Die Bezeichnung "Craft Bier" ist irreführend. Denn was so fremd klingt, ist in Wahrheit eine große Chance auch für fränkische Brauereien - für die Konsumenten sowieso.
Welche drei Begriffe fallen den meisten Menschen spontan zu Bier ein? Wahrscheinlich: Fußball, Fernsehen, Chips. Beim aktuellen Trend "Craft Bier" geht es deshalb nicht nur darum, die Rezepturen von Bier zu verfeinern und verbessern, sondern auch das Image des Getränks. Sebastian Priller-Riegele hakt da aber gleich ein. "Bier ist kein Getränk, sondern flüssige Lebensfreude!"
Sebastian Priller-Riegele ist Bier-Sommelier, holte sich in dieser "Disziplin" 2011 den Weltmeistertitel und gestaltete jetzt im Coburger Romantik-Hotel Goldene Traube einen denkwürdigen Abend. Denn die Gäste bekamen zu ihrem Vier-Gänge-Menü aus der Sterne-Küche von Stefan Beiter nicht etwa einen edlen Rot- oder Weißwein gereicht, sondern Bier. Besonderes Bier. Craft Bier. Aber: "Diese Bezeichnung ist schrecklich", findet Sebastian Priller-Riegele. Er nennt die vielen raffinierten Produkte aus seiner Brauerei in Augsburg lieber Brauspezialitäten. Und die Brauerei ist ja sowieso eher eine Biermanufaktur. Da wird mal ein neuer Hopfen-Mix ausprobiert, da erfolgt eine zweite Gährung auf Honig oder da wird mal eine exklusive Lagerung in einem Weinfass vorgenommen.
Wer freilich zu den Menschen gehört, die auf die Eingangsfrage mit "Fußball, Fernsehen, Chips" geantwortet hätten, wird jetzt stutzen, ob Bier nicht trotzdem Bier bleibt. Doch bei ihnen kann Sebastian Priller-Riegele geschmackvolle Überzeugungsarbeit leisten. Die Kreation "Simco 3" etwa riecht nach Holunder, Aprikose und Mango und passt wunderbar zu Fisch sowie asiatischen Gerichten. Das karamellige "Ator 20" ist ein guter Begleiter zu Wildgerichten. Wer zu seinem Lamm-Steak oder Entrecote ein elegantes Bier trinken möchte, ist mit dem cremigen "Robustus 6" bestens versorgt - es verbreitet einen Duft von Kaffee, Schokolade und Röstmalz.
Auf der Zunge zergehen lassen Die Gäste in der Goldenen Traube schnuppern in die Gläser und lassen sich wie bei einer Weinverkostung langsam die ersten Tropfen auf der Zunge zergehen. Eine sehr wichtige Rolle spielen für den Bier-Sommelier die Emotionen. Dazu gehören auch die schmucken 0,66-Liter-Flaschen, deren ungewöhnliche Größe diskret dazu auffordern soll, sie nicht alleine zu trinken. Denn: "Zur Genusskultur gehört auch die Kultur des Teilens", erklärt Sebastian Priller-Riegele. Wichtig ist zudem das Glas, gerne ein Rotweinglas. "Ja, probieren Sie es aus", sagt Traube-Chef Bernd Glauben, "auch Bier kann man zelebrieren!"
An diesem Abend ist das mit dem Zelebrieren schon mal gut gelungen. Da wurden zum Beispiel die Gläser - wie bei einem Whisky-Tasting - vor dem ersten Schluck zunächst noch mit den Händen etwas angewärmt: Die empfohlene Trinktemperatur für das mit Trappsisthefe hergestellte "Dulcis 12", das bestens zu Wildgeflügel und Hartkäse passt, beträgt nämlich 14 Grad. Oder das mit dem wuchtigen "Noctus 100" (Alkoholgehalt: 10 Prozent!) gefüllte Glas wurde gegen das Licht gehalten und langsam gedreht, um dann gebannt den Verlauf der schwarzen Flüssigkeit zu beobachten. "Noctus 100" passt übrigens ideal zu geräucherten Speisen sowie Ziegenkäse. Und zu Schokoladendesserts. Mal ehrlich: Wer braucht denn da noch Chips?
Was sagt die heimische Bier-Sommelière dazu? Kerstin Pilarzyk, Bier-Sommelière aus Rödental (Brauereigasthof Grosch), findet Craft Biere "unheimlich spannend". Vor allem freut sie sich, dass Bier dadurch eine gewisse Aufwertung erfährt: "Der Genuss rückt mehr ein den Vordergrund und ins Bewusstsein!" Der Gerstensaft, der bislang nicht als das klassische Getränk der Feinschmecker gilt, werde dank des neuen Trends auf eine Stufe mit Wein gestellt. Und das ist eine Stufe, auf die Bier auch längst hingehört, wie Kerstin Pilarzyk überzeugt ist. Denn: "Bier ist mindestens so spannend wie Wein!" Kerstin Pilarzyk räumt aber ein, dass die Bierkultur und auch manche Brauerei oft etwas "angestaubt" sei. "Da bringen Craft Biere frischen Wind", sagt sie, "ja, Craft Biere tun der Bierszene gut!" Seit die neuen Kreationen auch in Deutschland auf den Markt drängen, würden sich zunehmend sogar alteingesessene Brauereien wieder Gedanken über Veränderungen und Weiterentwicklungen machen.
In der Brauerei Grosch hat man allerdings auch schon vor der Craft-Bier-Welle das Sortiment entsprechend erweitert. So verweist Kerstin Pilarzyk etwa auf den "Capreolus": Bei diesem Bier handelt es sich um einen hellen Jahrgangsbock, der zur abschließenden Reifung noch vier Monate in einem Rotwein-Barriquefass gelagert wird. "Der Capreolus bietet eine Fülle an Geschmacksrichtungen, deren Reichtum an einen Spitzenwein erinnert", lautet die Beschreibung dazu.