Doktor Kochs Erfolgsrezepte

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Rainer Koch zog seine Zuhörer in den Bann (von links): Moderator Michael Eckelt vom SV Ketschendorf, Rainer Koch, Michael Schulz vom Sportverband und Rainer Engelhardt von der Sparkasse.Fotos: Hagen Lehmann
Rainer Koch zog seine Zuhörer in den Bann (von links): Moderator Michael Eckelt vom SV Ketschendorf, Rainer Koch, Michael Schulz vom Sportverband und Rainer Engelhardt von der Sparkasse.Fotos: Hagen Lehmann
Dr. Rainer Koch
Dr. Rainer Koch
 
Norbert Sauer, Fußballer mit Leib und Seele, redete sich in Rage und ließ mächtig Frust ab. Seine Vorwürfe gegen den Verband waren teilweise polemisch.
Norbert Sauer, Fußballer mit Leib und Seele, redete sich in Rage und ließ mächtig Frust ab. Seine Vorwürfe gegen den Verband waren teilweise polemisch.
 
Bundesliga-Schiedsrichter Felix Brych hatte wenig Lust über Videobeweis oder Rudelbildung zu reden.
Bundesliga-Schiedsrichter Felix Brych hatte  wenig Lust über Videobeweis oder Rudelbildung zu reden.
 
Coburgs Sportamtsleiter Eberhard Fröbel brach eine Lanze für den Verband und forderte mehr Geld von der Politik. Und außerdem: "Wir dürfen nicht immer die Schuld oben suchen, sondern müssen selbst anpacken."
Coburgs Sportamtsleiter Eberhard Fröbel brach eine Lanze für den Verband und forderte mehr Geld von der Politik. Und außerdem: "Wir dürfen nicht immer die Schuld oben suchen, sondern müssen selbst anpacken."
 
Jürgen Müller hat nach 30 Jahren Jugendarbeit kein Herzblut mehr für Fußball: "Der Fisch stinkt vom Kopf"; links die ehemalige Ehrenamtsbeauftragte Margit Dinkel.
Jürgen Müller hat nach 30 Jahren Jugendarbeit kein Herzblut mehr für Fußball: "Der Fisch stinkt vom Kopf"; links die ehemalige Ehrenamtsbeauftragte  Margit Dinkel.
 

Wie der Vizepräsident des Deutschen Fußball Bundes alle Attacken in Coburg abschmetterte und welche Tipps er für die kleinen Vereine hatte.

Gereizte Atmosphäre vor dem Anpfiff. Spürbare Aggressionen. "Fußball-Oldie" Norbert Sauer ist geladen, richtig sauer. "Denen lese ich heute die Leviten." Die Spannung im Bayrish Pub steigt. Die besten Plätze sind weg. Das Duell mit dem Verband beginnt.

Zwei Hochkaräter des Deutschen Fußballs sitzen oben auf dem Podium. Zwei Doktoren. Der eine ist Chef des Bayerischen Fußballverbandes und Vizepräsident des DFB: Rainer Koch. Nach der Pfeife des anderen tanzt ab und zu die ganze Fußball-Welt: Felix Brych.

Ehrengäste und reichlich Prominenz aus Sport und lokaler Politik sitzen in der ersten Reihe. Die illustre Runde hat Lust auf flotte 90 Minuten. Vielleicht sogar mit Verlängerung und Elfmeterschießen.

Die Erwartungshaltung ist groß. Doch die Anfangsphase verpufft. Vorsichtiges Abtasten. Moderator Michael Eckelt vom SV Ketschendorf ist zwar gut vorbereitet, gibt mit seinen Fragen aber zu viele Steilvorlagen. Die nutzt der erfahrene Stratege Koch aus. Bei quasi jeder sich bietenden Gelegenheit rückt er die Arbeit des BFV und des DFB ins rechte Licht. Viele Tatsachen, viele Floskeln. Trotzdem ein Kabinettstückchen hat Koch auf der Pfanne: "Fußball ist immer noch die coolste und geilste Sportart."

Sauer schießt aus Hinterhalt

Dann grätscht plötzlich Norbert Sauer aus dem Hinterhalt in die Parade. Koch kann die nächste Frage, wie man denn mehr Zuschauer auf die Fußballplätze lockt, vorerst gar nicht erwidern. Später schon - lesen Sie dazu den Extrabeitrag unten "Eventspiele organisieren". Der Ex-Spieler und Trainer Sauer kritisiert den Verband scharf: Wer denn die blödsinnig Idee hatte mit aufstiegsberechtigten Reserven zu spielen. Und: Bei den Relegationsspielen zocken die Großen die Kleinen eh nur ab. Die Attacken wirken plump. Ein Hauch von Fremdschämen im Pub. Doch das Selbsttor ist dem Ex-Bayernliga-Kicker aus Coburg scheinbar egal. Sauer braucht ein Ventil, um seinem Ärger über den Verband an diesem Abend einmal Luft zu machen.

Müller: Der Fisch stinkt vom Kopf

Auch Jürgen Müller lässt Frust ab. 30 Jahre hat er gewissenhaft Jugendarbeit in Coburg gemacht. Jetzt fehlt ihm dafür Herzblut. Er hat keine Lust mehr: "Der Fisch stinkt vom Kopf." Und Ehren-Kreisjugendleiter Dieter Hartan kritisiert Futsal: "Da wirft der Torwart den Ball übers ganze Feld zum anderen und dann wieder zurück. Schwachsinn, aber kein Fußball!"

Doch Rainer Koch lockt keiner aus der Reserve. Gebetsmühlenartig, sachlich fundiert und immer mit den passenden Zahlen, die der gewiefte Jurist aus dem Effeff auflistet, schmettert er alle Angriffe geschickt ab.

Peinlichen Vorwurf weggegrinst

Den peinlichen Zwischenruf, dass er den einen oder anderen Urlaub von Mehreinnahmen finanziert, grinst er widerwillig, aber schweigend weg. Er fordert seine Zuhörer auf, lieber den Realitäten ins Gesicht zu schauen: "Wir sind für euch da und wollen Hilfestellungen leisten." Dazu wieder eine Zahl: "Weniger als ein Prozent des Gesamtbudgets des FC Coburg fließt in einer Saison an den Verband!"

Schafkopf in der 3. Halbzeit

Gefühlt steht es längst 3:0 für Koch. Der 60-jährige Doktor, der seine Leidenschaft für den Fußball als Mittelfeldspieler bei den beiden Münchner Vorortvereinen Kirchheimer SC und TSV Poing entdeckte, sammelt fleißig Pluspunkte: Er spricht von der dritten Halbzeit im Sportheim, vom Schafkopfen und vom digitalen Fußballspiel - "die moderne Form von Tipp-Kick".

Der mit zunehmender Spieldauer immer einseitiger werdende Schlagabtausch braucht keinen Schiri, denn die hitzige Stimmung ist längst verpufft. Von Hektik und Sauers vollmundiger Ankündigung - "Der Koch kriegt heute Pfeffer" - ist nichts mehr zu spüren. Trotzdem kommt der gelangweilt wirkende Welt-Referee von 2017 zu Wort. In seiner Funktion als Abteilungsleiter für Talentförderung hat er sich am Nachmittag zum vierten Mal von der Arbeit, die im Coburger NLZ geleistet wird, überzeugt. Viel Lob für den FC Coburg.

Mehr aber auch nicht. Fragen zum Videobeweis oder wie man Rudelbildungen verhindern wolle, beantwortet der smarte Münchner nicht. "Darüber könnte ich 90 Minuten reden, dass würde den Rahmen sprengen." Schade, ein kurzes Statement hätte dem Fragesteller gereicht.

Doppelass in der Schlussphase

In der Schlussphase spielen zwei alte Hasen Doppelpass: "Das ist richtig Rainer... - Danke Gerhard..." Coburgs langjähriger Strafrichter und CSB-Stadtrat Gerhard Amend ("Jugendliche, die sich in Vereinen engagieren, sind strafrechtlich kaum auffällig") war nach eigenen Worten drei Jahre Linienrichter bei Koch.

In der Nachspielzeit gibt es vom Veranstalter noch Präsente. Rainer Engelhardt von der Sparkasse und Michael Schulz vom Sportverband haben einen 300 Euro-Scheck für eine Stiftung sowie zwei Fresskörbe für die Doktoren parat.

Lieber mit Becker oder Weller

Lockerer Plausch in der Verlängerung: Während Brych in einer Nische an der Bar genüsslich eine Currywurst verdrückt und Koch bei einem Espresso am Tisch des FC Coburg Lobeshymnen genießt, hat ein anderer Koch, nämlich der aus Lautertal stammende Hobby-Reporter Dieter Koch, seine eigene Sicht der Dinge: "Beim nächsten Talk sollen sie lieber Boris Becker oder René Weller einladen. Dann haben wir wenigsten was zu lachen."

"Eventspiele organisieren" Das Thema Amateurfußball erhitzt die Gemüter. Beim 1. Sparkassen-Sport-Talk des Sportverbandes und der Sparkasse Coburg-Lichtenfels drehte sich viel um Geld. Ehrengast Rainer Koch gab den Funktionären wertvolle Tipps. Um wieder mehr Kinder für den Fußball zu begeistern, müsse zum Beispiel ganz eng mit der Grundschullehrerin zusammen gearbeitet werden.

Koch glaubt auch ein Erfolgsrezept zu kennen, wie wieder mehr Leute auf die Plätze gelockt werden können: "Ihr müsst ein, zwei Eventspiele im Jahr organisieren. Ihr müsst euren Fans etwas besonderes bieten - Highlight-Derbys." Zu solch einer Veranstaltung kämen dann 500, 600 Zuschauer. Der Metzger könne eine scharfe Derby-Wurst anbieten, der Bäcker eine spezielle Semmel. Im Vorfeld sollen sich Gemeinderäte zum Prestigeduell äußern. Das Spiel quasi anheizen. Das funktioniert, Beispiele gäbe es bereits. Koch sprach von über 800 Fans bei einer Kreisligapartie - trotz Dauerregen.

Es hätte sich viel verschoben. "Wir müssen den Realitäten ins Gesicht schauen und dürfen nicht in Pessimismus verfallen. Fußball ist die coolste und geilste Sportart."

KOMMENTAR von Christoph Böger

Geht's raus und spielt's Fußball! Natürlich ging es dem Amateurfußball bei uns schon deutlich besser. Handball ist in Coburg längst auf der Überholspur und die Basketballer haben auch schon den Blinker gesetzt. Es gibt weniger Fußballer und kaum noch freiwillige Helfer hinterm Tresen, in den Bratwurstbuden oder im Kassenhäuschen. Und es stimmt, dass Fans und Sponsoren dem Fußball die kalte Schulter zeigen. Daran ist auch der demographische Wandel schuld.

Es gibt gefühlt 1000 Möglichkeiten, wie Kinder ihre immer weniger werdende Freizeit gestalten können. Auch die Arbeitswelt ist anders. Die Menschen werden immer älter und die Geburtenrate sinkt - alles Gründe für weniger Nachwuchs in den Klubs. Aber trotzdem: Hört auf mit dem Jammern! Holt die Kinder aus dem Abseits! Weg vom Computer - ran an den Ball. Gründe für die schönste Nebensache der Welt gibt es genügend, schließlich ist Fußball - wie es Rainer Koch treffend propagiert - immer noch die coolste und geilste Sportart. Und damit auch die beste Schule für soziale Kompetenz.

Junge Menschen lernen in den Vereinen verschiedene Charaktere und Nationalitäten kennen. Altersgenossen aus anderen sozialen Verhältnissen müssen respektiert werden, gemeinsam wollen sie ein erfolgreiches Team bilden.

Aber auch Durchsetzungsvermögen ist gefragt, Kompromisse müssen eingegangen oder Führung und Verantwortung übernommen werden. Wer im Team kickt, muss sich an Regeln halten und lernen, Autoritäten wie Trainer und Schiedsrichter zu respektieren. Auch Fehlentscheidungen müssen akzeptiert werden. Nicht immer ist alles gerecht. Wichtige soziale Kompetenz, die den Kickern im Alltag zugutekommt. Nicht zu vergessen: Disziplin. Nicht nur trainieren wenn ich Lust habe, sondern regelmäßig, bei Sauwetter und zu genauen Zeiten. Auch das ist wichtig. Deshalb: Geht's endlich wieder raus und spielt's Fußball! c.boeger@infranken.de