Leben an der innerdeutschen Grenze: Erinnerungen ausgetauscht

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Werner Langbein (rechts) aus Meilschnitz und Hans Schindhelm aus Mürschnitz kennen sich schon seit den Zeiten des Grenzzauns. Fotos: Gabi Bertram
Werner Langbein (rechts) aus Meilschnitz und Hans Schindhelm aus Mürschnitz kennen sich schon seit den Zeiten des Grenzzauns. Fotos: Gabi Bertram
Zünftig wurde die Grenzöffnungsfeier von den Meilschnitzern und Mürschnitzern begangen.
Zünftig wurde die Grenzöffnungsfeier von den Meilschnitzern und Mürschnitzern begangen.
 
Bilder werden herumgereicht, ...
Bilder werden herumgereicht, ...
 
...Bilder von der Grenzöffnung vor 25 Jahren.
...Bilder von der Grenzöffnung vor 25 Jahren.
 
Hans Schindhelm aus Mürschnitz zeigt der achtjährigen Vanessa, wo einst die Grenze verlief und sein Vater noch Felder bewirtschaftet hatte.
Hans Schindhelm aus Mürschnitz zeigt der achtjährigen Vanessa, wo einst die Grenze verlief und sein Vater noch Felder bewirtschaftet hatte.
 

Um die 200 Meilschnitzer und Mürschnitzer trafen sich am Samstag an der einstigen innerdeutschen Grenze, die beide Orte trennte. Am 27. Januar vor 25 Jahren war hier der Grenzzaun durchschnitten worden.

So ähnlich, wie die Ortsnamen sind, so verschieden war über Jahrzehnte lang der Alltag der Menschen, waren doch alle Verbindungen, auch verwandtschaftliche, gekappt worden. Am "Meilschnitzer Sack" hatten noch ein paar Jahre lang Mürschnitzer Bauern ihre Felder bewirtschaftet, bis der Grenzzaun gezogen und später ein Minenfeld angelegt wurde.

Von dieser harten Zeit sprechen vor allem die Mürschnitzer, die Thüringer, die nicht einmal zum Gruß nach drüben winken durften, ohne Gefahr zu laufen, abgeführt zu werden. Solche düsteren Erinnerungen, aber auch die freudigen an diesen denkwürdigen Tag vor 25 Jahren machen die Runde an der Ortsverbindungsstraße zwischen Meilschnitz (Landkreis Coburg) und Mürschnitz (Landkreis Sonneberg), dort, wo früher Welten geteilt wurden und für beide Orte die Welt zu Ende war.

Werner Langbein aus Meilschnitz hat Bilder mitgebracht, und jeder kennt irgendjemanden. "Das ist doch der Klaus", und "Das muss mein Vater sein". Scherze werden gemacht: "Die Ostzone grüßt die Westzone" oder "Hast du nicht das Schild gelesen: Bratwurst essen auf eigene Gefahr?".

Hans Schindhelm aus Mürschnitz kann sich noch erinnern, wie er als kleiner Junge direkt an der Grenze Felder gepflügt hat: "Zuerst war es noch der Zehn-Meter-Streifen, später wurden daraus 100 Meter, und wir brauchten einen Passierschein, um das Land zu bearbeiten. Nie werde ich vergessen, wie auf der anderen Seite der Grenze der Werner Langbein, ein Freund meines Vaters stand, und mir Kaugummi und dem Vater ein Zigarettenpäckchen rübergeworfen hat."

An den Tag vor 25 Jahren hat natürlich auch jeder seine eigenen Erinnerungen. Eberhard Liebermann, der damals Vorsitzender des Sportvereins im oberfränkischen Meilschnitz war, spricht von einer "gigantischen Stimmung" in der alten Schule, wo die Meilschnitzer ihre Ostnachbarn aus Mürschnitz mit Kaffee und Kuchen bewirteten, wo gemeinsam gefeiert wurde, wo erste Kontakte entstanden - zwischen den Feuerwehren und dem Sportverein.

Heiko Voigt, Vizebürgermeister von Sonneberg lässt den Tag noch einmal Revue passieren. Begonnen habe alles mir ein paar Schreckminuten, sagt er. Um die 200 Neustädter hätten an diesem 27. Januar 1990 hier an diesem Ort gestanden und darauf gewartet, dass die Mürschnitzer kommen. Bläsergruppe, Blumen, Lagerfeuer - aber wo waren die Mürschnitzer? Bis endlich ein Transparent auftauchte: "Müschnitz grüßt Meilschnitz". Und dann, sieben Minuten for halb elf, wurde unter großem Jubel der Grenzzaun aufgeschnitten und gefeiert.

Das Gedicht kann sie noch heute

Ein Mädchen hatte ein Willkommensgedicht aufgesagt. Das Mädchen, das heute eine junge Frau ist, hieß Tanja Greiner (heute Tanja Altrichter), und sie steht mit dabei. Elf Jahre war sie damals, konnte die Bedeutung des Tages gar nicht richtig fassen, aber sie kann noch heute die Strophen des Gedichts aufsagen: "Wir stehen hier am rot-weißen Band, mit Blumen und der Scher' in der Hand. Zwischen uns liegen nur noch wenige Schritt, wir trennen das Band mit einem Schnitt."

Für Tanja war es ein aufregender Tag, vor allem deshalb, weil sich die Eltern und Großeltern freuten, endlich ihre Verwandten besuchen zu können. "Wir waren auch zu DDR-Zeiten die Verwandten in Schichtshöhn besuchen, mussten dann immer bei Eisfeld über die Grenze, das war beklemmend."

Die Kontakte sind geblieben

Eine Woche später waren dann die Meilschnitzer in Mürschnitz, feierten gemeinsam im Gasthof Luthardt. Die Kontakte sind geblieben. Die Feuerwehren halten gemeinsame Übungen ab, und auch davon gibt es viele lustige Geschichten. Die Meilschnitzer gehen zum Maifest nach Mürschnitz, und umgekehrt die Mürschnitzer zum Dorffest nach Meilschnitz.

Auch private Freundschaften sind entstanden und haben bis heute gehalten. Nur eine Meilschnitz-Mürschnitzer Ehe gibt es noch nicht.

Jeder erzählt Geschichten. Wehrführer Holger Müller war 16 Jahre alt, bei der Jugendfeuerwehr in Mürschnitz und hatte sich mit seinem Moped an diesem Tag am ersten geschlossenen Zaun auf dem Weg zur Grenzöffnung nicht aufhalten lassen. "Wir sind einfach über Neustadt gefahren, da war ja schon offen."

Auch Peter und Erika Otto aus Mürschnitz waren an diesem denkwürdigen Tag vor 25 Jahren dabei. Noch heute spüren sie förmlich die Begeisterung, die bei den Menschen geherrscht hatte. Und Peter Otto erinnert sich: "Unsere Akkordeongruppe war zu DDR-Zeiten von der Akkordeongruppe Neustadt eingeladen gewesen. Wir haben einen Antrag beim Kulturministerium gestellt, aber natürlich nie eine Antwort bekommen. Dieses Treffen und gemeinsames Musizieren mussten warten, bis die Grenze gefallen war."

Desiree Sonnemann war drei Jahre alt. Viele Erinnerungen hat sie nicht, aber eines hat sich bei ihr im Gedächtnis festgebissen: "Meine Eltern und Großeltern sind mit mir nach Sonneberg gefahren. Den Gestank nach Braunkohle hab' ich förmlich heut' noch in der Nase."

Auch Martin Stingl, Neustadts Dritter Bürgermeister, lässt das Gänsehaut-Feeling der einstigen Tage vor 25 Jahren noch einmal aufleben: "Das war eine Riesenbegeisterung."

Die nachbarschaftliche Freundschaft auch weiterhin zu pflegen, das versicherten sich an diesem Tag die Meilschnitzer und die Mürschnitzer. Andreas Sperschneider, Feuerwehrvereinsvorsitzender auf Thüringer Seite, machte dafür auch gleich einen Vorschlag: "Wie wäre es, mal zu einem gemeinsamen Bilderabend einzuladen, wo jeder seine alten Fotos mitbringt? Dazu brauchen wir kein Jubiläum."