In Rumänien galten Juden als Ausländer, wurden aus Schulen verwiesen, durften keine eigenen Schulen gründen und wurden "die Sklaven Europas". 1890 wurde in Rumänien die "Antisemitenallianz" gegründet, die Einheimische gegen eine "Verjudung" schützen sollte. 250 000 Juden wurden ermordet.
In Ungarn gab es Enteignungen und einige Pogrome, aber erst 1944, mit der Besetzung des Landes, wurden 400 000 Juden nach Auschwitz deportiert - zuerst die, die jiddisch und nicht ungarisch sprachen. Sie galten als besonders minderwertig.
In Polen galt Hitler zwar als Feind des Landes, aber im Hinblick auf die heraufbeschworene jüdische Bedrohung gab man ihm Recht. Vieles von dem, was Juden in dem Land widerfuhr, sei aber bis heute in den Archiven der Diözese verschlossen und werde nicht herausgegeben, kritisiert Götz Aly. Und so gestalte sich die Aufarbeitung der Judenverfolgung und -vernichtung in Europa sehr unterschiedlich.
"Es gab auch Spielräume"
Immerhin habe Jaques Chirac, der von 1995 bis 2007 französischer Staatspräsident war, bekräftigt, auch Frankreich stehe in der Schuld der verfolgten und getöteten Juden. Außer in Belgien und Dänemark kooperierten Polizei und Verwaltung in allen von den Deutschen besetzten Ländern bei der Deportation der Juden in Vernichtungslager bereitwillig. Aber diese Ausnahmen zeigten, dass es auch Spielräume gegeben habe, konstatiert Aly.
Schließlich kommt er in seinem Buch zu dem Schluss, dass der Holocaust vor allem durch das Zutun der Antisemiten in ganz Europa möglich wurde.
Bei der Diskussion nach der Buchvorstellung ging es auch um den Antisemitismus heute, der wiederum im ganzen europäischen Raum auflodert: 20 bis 50 Prozent der Bevölkerung gelten als antisemitisch. Es habe mit Nationalismus, Hass und Neid auf voraneilende Minderheiten zu tun, Schuld und Abwehr spielten eine Rolle, aber auch die kritische Haltung gegenüber dem Staat Israel und seiner Siedlungspolitik. Es gebe den rechten Antisemitismus und die Orientierung an Ländern, wo die Feindschaft gegenüber Israel zur Staatsräson gehört. Nicht umsonst habe die Hälfte aller Juden im Laufe der Jahrhunderte Europa verlassen.
Zur Person
Ausbildung Götz Aly ist ein Politikwissenschaftler, Historiker und Journalist. Er wurde 1947 in Heidelberg geboren, besuchte die Deutsche Journalistenschule in München, studierte Geschichte sowie politische Wissenschaften in Berlin und promovierte in Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Stationen Götz Aly war Redakteur bei der taz, bei der Berliner Zeitung, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, arbeitete als Gastprofessor und bis heute als freier Autor. Themen Seine Themenschwerpunkte sind der Antisemitismus des 19. und 20. Jahrhunderts, die sogenannte Rassenhygiene im Nationalsozialismus, der Holocaust sowie die Wirtschaftspolitik der nationalsozialistischen Diktatur. Auszeichnungen Neben anderen Ehrungen erhielt er 2002 den Heinrich-Mann-Preis der Akademie der Künste Berlin, 2007 das Bundesverdienstkreuz am Bande und 2018 den Geschwister-Scholl-Preis für sein Buch "Europa gegen die Juden: 1880 - 1945". Im Jahr 2006 wurde er von Bundespräsident Horst Köhler in den Stiftungsrat des Berliner Jüdischen Museums berufen.