Kommentar:
Ästhetik der Depression. Überall
Es breitet sich Schrecken aus im Hinblick auf das Landestheater Coburg, der zentralen Kulturinstitution für den Coburger Raum und darüber hinaus. Und zwar rasant. Der Beginn der ersten Spielzeit des neuen Intendanten Bernhard F. Loges ist als sehr unglücklich zu bezeichnen.
Nach den "sieben fetten Jahren" unter Bodo Busse möchte man es nicht wahrhaben. Doch mittlerweile kommen die alle schon erlebten Probleme und Bedrohungen früherer Zeiten wieder hoch. Es geht nicht um die eine oder andere nicht so glückliche Inszenierung. Es geht darum, in Zeiten allumfassender Zerstreuung Publikum und (kommunalpolitische) Unterstützung zu halten für eine Institution, die sich sowohl der gesellschaftlichen Weiterentwicklung als auch unserem kulturellen Erbe verpflichtet fühlt. Und zwar in einem weiten ländlichen Raum, in dem es schwieriger ist als in einer Metropole, die Leute zusammen zu kriegen.
Das Coburger Publikum allerdings reagiert derzeit eindeutig: Es bleibt in deutlich sichtbarer Weise weg und das in dem herkömmlicher Weise besucherstärksten Zeitraum der Saison. Es ist nachvollziehbar, warum. Schaut man sich den Spielplan an, ist zu befürchten, dass es so bleibt. Und deshalb jetzt hier der Versuch, die aktuelle Situation bewusst zu machen. Vielleicht können die Verantwortlichen noch entgegensteuern. Denn es ist generell die Lust am Theater, die freudige Erwartung an sich, die Erfahrung des Landestheaters als stetig reizvollem kulturellen Mittelpunkt der lokalen Lebenswelt, die nicht verloren gehen dürfen (was wir, wie gesagt, alles schon hatten). Wenn der "Knacks" einmal da ist, interessieren sich die Leute auch nicht mehr für die wirklich guten Produktionen.
Gehen wir davon aus, dass das sogenannte Weihnachtsmärchen, heuer "Drei Nüsse für Aschenbrödel", funktionieren wird, so ändert das doch nichts an der Gesamtlage. Wer hätte gedacht, dass " Die Zauberflöte" nicht "funktionieren" würde? Die hielt man als Auftaktproduktion der neuen Intendanz für eine freundliche Handreichung, bevor man sich den durchaus wünschenswerten Herausforderungen des Spielplanes stellen würde. Doch wer es nicht erlebt hat, wird nicht glauben, dass gerade die "Zauberflöte" so vollkommen ins Depressive gewendet werden könnte. Ja, es gibt auch einige positive Stimmen, doch die Mehrzahl der Besucher verlässt das Theater nach dieser Inszenierung völlig niedergeschlagen. Und da sich in dieser Stadt und dieser Region alles schnell herum spricht, kommen viele, die nicht Abo-gebunden kommen müssen, gleich gar nicht. Einmal gekaufte Karten können nicht zurückgegeben werden. Die Familienoper par excellence ist für Kinder nicht geeignet. Im Gästebuch des Landestheater steht die Frage geschrieben: "Wie viele Kinder werden heute Nacht Albträume haben?" Die Mehrzahl der Urteile läuft unter "fürchterlich, Zumutung, Frevel, bin völlig erledigt".
Doch wäre es das allein. Die wiederaufgenommene Shakespeare-Produktion "Macbeth" ist großartig, aber schwerer Stoff, düster. Dann kam das Musikstück "Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss"; gut gemacht, aber vom Stoff her niederdrückend. Düster. Roland Fisters "Alice im Wunderland" ist dispositorisch verspielt. In der Reithalle: Stephen Sondheims moderne Kammeroper "Marry me a little" - niederdrückend, düster. Dann erst Mal nichts Neues, sondern Wiederaufnahmen, das Demenz-Stück "Vater", nahegehend, sicher; die bitterböse Komödie "Gespräch wegen der Kürbisse". Dann kommt "Psychose". Vielleicht dürfen wir bei den choreografischen Miniaturen des Ballettensembles ein bisschen aufatmen. Zurück ins große Haus: Ein ambitionierter dreiteiliger Ballettabend, doch Tanztheater bewegt eher nicht die Massen. Auch hier: die Premiere war mäßig besucht. Hält man sich allerdings das werbende Plakat für "Drei Farben" vor Augen, greift auch hier schon Düsternis nach dem Betrachter.
Womit wir beim äußeren Auftreten, dem neuen Erscheinungsbild des Landestheaters wären. Und das ist generell einer Ästhetik der Düsternis verpflichtet. Die Plakate, die Druckerzeugnisse überhaupt: schwärzlich, unklar, abschreckend. Und in der dünnen, blässlichen Schrift sehr schwer zu lesen. Die Leute ärgern sich jeden Abend; die kleinen, unansehnlichen Programmhefte, in denen die Bilder in dem glänzenden Papier verschwimmen, sind nicht leserlich, schon gar nicht, wenn sie in gedämpftem Gelb oder Ocker gehalten sind.
Depression als Grundstimmung der neuen Intendanz? Da braucht man den Leuten keineswegs Vergnügungssucht vorzuwerfen, wenn sie sich dem nicht ständig aussetzen wollen. Wo ist die nächste große Oper? Benjamin Brittens "Peter Grimes" Ende Januar. Gutes Stück, aber: Düsterer Stoff. Bis zum Ende der Spielzeit keine Operette in Aussicht. Vielleicht wird das Sondheim-Musical "Into the Woods" solch ein Schlager, dass wir auch verschmerzen können, dass es an Silvester nichts weiter Herausragendes gibt.
Und nun auch noch die Absage der Sommerfestspiele im Hof der Ehrenburg. - Ach gäbe es doch einen Lichtblick. Es müsste ganz schnell etwas geschehen. Bitte.