Das Landgericht Coburg hat jetzt die schwere Aufgabe, das Geflecht aus Eifersucht, Job- und Beziehungsproblemen zu entwirren. Über 50 Zeugen sollen dabei helfen.
Die Erste Große Strafkammer am Landgericht Coburg ist nicht zu beneiden: Ihr kommt die Aufgabe zu, aufzudröseln, was sich am späten Abend des 6. Oktober 2012 im Alten Schützenhaus im Weichengereuth ereignete. Die Vorgeschichte oder - besser gesagt - die vielen Vorgeschichten, die den Angeklagten, seine getötete Frau und vor allem seine Ex-Frau umranken, machen die Sache nicht leichter - ganz im Gegenteil.
Fakt ist, Ulrich S. hat in jener Nacht seine Frau Maria mit einem Bauchschuss aus einer doppelläufigen Schrotflinte getötet. Der Angeklagte hält beim Prozess-Auftakt am Montag an der Unfall-Version fest, bei der der Yorkshire-Terrier der Familie eine entscheidende Rolle gespielt hat (siehe Seite 1). Doch weder die Kammer unter Vorsitz von Richter Gerhard Amend, noch Oberstaatsanwältin Ursula Haderlein wollen Ulrich S.
abnehmen, dass seine Ehefrau wegen einer Verkettung unglücklicher Umstände gestorben ist.
Ablauf ausgedacht? Amend stellt die Vermutung in den Raum, Ulrich S. könnte sich den Ablauf so ausgedacht haben, um leichter über die Schuld hinwegzukommen, seine Partnerin getötet zu haben.
Für den erfahrenen Juristen wäre es nicht der erste Angeklagte, der am Ende tatsächlich an seine eigene Geschichte glaubt. Ursula Haderlein wirft Ulrich S. gar vor, er wolle mit seiner Version erreichen, statt wegen Totschlags "nur" wegen fahrlässiger Tötung verurteilt zu werden.
Verhandlung in Fußfesseln Ulrich S. ist ein sehr großer Mann. Er wirkt hager in seiner eleganten Kombi aus Jeans und dunkler Anzugjacke.
Er betritt den Gerichtssaal in Fußfesseln, die ihm die Beamten, die ihn begleiten, während der Verhandlung nicht abnehmen. Ohne eine Miene zu verziehen, nimmt Ulrich S. hin, dass Fotografen und Kameramänner vor dem Eintreffen der Kammer Bilder schießen und jede seiner Bewegung filmen. Nur seinem Verteidiger Hans-Heinrich Eidt reicht es nach ein paar Minuten mit dem Blitzlichtgewitter: "Lasst's doch jetzt gut sein", ruft er den Fotografen zu.
Als die Oberstaatsanwältin die kurze Anklageschrift verliest, schließt Ulrich S. die Augen, kündigt aber - auch zur Überraschung des Gerichts - gleich darauf an, umfangreich aussagen zu wollen. Äußerlich ruhig beantwortet er die ihm gestellten Fragen. Nur wenn sie drängender und die Stimmen des Richters und der Staatsanwältin lauter und energischer werden, zuckt er häufig mit den Schultern und wirkt teilweise unsicher.
Als Gerhard Amend den 55-Jährigen auffordert, nach vorne an den Richtertisch zu kommen, die Original-Schrotflinte in die Hand zu nehmen und zu zeigen, wie sich der angebliche Unfall zugetragen haben soll, tut Ulrich S. wie ihm geheißen. Als aber der imaginäre Schuss auf Maria S. gefallen ist und Amend sagt: "Nun liegt ihre Frau da - und was passiert nun?" ist es für den Angeklagten vorbei mit der Beherrschung. Er gerät ins Stocken, ringt sekundenlang um Fassung, sagt dann unter Tränen: "Ich war wie von Sinnen, habe geschrien und geweint... Ich habe gesehen, dass meine Frau die Augen halb offen hat... Ich hab sie so geliebt... Dann bin ich zur Couch gegangen, habe die Waffe auf mein Herz gerichtet und abgedrückt."
Umarmung vom Sohn Daran, dass er dem eintreffenden Rettungssanitäter erklärt habe, "irgendwelche Tschechen" hätten die Tat begangen, will sich
Ulrich S. jetzt nicht mehr erinnern können. Ebensowenig daran, dass er seiner Ex-Frau gegenüber zugegeben habe, er habe seine Frau aus Versehen erschossen, den Ermittlern jedoch zunächst von einem Überfall erzählt, wie ihm Ursula Haderlein vorhält. Die Fragen werden energischer. Ulrich S. sagt, jetzt wolle er am liebsten gar nichts mehr sagen - nur dies: "Ich würde mein Leben sofort geben, wenn ich ihres zurückholen könnte. Ich habe es so geschildert, wie es war. Ich habe leider nicht mein Herz zerschossen, sondern meine Seele."
Nur zwei Zeugen sind am Montag zur Aussage geladen - die Ex-Ehefrau des Angeklagten und der Sohn der getöteten Maria S., den Ulrich S. adoptiert hat. Der 19-Jährige macht von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch und möchte nicht aussagen. Als Gerhard Amend ihn entlässt, fragt er - fast schüchtern - ob er sich von seinem Vater verabschieden darf. Er umarmt Ulrich S.
und verlässt den Gerichtssaal.
Welche Rolle spielte die Eifersucht? Wieviel Eifersucht war in der Beziehung von Ulrich und Maria S. im Spiel? Dieser Frage ging das Gericht gestern insbesondere bei der Zeugenvernehmung einer Coburger Gastronomin nach. Die 55-Jährige war die geschiedene zweite Ehefrau des Angeklagten. Ihrer Aussage zufolge, sei das Verhältnis zu ihrer Nachfolgerin an Ulrich S.' Seite ein freundschaftliches gewesen. Richter Gerhard Amend zitierte jedoch aus einer weiteren Zeugenaussage, wonach Maria S. ihre Vorgängerin regelrecht gehasst haben soll, weil sie sich von Anfang an ständig in die dritte Ehe eingemischt habe.
Als "totalen Schwachsinn" bezeichnete die 55-jährige Gastronomin diesen Vorhalt des Gerichts. Sie und Maria S. seien Freundinnen gewesen.
Sie habe das Alte Schützenhaus 2009 unter anderem gekauft, damit ihr Ex-Mann und seine neue Frau nach einem gescheiterten Versuch, in Teneriffa eine Existenz aufzubauen, wieder auf die Füße kommen konnten. "Haben Sie eine dominante Rolle gespielt?", fragte Amend die Ex-Frau des Angeklagten ganz direkt. "So war das nicht", wiegelte sie ab. "Es war immer ein Geben und Nehmen."
Dass es immer wieder Ärger zwischen Ulrich und Maria S. gegeben hatte, bestätigte die 55-Jährige. Auch habe sie gewusst, dass ihr Ex-Mann sich im Sommer 2012 von seiner dritten Frau trennen wollte. Am 8. August schrieb Ulrich S. in einer E-Mail an seine Frau, er habe einen Trennungsvertrag aufgesetzt, der greifen könnte, "wenn Du mich freigibst". Maria S. antwortete darauf: "Du bist niemals frei!" Auslöser sei die Festanstellung gewesen, die Maria S. in München in Aussicht hatte. Ulrich S.
sagte aus, er habe keine Wochenendbeziehung führen wollen und sei deshalb dagegen gewesen. Dass eine angebliche Affäre mit einem Hotel-Manager an der Auseinandersetzung schuld gewesen sei, verneinte der Angeklagte. Er sei nicht eifersüchtig gewesen, seine Frau dagegen schon. Zur Tatzeit herrschte allerdings wieder eitel Sonnenschein: Ulrich und Maria S. wollten ihre kirchliche Hochzeit nachholen und dachten sogar über ein zweites Kind nach.
Zu einem regelrechten Wortgefecht kam es zwischen der Gastronomin und Oberstaatsanwältin Haderlein, als es um die Tatnacht ging. Die 55-Jährige fuhr - nach einem "komischen" Anruf ihres Ex-Mannes - zum Alten Schützenhaus und fand nach eigenen Angaben ein "Szenario wie aus einem Horrorfilm" vor. Ihr Ex-Mann, blutüberströmt mit einem "riesigen Loch in der Brust", habe ihr mit letzter Kraft aufgetragen, seinem Sohn zu sagen, dass der Tod seiner Mutter ein Unfall gewesen sei.
Den Beamten hatte seine Ex-Frau dies aber zunächst verschwiegen. Amend: "Wenn's ein Unfall war, dann sagt man das doch! Das weiß man doch aus jedem Krimi!"
Ratten: Experten überprüfen Keller Die Bockdoppelflinte, mit der Ulrich S. seine Ehefrau erschoss, hatte er sich einen Tag vor der Tat von seinem Patensohn geliehen. Er habe damit im Keller des Alten Schützenhauses Ratten jagen wollen, sagte der 55-Jährige am Montag vor Gericht aus.
Die Flinte hatte Ulrich S. bis vor wenigen Jahren gehört. Er hatte sie einst zum Tontaubenschießen gekauft, musste 2007 aber nach einer Verurteilung wegen Betrugs seine Waffenbesitzkarte und damit auch die Waffe abgeben.
Er schenkte sie damals seinem Patensohn, lieh sie sich aber - wie die Ex-Ehefrau des Angeklagten bestätigte - seit 2009 mehrfach aus, um damit auf Rattenjagd zu gehen.
Immer im Herbst werde das Alte Schützenhaus von Ratten vom nahe gelegenen Teich heimgesucht. Die Nager seien sogar zwischen den Gästen im Biergarten herumgerannt, so Ulrich S.. Auf einer Geburtstagsfeier in Tschechien habe er den Tipp erhalten, die Ratten mit Schrot zu schießen und zur Abschreckung für die anderen Tiere auch mal einen Kadaver liegen zu lassen. Zehn bis 15 Ratten habe er jedesmal geschossen, sagte der Angeklagte.
Im September 2012, auch das bestätigte die Ex-Frau, sei es auch wieder so weit gewesen, und Ulrich S. rief sein Patenkind an, um sich das Gewehr zu leihen. Die Übergabe verzögerte sich allerdings bis zum 5.
Oktober - dem Tag vor der Tat.
Die getöteten Ratten hätten "blutig, aber nicht zerfetzt" ausgesehen, antwortete Ulrich S. auf die Nachfrage des Waffen-Sachverständigen. Richter Gerhard Amend will es nun aber genau wissen. Er bat darum, diese Frage anhand von Schussversuchen zu klären. Auf Anregung von Oberstaatsanwältin Ursula Haderlein wird der Sachverständige den Keller unter die Lupe nehmen und insbesondere daraufhin untersuchen, ob dort mit Schrot geschossen wurde.