlers Frau Alma in ihren Erinnerungen, er habe schon zu den Proben der Uraufführung am 19. Oktober 1904 im Kölner Gürzenich "eine vollkommen veränderte Partitur" mitgebracht.
Mehrfach überarbeitet Aber selbst nach der Uraufführung hat Mahler nochmals überarbeitet. So schrieb er wenige Monate später an den Dirigenten Willem Mengelberg, dass er "umfangreiche und wichtige Retuschen" vorgenommen habe. Selbst in einem Brief von 1906 ist von einer "Unmenge Retuschen" die Rede, "die aber alle äußerst wichtig sind." Kurz vor seinem Tod nahm er die Partitur dann nochmals vor.
"die Fünfte habe ich fertig", heißt es am 8. Februar 1911 aus New York, "sie musste faktisch völlig uminstrumentiert werden". In seinem Mahler-Buch von 1913 erwähnt Richard Specht drei verschiedene gedruckte Fassungen. "Die Fünfte ist sehr, sehr schwer", schrieb Mahler in einem Brief an Mengelberg.
Rückert-Lieder Die fünf Rückert-Lieder sind - anders als die sogenannten "Kindertotenlieder" nicht als Liederzyklusm sondern zunächst als Einzelwerke zwischen Juni 1901 und august 1902 entstanden. In der Orchesterfassung erlebten vier der fünf Lieder ihre Uraufführung am 29. Januar 1905 in Wien unter Leitung des Komponisten. Die Insturmentation des Liedes "Liebst du um Schönheit" schuf der Dirigent Max Puttmann nach Mahlers Tod. Im Jahr 1926 erschienen die fünf Rückert-Lieder unter dem Titel "Sieben Lieder aus letzter Zeit" gemeinsam mit zwei Wunderhorn-Vertonungen ("Revelge" und "Der Tamboursg'sell").