Der Wechsel von Hans-Jürgen Reimann nach Ahorn ist aus vielerlei Gründen eine komplizierte Angelegenheit.
Mit über 500 Unterschriften, die Senioren in nur einer Woche gesammelt haben, wenden sich die Bürger an die Kassenärztliche Vereinigung. Die Unterzeichner sprechen sich nicht nur für Hans-Jürgen Reimann als Hausarzt aus, sondern auch gegen die derzeitige hausärztliche Betreuung der Gemeinde. Diese hat Dr. Pils aus Schleusingen, der die Praxis für zwölf Stunden in der Woche geöffnet hat.
Die Situation der hausärztlichen Versorgung beschäftigt Bürgermeister Martin Finzel (parteilos) seit einigen Wochen. Die Beschwerden der Patienten füllen Aktenordner. Darüber hat Finzel die KVB bereits Ende Oktober informiert. "Zu den Beschwerden", sagt Finzel, "kommt eine hohe Fluktuation der Patienten". Er sieht hier dringenden Handlungsbedarf.
Auf seiner Vergangenheit lieg ein Schatten Behaftet ist die ganze Situation allerdings mit einem Makel. Dr. Hans-Jürgen Reimann - der von der Praxis Pils eingestellt wurde und über Monate die ärztliche Versorgung samt Hausbesuchen mit übernahm - ist zwar ein überaus beliebter Hausarzt, auf seiner Vergangenheit aber liegt ein Schatten.
Auf Nachfrage spricht Reimann offen. 2003 wurde der Mediziner wegen Betrugs zu einem Jahr Bewährungsstrafe verurteilt. Als Leiter eines Forschungsinstitutes flossen in dieser Zeit 150 000 Euro Fördergelder für einen Forschungsauftrag. Eine Summe, die er vorfinanzierte, um seine Mitarbeiter zu bezahlen. Nach dem Zugang der Mittel gingen diese dann auf sein Privatkonto. Ein Formfehler der ihm als Veruntreuung zur Last gelegt wurde.
"Bereichert", versichert Reimann, "habe ich mich nicht". Eine Aufsichtsratsstelle, die er im Gegenzug für weitere Fördergelder zugunsten seines Forschungsinstitutes bei einem Geldgeber eingenommen hatte, habe er niedergelegt, als er von dessen unseriösen Geschäftspraktiken erfuhr. Dass sein Name damit in Misskredit geriet, konnte er nicht verhindern.
Nach seiner Verurteilung wanderte Reimann nach Amerika aus, um zu forschen und zu arbeiten. Er wollte die ganze Angelegenheit hinter sich lassen. Seine Bewährungsauflagen holten ihn nach der Rückkehr nach Deutschland allerdings ein. Aus dem Klinikbetrieb heraus wurde er verhaftet und in die Justizvollzugsanstalt Suhl-Goldlauter eingewiesen.
Nur noch vorne blicken Drei Monate verbrachte er dort, den letzten Monat als Freigänger. In dieser Zeit, sagt Reimann habe er sich - nachdem Dr.
Pils im Internet nach einem angestellten Arzt gesucht hatte - für Ahorn beworben. Die daraufhin geschlossene Vereinbarung zur Anstellung des Dr. Reimann habe Pils nicht mit ihm selbst, sondern mit der Justizvollzugsanstalt direkt abgeschlossen. Am 5. Juli begann Dr. Reimann - täglich auf Tour zwischen Suhl-Goldlauter und Ahorn - seine ärztliche Tätigkeit in Ahorn. Ab August nicht mehr als Freigänger, sondern entlassen - mit Bewährungsauflagen. Die Ahorner, sagt Reimann, hätten diesen Sachverhalt natürlich nicht gewusst. "Wer läuft schon mit einem Makel auf der Stirn durch die Gegend." Nun wolle er nach vorne blicken.
Patienten haben Vertrauen zu Reimann Den Ahorner Patienten scheint das aber sowieso egal zu sein. Sie haben Vertrauen zu dem Arzt gefunden, wie die vielen Unterschriften belegen. "Gott sei Dank", sagt Reimann.
Er betont, nie einen ärztlichen Fehler begangen zu haben. Denn das wäre richtig schlimm für ihn gewesen. Über die Monate in der Praxis Pils will sich Reimann nicht im Detail äußern. Was er will: Eine Chance, als internistischer Hausarzt wieder Fuß zu fassen. In Ahorn fühlt er sich aufgenommen.
Martin Finzel sieht in erster Linie die hausärztliche Versorgung in der Gemeinde gefährdet. Mit dreimal vier Stunden in der Woche sei die medizinische Versorgung für rund 4500 Bürger nicht gewährleistet. Mit der Neubesetzung der Arztstelle im Juli hatte sich die Gemeinde eine Lösung der Hausarztfrage erwartet, zumal zu Beginn auch die Neuanstellung weiterer Ärzte in Aussicht gestellt wurde.
Getrennt wissen möchte der Bürgermeister die schwierige hausärztliche Betreuungssituation der Bürger von der Frage einer Lösung und Dr. Reimann als Person.
Auf die Vergangenheit von Reimann angesprochen, erkläre Finzel, dass sich die Gemeinde umfänglich auf die fachkundige Prüfung von Dr. Pils als Praxisinhaber und dessen wohl erfolgte Abstimmung mit der Kassenärztlichen Vereinigung verlassen habe. Finzel jedenfalls bestätigt: "Die Bürger haben Dr. Reimann als einen gründlichen und angenehmen Arzt erlebt, der sich Zeit für seine Patienten nimmt."
Wichtig ist dem Gemeindeoberhaupt auch, dass die aktuelle schwierige Situation nicht von heute auf morgen passierte, sondern sich entwickelt hat. So wurde der aktuelle Praxisinhaber mit der Bitte um Veränderung zum Beispiel auf den großen Patientenschwund und die Wünsche der Bürger nach einer Verbesserung von Hausbesuchen und Versorgung angesprochen. Ohne Erfolg.
Da sei es nur verständlich, dass sich die Bürger organisieren, Unterschriften sammeln und die Gemeinde sich für sie einsetzt.
Für Reimann wünscht sich der Bürgermeister "auch aus christlicher Sicht" eine neue Chance und die Möglichkeit eines Neubeginns. Wenn damit auch den Menschen in Ahorn geholfen wird, so das Gemeindeoberhaupt, ist dies nur zu unterstützen. Einen Niederlassungsantrag hat Reimann am Dienstag bei der KVB in Bayreuth gestellt. Der Zulassungsausschuss wird sich nach eingehender Prüfung am 5. Dezember 2012 mit diesem Antrag beschäftigen.
Ob schließlich Dr. Hans-Jürgen Reimann eine Niederlassung für Ahorn erhält oder nicht, erklärt Finzel, wird sich dann zeigen. Einen "echten Hausarzt", sagen Johanna Deichmann, Dagmar Weber und Gudrun Zwilling vom Seniorenbeirat, "den wünschen wir uns und viele andere auch."