Coburgerin ist ein Jahr als Gringa in Peru

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Über diese Brücke muss sie gehen: Marie Köhn auf der Hängebrücke, über die sie jeden Morgen zur Arbeit nach Pozuzo läuft. Foto: Privat
Über diese Brücke muss sie gehen: Marie Köhn auf der Hängebrücke, über die sie jeden Morgen zur Arbeit nach Pozuzo läuft.  Foto: Privat

Die 19-jährige Marie Köhn arbeitet an einem Projekt zum Ausbau des lokalen Öko- Tourismus in einem kleinen Dorf in Südamerika.

Sie hat das Abitur in der Tasche, schon mal in eine Tierarztpraxis "hineingeschnuppert" und auf dem Bio-Gärtnereihof Callenberg ein Praktikum gemacht. Sie war bei der Gründung der grünen Jugend-Coburg dabei und bei den Fridays-for-Future-Demos aktiv. Zur Zeit ist Marie Köhn in Peru auf sich allein gestellt. Will eigene Grenzen austesten: Wie gehe ich mit unvorhersehbaren Problemen um?

Marie, was machst Du genau in Peru? Und wie lange bleibst Du noch?

Marie Köhn: Ich mache für noch weitere zehn Monate ein freiwilliges ökologisches Jahr in Peru. Das Ganze läuft über "weltwärts", ein von der Bundesregierung gefördertes Projekt. Meine Entsendeorganisation heißt Ecoselva, was sich aus eco, wie ökologisch und selva, wie der Regenwald auf Spanisch zusammensetzt.

Zur Zeit lebe ich in Pozuzu, einem kleinen Ort mitten im Regenwald, und arbeite auf einem Bio-Bauernhof auf dem als Vorzeigeprojekt auch Fortbildungen für Bauern aus der Umgebung angeboten werden.

Außerdem beschäftige ich mich in meinem Projekt mit dem Ausbau des lokalen Öko- Tourismus. Das Dorf wurde im 19. Jahrhundert von Auswanderern aus Tirol und Bayern besiedelt und weist dadurch eine einzigartige Kultur und Geschichte auf, die sich mit der peruanischen gewinnbringend vermischte und somit ein gern gesehenes Ausflugsziel darstellt.

Der Tourismus soll nun auch auf die umliegenden Orte ausgeweitet werden, um so auch dort eine Einkommensalternative zu schaffen.

Was hat Dich an dieser Aufgabe gereizt?

Ich wollte nach meinem Abitur unbedingt ein freiwilliges soziales Jahr machen, am liebsten im Ausland. Da ich bereits Spanisch in der Schule hatte, wollte ich in ein spanisch sprechendes Land, um mein Spanisch noch weiter auszubauen. Außerdem habe ich bereits in Deutschland ein Praktikum in einer Bio-Gärtnerei / Bauernhof gemacht (bei der Familie Pax auf Callenberg). Es hat mir so gut gefallen, dass ich das auch gerne in meinem Freiwilligenjahr tun wollte.

Wolltest Du selbst schauen, ob Du an Deine Grenzen kommst?

Natürlich wollte ich wissen, wie es ist, ein Jahr in einem völlig fremden Land zu leben, mit einer anderen Kultur und einer Sprache, die ich trotz (Spanisch)Unterricht - gefühlt- kaum spreche. Dazu kommen sieben Stunden Zeitunterschied. Auch habe ich eben nicht der Möglichkeit, Freunde oder Familie jederzeit zu treffen, sondern ich bin völlig auf mich allein gestellt und muss mit nicht vorhersehbaren Problemen umgehen. Ich glaube, diese Grenzen wollte ich erleben.

Schildere uns doch ein paar Eindrücke, die Du mit einer Grenzerfahrung in Verbindung bringen würdest?

Ich bin von einer Kleinstadt wie Coburg in ein 1000 Seelendorf gekommen. Hier kennt jeder jeden, kein Schritt bleibt ungesehen: Will man etwas besorgen, weiß gefühlt das halbe Dorf Bescheid und urteilt eventuell noch darüber, warum du bei dem und nicht in diesem Laden eingekauft hast.

Klar kennt man in Coburg und Umgebung auch eine Menge Leute, aber in einem Dorf das zwei Autostunden von der nächsten Stadt entfernt ist und oft nach einem heftigen Regenfall komplett abgeschnitten ist, ist man als neue Freiwillige , als so genannte Gringa, natürlich eine willkommene Abwechslung, um nicht zu sagen, ein beliebtes Gesprächsthema.

Dazu steht im starken Kontrast Lima. Ich war bereits zweimal für fünf Tage dort und habe die Anonymität und auch die damit verbundene Kriminalität erlebt. Einer Mitfreiwilligen wurde bereits im ersten Monat eine Pistole an den Kopf gehalten. Die Wahrscheinlichkeit und das Wissen, dass so etwas auch mir selbst passieren könnte oder zumindest jemanden, den du gut kennst, wäre so eine Grenzerfahrung.

Natürlich ist auch die fremde Sprache ein Thema. Mein Schulspanisch hat mir zu Beginn natürlich geholfen, allerdings gibt es auch jetzt noch, nach zwei Monaten in Peru, Situationen, in denen auch ich kaum ein Wort verstehe.

Und natürlich fällt es fast täglich auf, dass man nicht mehr in Deutschland ist: Es kann immer passieren, dass mal für mehrere Stunden der Strom weg ist. Auch musste ich enorme Abstriche an Lebensmitteln machen, die man in Deutschland jederzeit kaufen kann. Wenn ich mir mal Schokocreme oder richtigen Käse aus Lima mitbringe, weiß man das auch zu schätzen.

Und dabei ist Pozuzo noch ein kleines "Luxus"-Städtchen. Ein Mitfreiwilliger von mir arbeitet als Schreiner in einem kleinen Dorf und hat überhaupt keine Internetverbindung und nur mit Stromgeneratoren für ein bisschen Licht am Abend.

Wie nehmen die Menschen in Peru ihre Lebenssituation wahr?

Ich denke, dass die Menschen in Peru mit ihrer Lebenssituation meistens zufrieden sind. Sie kennen es oft nicht anders und haben sich an ihre Umstände gewöhnt. Manchmal, denke ich, sind sie sogar glücklicher als wir Deutsche, weil sie mit viel weniger auskommen, zufrieden sind und ihr Glück nicht an Konsum oder an. erreichten Leistungen festmachen, wie wir so oft.

Kann man sich an extreme Bedingungen gewöhnen?

Klar kann man sich an extreme Bedingungen gewöhnen. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, und wenn es eben nicht anders geht, dann geht es nicht anders. Das muss man pragmatisch sehen, sonst wird man unglücklich. Außerdem hab ich ja immer noch im Hinterkopf, dass ich nach einem Jahr wieder nach Deutschland zurückkehren kann.

Was möchtest Du gerne am Ende Deiner Reise als Erfahrung mit nach Hause nehmen?

Ich möchte Peru und Südamerika besser kennen- und vielleicht dadurch auch liebenlernen. Ich möchte die Kultur noch besser verstehen, noch vielen unterschiedlichen Menschen begegnen und ihre Geschichten hören, erfahren, wie die Menschen mit ihrer indogenen Vergangenheit leben und wie das in ihr jetziges Leben einfließt.

Ich hoffe, ich kann ein bisschen was von der Gelassenheit und der entschleunigten Lebensweise mitnehmen und natürlich alle Eindrücke - schöne wie auch schlechte Erlebnisse, die ich in dem Jahr gesammelt habe.

Die Fragen stellte Christiane Lehmann.

Jung und mutig

Person Marie Köhn, 19 Jahre alt, hat in diesem Jahr ihr Abitur am Casimirianum in Coburg gemacht. 2016 hat sie die Realschule Coburg II im Mathematisch- technischen Zweig abgeschlossen. Sie hat ein Praktikum in einer Tierarztpraxis und auf dem Bio-Gärtnereihof Callenberg bei Coburg gemacht. Außerdem hat sie die grüne Jugend Coburg mitgegründet. Einen genauen Berufswunsch hat sie noch nicht, möchte aber nach dem Jahr in Peru Umweltwissenschaften studieren.

Projekt Wer das Projekt unterstützen möchte, kann das mit einer Spende tun:

Ecoselva e.V., Verwendungszweck: Marie Köhn, Pozuzo

VR-Bank Rhein-Sieg eG

IBAN: DE34 3706 9520 5303 8250