Wie Coburgs Kirchenmusikdirektor Peter Stenglein die Vorbereitung auf die Uraufführung eines neuen Werks von Marcus Reißenberger erlebt.
Erstmals erlebt ein großes Chorwerk des aus Coburg stammenden Komponisten Marcus Reißenberger seine Uraufführung in seiner Heimatstadt. Kirchenmusikdirektor Peter Stenglein dirigiert am Sonntag (25. November, 16 Uhr) Reißenbergers Vertonung des 130 Psalms "MEM 29" in der Morizkirche. Kombiniert wird das Werk mit Ludwig van Beethovens Messe C-Dur. Wann ist die Vertonung des 130. Psalms entstanden? Welche Besetzung sieht die Partitur vor?Marcus Reißenberger: Entstanden ist die Vertonung im Sommer 2016, ich verwende aber kompositorische Ideen, die ich zum Teil vor über 20 Jahren formuliert habe, die Besetzung ist wie bei Beethovens C-Dur Messe, zum Teil erklärt sich deswegen auch die Kombination im Programm. Ich verwende lediglich zusätzlich Harfe und Celesta und setze einen weiteren Schlagzeuger ein. Die Aufführungsdauer beträgt etwa 20 Minuten.
Was war der Auslöser für die Komposition?M. R.: Im Blick auf das Lutherjahr 2017 stieß ich zufällig im Zusammenhang mit einer Recherche auf den Text des 130. Psalms in der Übersetzung von Martin Luther. Was mich nach einiger Betrachtung daran faszinierte waren die poetisch-lyrischen Qualitäten: "Aus der Tiefe rufe ich" "Die Stimme meines Flehens" "Wer wird bestehen?" "Meine Seele wartet" das könnten auch Textzeilen aus einem Gedicht von Georg Trakl oder Else Lasker-Schüler sein.
Was reizt gerade an diesem Bußpsalm zur Vertonung?M. R.: Über das Poetische hinaus lassen sich dann auch inhaltlich Elemente expressionistischexistentieller Dichtung erkennen, indem der Text einige der großen Grundsatzfragen des Menschlichen aufwirft: Sünde, Schuld, Hoffnung, Gnade, Vergebung, Erlösung. Besonders aber scheint mir - aktueller denn je! - als zentrales Anliegen und von nahezu universaler Bedeutung der Aspekt der Vergebung zu sein. Es ist ganz eigentlich das, was wir alle brauchen, denn wir sind allesamt schuldig: ausnahmslos; jeder.
Psalm 130 ist durch die Jahrhunderte hindurch schon häufig vertont worden. Wie lässt sich diese neue Vertonung formal und stilistisch beschreiben?M. R.: In der heutigen stilistischen Vielfalt von avantgardistischen Klang- oder Geräuschkonzeption bis hin zu Pop, Rock und Jazz würde man das als gemäßigte, tonale neue Musik bezeichnen. Ein bisschen auch eklektizistisch, da ich auch Techniken verwende, die auch Mozart oder Debussy verwendet haben, ganz so wie auch Mozart eklektizistisch ist, indem er Techniken verwendet, die zum Beispiel auch Palestrina und Johann Sebastian Bach verwendet haben.
Welche Vorbilder oder Einflüsse gibt es?M. R.: Niederländische Vokalpolyphonie (Heinrich Isaac, Johannes Ockeghem, Josquin Deprez), Johann Sebastian Bach, Mozart.
Aus der Sicht der Interpreten: Wo liegen bei dieser Partitur die Herausforderungen für Chor und Orchester?M. R.:Hauptsächlich die obligate Behandlung der Streicher; es spielt jedes Streichinstrument eine selbstständig geführte Stimme, nicht wie im klassischen Sinne, wo zum Beispiel alle 1. Violinen dieselbe Stimme spielen (meistens); hier ist es so, dass es auch noch am letzten Pult der 2. Violinen zwei eigenständige Stimmführungen gibt, die nirgends sonst im Instrumentarium abgebildet sind. Das ist für die Streicher, die das klassische Tuttispiel gewohnt sind, sehr ungewöhnlich und erfordert eine andere Vorbereitung und Probentechnik.
Welchen Eindruck hatten Sie von Marcus Reißenbergers "MEM 29" vor Beginn der Probenarbeit?Peter Stenglein: Ich fand das Projekt von Anfang an spannend: Da schreibt ein gebürtiger Coburger, der von Beruf Komponist ist und selbst in jungen Jahren im Bachchor mitgesungen hat. Er nimmt sich eines Textes an, der für mich persönlich viel bedeutet: Psalm 130 erzählt von Sehnsucht und Leid - aber auch von Trost und Hoffnung. Die Partitur ist auch rein optisch eine Augenweide und hat meine Neugierde geweckt. Im Gespräch mit Marcus Reißenberger habe ich gemerkt, welche tiefe Bedeutung dieses Werk für den Komponisten hat.