Die Pilgergruppe um Pfarrer Markus Merz hat das nächste Stück in Richtung Jerusalem zurückgelegt. Auf dem Balkan, wo in den 1990er Jahren gleich mehrere schreckliche Kriege tobten, gab es viele beeindruckende Begegnungen mit Menschen und Gläubigen.
Ja, das war natürlich etwas ganz Besonderes: von einem der obersten Repräsentanten der serbisch-orthodoxen Kirche empfangen zu werden. Noch dazu, wenn - wie in Belgrad geschehen - Weihbischof Andrej regelrecht ins Schwärmen gerät über die Coburger Pilgergruppe. "Sie laufen bis nach Jerusalem? Und das ganz im Zeichen der Ökumene?" Erst nach mehrmaligem Nachfragen konnte Andrej so wirklich begreifen, welches "wundervolle Projekt" da Pfarrer Markus Merz vor mittlerweile vier Jahren begonnen hat. Denn der Weg ist hier tatsächlich das Ziel. Ein Weg mit vielen Begegnungen. Und auch wenn die Begegnung mit dem Bischof beeindruckend war: Noch mehr über den Seelenzustand der Christen in Kroatien und Serbien erfuhren die Pilger in zahlreichen Gesprächen mit der Basis. Zumal die Gruppe, die diesmal aus acht Pilgern zwischen 16 und 66 Jahren bestand, keinen offiziellen Pilgerweg läuft.
Die Route orientiert sich vielmehr daran, wo man empfangen wird.
Etliche Kilometer legten die Pilger zurück - im Schnitt gut 20 Kilometer pro Tag, einmal waren es aber auch stolze 36 Kilometer. Und das, wohlgemerkt, stets mit großem Rucksack hintendrauf. Doch zum Glück konnte auf der Strecke zwischen Budapest und Belgrad auch regelmäßig neue Kraft getankt werden: sei es durch ein Morgen- oder Mittagsgebet, ein gemeinsames Lied oder auch durch einen spontanen Segen, den ein Pfarrer, den man am Wegesrand traf, ebenso spontan wie herzlich erteilte. Nicht zu vergessen die schöne Natur, die auch in dieser oft noch recht frischen Jahreszeit bereits viel zu bieten hat. Für das eine odere andere Teilstück wurde aber auch ein Bus zur Hilfe genommen.
Rhetorik, genauer gesagt "Kriegsrhetorik", sagt schon viel darüber aus, wie Kroaten und Serben bis heute auf die schlimmen Jahre von 1991 bis 1995 zurückblicken. Außenstehende mögen vom "Balkan-Krieg" sprechen, für näher stehende war es der "Heimat-Krieg". In einem Kloster in Kroatien wurden die Pilger konsequent mit der Formulierung "Große serbische Aggression" konfrontiert. Und in Serbien bevorzugten viele Menschen die Umschreibung "Krise im ehemaligen Jugoslawien". Es wird, so der schmerzliche Eindruck, noch Zeit brauchen, bis die Menschen hier wieder eine gemeinsame Sprache sprechen und einen Dialog der Versöhnung beginnen können.
Aber auch in Richtung des übrigen Europas wird erst die Zeit alle Wunden heilen. Wunden der Enttäuschung.
Denn als sich auf dem Balkan viele schreckliche Gräueltaten ereigneten, schaute die breite Weltöffentlichkeit relativ tatenlos zu - beziehungsweise richtete ihr Hauptaugenmerk auf den ersten Golfkrieg, wo es parallel zum Balkan-Krieg um Öl ging. Dieses Verhalten von damals löste noch jetzt bei den Pilgern Scham aus. Doch Deutschland wird zum Teil ausgenommen von den verbitterten Vorwürfen. "Genscher hat uns viel geholfen", berichtete ein Mönch. Eine Frau erzählte, wie sie mehrere Jahre in einem Flüchtlingslager in Nürnberg verbrachte. "Das ist in der Nähe von Coburg, oder?" Sie lächelte - und freute sich über die zufällige Begegnung mit den Pilgern.
Unterschiedliche Christen begegneten den Pilgern während ihrer Balkan-Etappe. Stark vertreten in Kroatien ist etwa die slowakisch-lutherische Kirche.
Derweil verfallen im Land die orthodoxen Gotteshäuser, denn die waren in der Regel serbisch geprägt. In Belgrad hingegen wird zurzeit kräftig gebaut: die zweitgrößte orthodoxe Kathedrale der Welt.
Schnaps gehört in Kroatien und Serbien ungefähr so selbstverständlich zur Begrüßung eines Gastes wie in Deutschland ein Handschlag. Beim Empfang in der evangelisch-methodistischen Gemeinde gab's aber nichts. Was verständlich ist, denn diese Kirche hat ihre Ursprünge auch im Blauen Kreuz, also der Hilfsorganisation für suchtkranke Menschen. Während des Gesprächs mit dem methodistischen Pfarrer schaute plötzlich Woyzeck vorbei, ein Mitarbeiter der benachbarten lutherischen Gemeinde. Er hatte gehört, dass Deutsche im Ort sind und wollte sie kennenlernen.
Er brachte auch etwas mit - eine Flasche Schnaps! Ein Prosit auf die Ökumene!
Ana! Gleich zwei Tage lang begleitete die herzensgute Pfarrerin die Coburger Pilger durch Serbien. Sie berichtete von den vielen Problemen des Landes. Die Arbeitslosenquote in Serbien liegt bei 30 Prozent, die Stimmung der meisten Menschen ist schlecht. "Wir Serben gelten doch überall auf der Welt als die Bösen, die gleich mehrere Kriege angefangen haben", sagte Ana ganz leise. Es wird schwer werden für dieses Volk, zeitnah wieder auf die Beine zu kommen. Zumindest Ana hat aber auch Hoffnung, die vor allem durch ihren Glauben gespeist wird. Mit Gottvertrauen in eine bessere Zukunft - die Pilger glauben, dass dies der richtige Ansatz ist.
L oslassen vom Alltag, innehalten, beten und im wahrsten Sinne des Wortes über Gott und die Welt nachdenken: Das ist bei aller körperlicher Anstrengung die Grundidee des Pilgerns. "Wandern mit religiösem Hintergrund" könnte man auch sagen. Oder: "Unterwegs sein mit Gott."
E rlebnisreiche Tage liegen hinter den Coburger Pilgern. Eine Nacht im Kloster, Wanderrouten entlang der Donau, stille Wege durch einen Schneeglöckchenwald - dazu: ein Interview mit einem serbischen Radiosender, die Teilnahme am Weltgebetstag in Novi Sad sowie auch an einem Gottesdienst in Südungarn.
M arkus Merz war bis Ende 2013 Pfarrer in Coburgs Kirchengemeinde St. Moriz. Seine Pilgeridee passt auch wunderbar zu seiner neuen beruflichen Aufgabe bei der Gemeinschaft evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) in Wien, steckt sie doch voller Symbolkraft.
Denn so klar das gemeinsame Ziel ist: Der Weg nach Jerusalem und zum Frieden für alle ist noch weit. Auf einer Etappe, bei der einen auf Schritt und Tritt noch schlimme Kriegserlebnisse einholten, wurde das ganz besonders deutlich. Aber vielleicht steckt die Pilgeridee ja noch mehr Menschen zum Nachdenken und Innehalten an. Eine Person hat bereits angekündigt, mitzulaufen, wenn 2015 in Belgrad die sechste Etappe startet: Weihbischof Andrej.