Allen Unkenrufen zum Trotz läuft das Coburger Modell in den Schulen von Stadt und im Landkreis gut. Lehrer und Eltern schätzen den integrativen Unterricht.
Wieder einmal gibt es Diskussionen um das Thema Inklusion, wird ihr Ende in vielen Bundesländern prophezeit. Die Argumente waren und sind, dass leistungsstarke Schüler in Inklusionsklassen leiden, weil sie zu wenig gefördert werden. Das Bildungsniveau werde heruntergeschraubt, es gebe massive Probleme. "Alles Quatsch", sagt Stephan Schwarzenberger, Schulleiter der Mauritiusschule im Förderzentrum Ahorn.
Seit dem Schuljahr 2001/2002 wird von dort aus gemeinsamer Unterricht für Schüler mit und ohne Förderbedarf in Partnerklassen an verschiedenen Grund- und Mittelschulen in Stadt und Landkreis
Coburg ermöglicht. "Natürlich mussten wir die Grundschulen überzeugen, auch die Eltern waren kritisch", erzählt er. Inzwischen gebe es aber einen regelrechten Run auf die Klassen, weil die Lehrkräfte ganz andere Möglichkeiten hätten als im "normalen" Unterricht. Dank des Einsatzes von zwei Lehrkräften in einer Klasse könne differenzierter gearbeitet werden.
Dadurch sei es möglich, die leistungsstarken Schüler zu fordern, die schwächeren mit Lern- und Verhaltensdefiziten hingegen zu fördern. Für die Regelschüler gibt es den Grundschullehrer und für die Kinder mit Förderbedarf - nach dem Coburger Modell sind das bei 25 Schülern in einer Klasse acht bis neun - den Sonderpädagogen. "Genaugenommen, gehören die Schüler und Lehrer zwei Schulen an."
Die Regelschüler seien rechtlich der Grundschule zugeordnet, die anderen der Förderschule. "Also können sie auch zwei Lehrer haben", erläutert Stephan Schwarzenberger.
2001 wurden zum ersten Mal Erstklässler der Mauritiusschule und der Heimatringschule gemeinsam eingeschult. Die Partnerklasse war geboren.
Seitdem kamen immer mehr an anderen Schulen hinzu: an der Melchior-Franck-Schule, an der Johann-Gemmer-Schule in Ahorn, an der Grundschule Wildenheid-Haarbrücken, an der Mittelschule Lautertal und an der Mittelschule Oeslau. Heute sind nicht mehr alle im Boot. Die Grundschule Wildenheid-Haarbrücken ist raus, weil sie für eine inklusive Klasse wohl etwas zu weit weg vom Schuss war, wie Schulleiter Günter Dekrell vermutet.
Finanzielle Gründe
"Wir hätten sie gern behalten", sagt er. Aber es ging da wohl auch um Fahrtkosten und dass die Partnerklassen mehr im nahen Umfeld vom Coburg angesiedelt werden sollten. Dem stimmt Stephan Schwarzenberger zu. "Wurde kurzfristig eine Vertretung gebraucht, dann musste sie erst einmal 20 Kilometer fahren und konnte nicht so schnell vor Ort sein."
An der Heimatringschule gibt es das integrative Angebot ebenfalls nicht mehr. "Die sind Ganztagsschule geworden, da wurde es organisatorisch und platzmäßig eng für die Partnerklasse", räumt Stephan Schwarzenberger ein. Die Platzfrage spielte auch an der Mittelschule Oeslau eine Rolle.
Dort wurde das Schulhaus umgebaut. In der Folge sei es nicht mehr möglich gewesen, die Förderschüler am Nachmittag zu betreuen. "Dann hatte das für uns keinen Sinn mehr." Die Schüler mit Förderbedarf wurden von der Mauritiusschule übernommen. "Wir haben das sehr bedauert - auch die Schulleiterin in Oeslau", betont Stephan Schwarzenberger. Seit 2015 ist die Mauritiusschule Profilschule Inklusion - eine Würdigung, die ihr durch das bayerische Kultusministerium wegen ihres Engagements beim Thema Partnerklassen zuteil wurde.
Mehr Unterstützung nötig
Doch dass eine Schule keine Partnerklasse hat, heißt nicht, dass sie nicht inklusiv arbeitet. Zum Beispiel die Hermann-Grosch-Schule in Weitramsdorf. Auch sie hat das Profil Inklusion erworben.
Doch ganz so komfortabel wie die Partnerklassen hat sie es nicht. Es wird an der ganzen Schule integrativ gearbeitet. "Schön wäre es, wenn wir auch eine zweite Lehrkraft im Unterricht hätten", sagt Rektorin Beate Deuerling. Eine Sonderpädagogin bekommt sie aber nur für 13 Stunden in der Woche. Dennoch: Dass in Weitramsdorf nach dem Prinzip Inklusion gearbeitet wird, habe der Schule viel gebracht. "Das gesamte Klima hat sich verändert. Es gibt mehr Verständnis für die Kinder und mehr Wertschätzung", erläutert Deuerling.
Prinzipiell wünschenswert
Das bestätigt Katerina Arca vom Beratungsdienst für Inklusion. "Jede Schule sollte eine inklusive Schule sein. Das gehört für mich zur Demokratie", ergänzt sie. Da Partnerklassen nicht immer und überall möglich sind, wird heute schon an vielen Regelschulen mit Einzelintegration gearbeitet.
"Das ist aber schwierig", sagt Arca. Zur Unterstützung wäre ein Mehr an pädagogischem Fachpersonal nötig. Außerdem müsste die Klassenstärke verringert werden. "Denn die Schulen sind seit Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention 2011 laut Gesetz verpflichtet, alle Schüler zu unterrichten, auch die mit Behinderung - egal welcher Art sie ist." Hier müsse die Politik nachlegen und dürfe die Kommunen als Sachaufwandsträger nicht allein lassen.
Diesen Prozess zu unterstützen, war 1999 der Fisco gegründet worden. Das Ziel damals: die gemeinsame schulische Bildung von Kindern mit und ohne Behinderung zu ermöglichen. Das sogenannte Coburger Modell fand 2003 als Partnerklassen-Modell Eingang ins bayerische Erziehungs- und Unterrichtsgesetz. 2006/2007 richtete der Fisco bayernweit ersten Beratungsdienst für Inklusion ein.
Und dass die Arbeit des Vereins immer noch von Bedeutung ist, bestätigt eine Pressemitteilung, die das bayerische Kultusministerium kürzlich herausgab. Darin heißt es, dass der Freistaat Inklusion zu einem "Kernanliegen des Schulwesens gemacht" habe.
Diakonie gibt den Integrationsgedanken für ihren Kindergarten nicht auf C
Bevor Matthias Emmer vom Vorstand des Diakonischen Werks über den Kindergarten der Begegnung sprechen möchte, stellt er klar: "Inklusion ist ein anzustrebender Idealzustand - dort wo sie passt." Nicht für alle Menschen mit Förderbedarf sei sie aber die optimale Form der Unterstützung. "Wir brauchen darüber hinaus auch die Förderzentren wie zum Beispiel die Werkstätten der Wefa, die Mauritiusschule oder die Schule am Hofgarten."
Nicht überall funktioniere das Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderung oder sozial-emotionalen Verhaltensauffälligkeiten problemlos beziehungsweise um jeden Preis - weder in der Bildung noch am Arbeitsmarkt. Und um Inklusion so umsetzen zu können, dass sie für alle gewinnbringend wird, brauche es gute Konzepte, Zeit und auch Geld.
Der einstige Kindergarten der Begegnung, den die Diakonie in ihrem Zentrum (DSZ) in der Leopoldstraße bis zum Verkauf der Immobilie betrieb, sei eine Chance gewesen, Inklusion bereits im Vorschulalter zu praktizieren. Die Gruppe bestand aus zehn Kindern ohne Förderbedarf und aus fünf, die zur Heilpädagogischen Tagesstätte für Vorschulkinder gehörten. Die Finanzierung dieser fünf Plätze hatte der Bezirk Oberfranken übernommen.
Erklärungsbedarf
"Hier wurde immer wieder kritisch nachgefragt. Der Bezirk hat uns wiederholt darauf hingewiesen, dass wir doch eigentlich eine integrative Kindergartengruppe betreiben. Dafür wäre dann, wie für die regulären Gruppen, die Kommune der Kostenträger", erläutert Matthias Emmer. Nach dem Verkauf der DSZ-Immobilie in der Leopoldstraße und dem Umzug nach Eicha in den dort leer stehenden Kindergarten musste eine neue Betriebserlaubnis abgeschlossen werden. Der Bezirk sei mit dem bisherigen Konstrukt des Kindergartens nicht mehr einverstanden gewesen. Für den Transport nach Eicha musste ein Fahrdienst eingerichtet werden, denn es sind Stadtkinder, die betreut werden. Irgendwann sollte die Einrichtung deshalb wieder nach Coburg zurückkehren. "Wir haben Gespräche mit der Stadt geführt", sagt Emmer. Aber neue Plätze zu schaffen, sei nicht ohne Weiteres möglich.
Parallel entschloss sich der Verwaltungsrat des Diakonischen Werks, die Kindertagesstätte Augustenstift zurückzuholen. "Die Kinder der Heilpädagogischen Tagesstätte können wir dort aber nicht mit unterbringen. Sie zusammen mit so vielen anderen Kindern zu betreuen, ist schlicht nicht machbar, sie wären überfordert. Dazu brauchen wir kleine Gruppen."
Status quo ändern
Nun bleiben die Kinder mit Förderbedarf erst einmal in Eicha und werden dort betreut. Doch Emmer will nicht aufgeben. "Ich bedaure es, dass wir den Kindergarten der Begegnung erst einmal nicht fortführen können. Wir brauchen ein neues Konzept."
Aber wie bisher zu arbeiten, sei unmöglich. "Ich könnte mir aber vorstellen, dass die Heilpädagogische Tagesstätte und eine reguläre Gruppe nebeneinander existieren, die Kinder auch zusammen spielen und ein Wechsel von einer in die andere Gruppe unbürokratisch möglich ist." Ideen, wo in Coburg so eine Einrichtung installiert werden könnte, gebe es schon.
ren