"Das grenzt schon an eine Revolution!"

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Joahnes Wagner in Berlin. Foto: Abgeordnetenbüro Wagner
Joahnes Wagner in Berlin. Foto: Abgeordnetenbüro Wagner

Vor allem von der Grünen-Basis gab es viel Kritik am Koalitionsvertrag der "Ampel". Doch so schlecht sei die Vereinbarung nicht, sagt Johannes Wagner, Abgeordneter der Grünen für Coburg/Kronach. Und: Sie biete Chancen für die Region.

Wegen der Corona-Einschränkungen findet das Gespräch als Videokonferenz statt und es startet überpünktlich. Es geht gleich zur Sache, denn schon am nächsten Morgen muss Wagner wieder nach Berlin. "Ich arbeite gerade nur an Corona, vor allem zu Kinderimpfungen und Impfpflicht. Dazu mache ich viele Veranstaltungen und Gespräche", berichtet er. Wegen Omikron fürchte er eine Zunahme der schweren Verläufe und der Todesfälle, sagt der junge Arzt: Die hochansteckende Virusvariante ("auch im Freien!") werde in kürzerer Zeit mehr Menschen infizieren als ihre Vorgänger, "und 20 Millionen Menschen bei uns sind noch nicht geimpft!" Wenn die Zahl der Infizierten und Kranken in die Höhe schnellt, dann reichen die Intensivbetten nicht mehr, und die kritische Infrastruktur ist in Gefahr. Wagner: "Wir kommen aus der Pandemie nur mit hoher Impfquote und niedrigen Fallzahlen."

Aber nun zum Koalitionsvertrag: Wie viele grüne Ziele stecken noch darin?

Johannes Wagner: Dieser Frage müssen sich alle Parteien stellen, denn den Klimaschutz haben ja alle versprochen. Am Ende hing viel von unserem Verhandlungseinsatz ab. Ich sehe den Vertrag mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Es ist der grünste Koalitionsvertrag, den es jemals gab. Wir haben viel hineingebracht. Aber den Wählerwillen muss man respektieren, und mit der FDP ist es nicht einfach. Klar kritisiert die Basis, dass nicht mehr beim Verkehr erreicht wurde. Aber wir haben vieles umgesetzt: den Kohleausstieg und den Verbrennerausstieg beispielsweise.

Zum Kohleausstieg kritisiert die Grüne Jugend aber, die Passage mit dem Enddatum sei Wischi-Waschi.

Es geht beim Kohleausstieg darum, möglichst schnell möglichst viel Kapazität beim Kohlestrom runterzufahren. Ob ein letztes Kohlekraftwerk als Reserve bis 2031 am Netz ist, ist dann nicht entscheidend. Wir steigen aus der Kohle und der Atomenergie aus, wir müssen den Netzausbau beschleunigen, Windkraft- und Solarenergie ausbauen. Wir sind sicher, dass es 2030 klappen kann - wenn es am Ende 2031 wird, dann ist viel erreicht.

Ausbau der erneuerbaren Energien bedeutet aber auch: mehr Photovoltaik, mehr Windräder, mehr Überlandleitungen - und gegen solche Projekte gab es auch in der Region zuletzt Widerstand.

Wir müssen hier mehrere Dinge mitdenken. Robert Habeck hat es als Minister geschafft, durch seine Kommunikation in Schleswig-Holstein den Leitungsausbau zu beschleunigen. Wir haben die Möglichkeit, durch Bürgerenergiegesellschaften die Menschen finanziell zu beteiligen. Und es kommt darauf an, wie man mit der Wirtschaft spricht. Wir haben dank der Glasindustrie tausende gut bezahlte Industriearbeitsplätze in der Region. Die Glashersteller setzen sich gerade massiv für mehr Windkraft ein, weil die Energiepreise explodieren - vor allem wegen des Gasmarkts. Wohlstand auf Dauer geht nur mit erneuerbaren Energien. Die Menschen sehen durchaus die Vorteile. Es gab ja auch eine große Enttäuschung darüber, was der vorherige Wirtschaftsminister mit den Windanlagen gemacht hat. Da waren falsche Zahlen bezüglich der Lärmbelästigung im Umlauf. Aber von Windrädern geht keine Gefahr aus. Sie sollen mit Abstand errichtet werden, wenn auch nicht mehr nach 10 H Regel, also zehn mal so viel Abstand zu Siedlungen wie das Windrad hoch ist. Die Abstände können geringer sein, und es wird eine finanzielle Entschädigung geben für diejenigen, die Flächen abgeben. Es ist Aufgabe aller Regierungsvertreter:innen, massiv für die Energiewende und den Klimaschutz zu werben. Die Alternative wäre katastrophal.

Wir haben Nachbarn mit Kohle und Atomkraftwerken, die jetzt auch wieder als umweltfreundlich gelten sollen. Ist es da nicht ziemlich sinnlos, sich als Regierung für eine Energiewende abzustrampeln, wenn das dann nur für Deutschland gilt?

Ich denke, dass wir als Land mit viel Know-how vormachen müssen und können, wie es funktionieren kann. So dass es nachahmbar wird. Nicht, indem man die Menschen gängelt und es um Verzicht geht. Wir müssen als reiches wohlhabendes Wissenschaftsland vorangehen und zeigen, dass es funktioniert. Die Wirtschaft hat großes Interesse daran, dass es funktioniert. Der Gaspreis ist global hoch, und Kohlestrom ist teurer als der aus erneuerbaren Energien. Der Ausbau könnte Wettbewerbsvorteile bringen. Wir haben einen weltweiten Konsens, dass Klimaschutz wichtig ist, und es gibt einen globalen Wettbewerb, wer Nachhaltigkeit und Wohlstand am besten kombiniert. In China und den USA werden die Erneuerbaren Energien massiv ausgebaut.

Was wäre konkret vor Ort möglich? Es gibt Anlagenbauer, die damit werben, dass Energieparks in strukturschwachen Regionen Oberfrankens Geld und Firmenansiedlungen bringen können.

Es war bei den Koalitionsverhandlungen Thema, dass wir den ländlichen Raum mitbedenken wollen. Da müssen wir jetzt einsteigen. Mein Bundestagskollege Andreas Schwarz von der SPD hat es in der Vergangenheit geschafft, viel Geld nach Bamberg zu holen - z.B. für die Wasserstoff-Technologie. Er hat die Verbindung Wirtschaft-Nachhaltigkeit vorangebracht. Nun bin ich dabei, und wir werden uns bemühen, Fördergelder für Leuchtturmprojekte zu bekommen: Windkraft auszubauen und den Ausbau von Schiene und ÖPNV zu forcieren. Wir haben in Coburg/Kronach Standorte, die an solchen Themen dran sind. Da brauchen wir Kooperationen mit dem Land Bayern, damit wir Arbeitsplätze hier halten und es attraktiv machen, sich hier anzusiedeln, durch günstigen Strom, und weil es dank unserer Hochschulen hier auch Fachkräfte gibt, die sich damit auskennen. Natürlich ist da die Konkurrenz der Standorte in Franken groß. Wir als Politiker:innen müssen für Ausgleich sorgen. Oberfranken hat in einigen Regionen auch mit demografischen und anderen Aspekten zu kämpfen. Da müssen wir gegensteuern. Sonst ziehen die jungen Menschen in die Städte, und die Älteren bleiben zurück.

Wie viel Geld würden Sie sich wünschen für die Region?

Bei Wasserstoff sind insgesamt neun Milliarden Euro im Topf. Oberfranken erhält 43 Millionen und wird zum Reallabor. Wir sollten da einiges erreichen, wenn die Privatwirtschaft mitzieht. Wir müssen in die Infrastruktur investieren. Das nicht zu tun, wäre auch eine Bürde, die wir künftigen Generationen hinterlassen. Bamberg und Coburg geht es verhältnismäßig gut - aber schon in Kronach sieht es anders aus. Wir Grünen haben dafür gesorgt, dass in den nächsten zehn Jahren 500 Milliarden Euro für den ökologischen Umbau bereitstehen, Geld für öffentliche Investitionen in Klimaschutz, Anpassungsmaßnahmen und Strukturwandel. Für Oberfranken sind demnach Investitionen in Höhe von vier Milliarden zu erwarten. Das geht weit über die Wasserstoffstrategie hinaus.

Hier reden Sie von großen Summen für die Energiewende, aber auf Ihrer Website klingen manche Dinge eher klein-klein. Zum Beispiel, dass jedes Klinikum einen Klimamanager haben sollte.

Das bezieht sich auf den Sektor Gesundheitswesen und dass auch dort die Energiewende kommen muss. Ein Zwanzigstel der Emissionen kommen aus dem Gesundheitssektor, die Pharmaindustrie eingerechnet. Krankenhäuser brauchen viele Ressourcen; beim Müll gibt es in Kliniken gewaltige Einsparpotenziale. Wenn dort nachhaltig beschafft würde, würde sich einiges ändern. Man muss sich konkreten Umsetzungen für die Energiewende überlegen. Sonst bleibt es bei den großen Worten. Wenn andere Abgeordnete das in ihren Bereichen auch tun, kommt einiges zusammen. Ich kenne den Krankenhausbereich ganz gut, deshalb ist es meine Aufgabe, mich hier zu kümmern. Zum Beispiel beim Umgang mit Narkose- Gasen - da gibt es auch welche, die nicht so viel CO 2 verbrauchen in der Herstellung und der Anwendung. Wir dürfen nicht nur an naheliegende Bereiche beim Klimaschutz denken wie Verkehr. Sondern beispielsweise auch den Gesundheitssektor. Mein Themenschwerpunkt als Abgeordneter wird Präventions- und Vorsorgemedizin sein. Wir hatten 2018 rund 20000 Hitzetote, wegen des Klimawandels.

Trotzdem ist klar: Die Vereinbarungen von Glasgow und der Koalitionsvertrag geben das 1,5-Grad-Ziel bei der Begrenzung der Erderwärmung nicht her. Was wären die unumkehrbaren Konsequenzen?

Ich denke, dass der Koalitionsvertrag Möglichkeiten bietet, dass Deutschland Seinen Teil zum Pariser Klimaziel erreichen kann. Aber wir schaffen es mit dem Programm auch, die Menschen mitzunehmen. Wir sehen ja gerade beim Thema Corona, was passiert, wenn sie nicht mitgenommen werden. Wir wollen die nachhaltige Transformation. Wir müssen Technologien und Modelle entwickeln, die nachahmbar sind, und Schwellenländer wie Indien, Brasilien, Nigeria, Ägypten unterstützen, damit sie Wachstum und Wohlstand nachhaltig gestalten können. Der Koalitionsvertrag ist ein Kompromiss, aber wir können nun beweisen, dass wir Konzepte haben, die das Klima schützen und den Wohlstand erhöhen. Wir wollen überzeugen mit unserer Politik. Dann ist in vier Jahren auch noch mehr drin. Das Tempo ist jetzt das Entscheidende. Mir persönlich gehen viele Sachen auch nicht schnell genug. Ich hätte mir mehr gewünscht - Tempolimit auf den Autobahnen, in den Innenstädten, und noch einige andere Punkte mehr. Aber wir haben 15 Prozent der Wählerstimmen. Was wir erreicht haben mit dem Verbrenner-Aus, ist fürs Klima noch effektiver als das Tempolimit. Nur weil das grüne Wahlprogramm noch ambitionierter war, heißt das nicht, dass wir nichts erreicht haben. Ich kann mit dem Kompromiss leben. Wir haben aus den 15 Prozent das Maximum herausgeholt. Wir haben uns einen Sack voll Arbeit vorgenommen. Wir wollen Windkraft auf zwei Prozent der Fläche, in jedem neuen Gewerbegebiet Solarpaneele auf den Dächern. Hitze hat nicht nur vorzeitige Tode zur Folge, sondern bedroht auch die Wälder. Klimawandel bedroht auch die Wirtschaft. Das wird unsere Wirtschaft stark verändern. Das kommt schon ran an eine Revolution.

Wären Sie auch für ein Autoverbot in der Coburger Innenstadt?

Als Coburger sage ich: Autofreie Sonntage wären das mindeste. Perspektivisch brauchen wir eine starke Temporeduzierung, der Autoverkehr muss drastisch reduziert werden, Verkehr insgesamt sollte elektrisch sein. Dann wird ein Schuh draus. Und dass man an einzelnen Tagen den Menschen Platz einräumt, da geh ich mit.

Das Gespräch führten die Tageblatt-Redaktionsmitglieder Fajsz Deáky und Simone Bastian.