Die BLLV-Vorsitzende Susanne Gerhardt sorgt sich um ihren Berufsstand. Die Verurteilung eines Lehrers wegen Körperverletzung wirft viele Fragen auf.
Coburgs Lehrer fühlen sich hilflos und verunsichert. Grund ist die Verurteilung des langjährigen Sportlehrers einer Coburger Grundschule wegen Körperverletzung. Er soll einen Erstklässler auf den Mund geschlagen haben, weil der sich seinen Anweisungen widersetzte. Die Kreisvorsitzende des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnen-Verbandes, Susanne Gerhardt, war zusammen mit etwa 20 Kollegen als Prozessbeobachterin in der Verhandlung am Amtsgericht. Seither stellen sich ihr, aber auch vielen anderen Pädagogen im aktiven Schuldienst jede Menge Fragen - ohne, dass es darauf eine zufriedenstellende Antwort gäbe.
Berührung gehört dazu
"Wann überschreite ich eine Grenze, wenn ich einen Schüler berühre?", fragt Susanne Gerhardt, Herzblut-Lehrerin und "eine Mama", wie sie sich selbst nennt. Kindern über den Kopf streichen, ihnen an die Nase stupsen, zulassen, wenn ein Schüler getröstet werden möchte und auf den Schoß krabbelt, Hilfestellung beim Sport geben, die Hand halten und Finger richten, damit der Stift gut in der Hand liegt - Körperkontakt gehört für eine Lehrerin zum Alltag, zum Selbstverständnis des Lehrers. "Solange es keine Probleme gibt und wir Everybody's Darling sind, ist auch alles gut, aber sobald wir in die Schusslinie der Eltern geraten, kann es richtig gefährlich werden", meint die erfahrene Pädagogin.
"Wenn drei Kinderaussagen - noch dazu widersprüchlich - genügen, wie im Fall des verurteilten Lehrers, dann hab ich große Sorgen", führt sie weiter aus. Ähnlich, wie Schulamtsleiter Werner Löffler beobachtet auch sie eine Verrohung im Internet. Mobbingattacken gegen Lehrer in Facebook oder Whatsapp seien keine Seltenheit.
Keine Gewalt
Susanne Gerhardt lehnt jegliche Art von Gewalt ab und betont, dass Schläge gegen Kinder nicht zu entschuldigen sind und geahndet werden müssen. Ein Kind dürfe niemals in der Wut angefasst werden. Sie möchte in diesem Punkt nicht missverstanden werden. Allerdings räumt sie ein, dass es unzumutbare Situationen im Unterricht gibt. Dass Lehrer frustriert und wütend werden, sei aufgrund von respektlosem und provozierend aggressivem Verhalten durchaus möglich. "Was kann der Lehrer tun, wenn ein Kind unter dem Tisch sitzt, quakt wie ein Frosch, aufsteht, durchs Klassenzimmer rennt und ständig dazwischen redet?", fragt sie und antwortet: "Der Schüler kann aufgefordert werden, ruhig zu sein und sich auf den Stuhl zu setzen. Was aber, wenn er das nicht tut, sondern frech antwortet?" Der erfahrenen Pädagogin ist es im Laufe der Jahre schon passiert, dass ein Erstklässler ihr ins Gesicht geschrien hat: "F... Dich doch selbst ins Knie!" In einem anderen Fall wurde ein Lehrer von einem aufmüpfigen Kind gebissen - ebenfalls in Coburg. Auffällige, unerzogene, hyperaktive Kinder, kleine Egomanen würden in nahezu jedem Klassenzimmer sitzen.
Der Maßnahmenkatalog im bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan sei leider dem aktuellen Lehreralltag nicht angepasst. "Wir haben keinerlei Handreichung", kritisiert die BLLV-Kreisvorsitzende. Denn ein Kind hochziehen und vor die Tür zu setzen, ist nicht erlaubt. "Wir fühlen uns rechtlich allein gelassen. Wir brauchen gute, pädagogische Maßnahmen, die greifen", fordert sie. Dazu gehört für sie eine enge, intensive und wohlwollende Zusammenarbeit mit dem Elternhaus.
Eltern in die Pflicht nehmen
"Die Eltern und wir Lehrer haben gemeinsam einen Erziehungsauftrag, den sollten wir einvernehmlich erfüllen", wünscht sich Susanne Gerhardt und nimmt die Mütter und Väter in die Pflicht. Der regelmäßige Besuch von Elternabenden und Elternsprechstunden sowie das Unterschreiben von Elternbriefen und Schularbeiten müsse eine Selbstverständlichkeit sein. Doch in der Realität würden sich immer mehr Eltern aus ihrem Erziehungsauftrag zurückziehen. Bei allem Verständnis für den Stress und den Druck, den es in vielen Familien gebe: "Wenn Eltern nicht kooperieren, dann sind wir völlig hilflos und fühlen uns allein gelassen."
Der krasse Personalmangel, wie ihn der BLLV seit Jahren beklagt, und ein enorm hoher Langzeit-Krankenstand bei Lehrern deuten auf die starke Belastung während des Unterrichtalltags hin. "Normales Arbeiten ist kaum möglich, es ist echt heavy", beschreibt die Kreisvorsitzende die Situation.
Tandempartner zur Unterstützung
Eine Lösung sieht Susanne Gerhardt in so genannten Tandempartnern. Das können Erzieher oder Sozialpädagogen sein, die zusammen mit einer Lehrkraft im Unterricht sind. Ist ein Kind auffällig, kann sich die Zusatzkraft um das Kind kümmern, während der Lehrer den Unterricht fortsetzt. Dass das funktioniert, weiß die Grundschullehrerin, die immer wieder mal Praktikanten der Fachakademie für Sozialpädagogik oder der Fachoberschule bei sich hat.
Bei uns hat früher eine "Schelle" vom Lehre zur rechten Zeit Wunder gewirkt! Haben wir uns zu Hause darüber beschwert, dann gab es noch eine gratis dazu.
Trotzdem, oder gerade deshalb ist aus uns auch "was" geworden. Und wir haben die Rechtmäßigkeit insgeheim eingesehen.
Heute sind alle so verweichlicht, und Recht und Ordnung geht dabei verloren.
Das merkt man auch noch überdeutlich!