Bezirkstagspräsident Günther Denzler besuchte das neue Förderzentrum mit Schule und Heilpädagogischer Tagesstätte und begutachtete die pädagogischen Möglichkeiten.
                           
          
           
   
          Inklusion in der Regelschule vor Ort oder Besuch einer gezielten Förderschule? Vor dieser Entscheidung stehen Eltern behinderter Kinder. Welche Möglichkeiten den jungen Menschen ein speziell auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenes Umfeld bietet, davon konnte sich Bezirkstagspräsident Günther Denzler (CSU) bei seinem Besuch auf der Bertelsdorfer Höhe ein Bild machen. Die neue Einrichtung des Vereins "Hilfe für das behinderte Kind Coburg" ist dank der Kombination aus Schule, Tagesstätte und speziell abgestimmten Förder- und Therapieangeboten einzigartig in Oberfranken. Hier können Kinder und Jugendliche mit körperlichen Behinderungen "das Leben lernen", wie Werner Michel, Leiter der Tagesstätte, die Nachhaltigkeit der Arbeit beschrieb. 
"Solche Förderzentren sind ein Segen", fasste Denzler seinen Eindruck zusammen.
Bereits beim Spatenstich im März 2013 hatte der Bezirkstagspräsident die große Bedeutung der Coburger Einrichtung für die ganze Region hervorgehoben. Sein Interesse begründete Denzler am Dienstag auch damit, dass der Bezirk federführend zuständig sei "für alle Menschen in Oberfranken, die der Hilfe bedürfen". Von den insgesamt für diese Hilfe nötigen rund 390 Millionen Euro entfielen über 90 Prozent, 330 bis 340 Millionen Euro, auf den Bezirk. Rund 16.000 Menschen seien auf die Unterstützung angewiesen. Von dem Coburger Neubau zeigte sich Denzler "tief beeindruckt". Besonders gefielen ihm "die Leichtigkeit des Bauwerks" und die lichtdurchfluteten Räume. "Die Kinder erleben durchaus, ob sie wertgeschätzt werden", sagte der Gast. Wer durch lange, dunkle Gänge müsse, lerne anders. 
Dass jeder die neue Schule durch die Pausenhalle betrete, versinnbildlicht für Denzler, dass "das Leben nicht nur aus Lernen besteht".
  
  Sichtlich stolz
 
"Sechs Jahre mit viel Arbeit und Ärger haben sich gelohnt", sagte der sichtlich stolze Vorstandsvorsitzende Ulrich Eberhardt-Schramm bei der Begrüßung in dem komplett barrierefreien und behindertengerechten Gebäude. Bereits im Gründungsjahr 1964 hatte der Elternverein die erste Heilpädagogische Tagesstätte (HPT) in Coburg eingerichtet, um junge Menschen mit körperlichen oder motorischen Defiziten besonders zu fördern. Nachdem die Räumlichkeiten im Diakonischen Sozialpädiatrischen Zentrum (DSZ), in denen die Einrichtung die letzten 40 Jahre untergebracht war, den modernen Anforderungen an eine Behinderteneinrichtung nicht länger gerecht wurden, begann 2013 der Neubau auf der Bertelsdorfer Höhe. 
Seit September 2015 werden in dem geräumigen, farbenfrohen Gebäude 133 Kinder im Alter von drei bis 18 Jahren unterrichtet. 90 Schüler besuchen die Heilpädagogische Tagesstätte. Insgesamt 31 Pädagogen und 26 Therapeuten betreuen die Schüler. Finanziert wurde das rund 20 Millionen Euro teure Projekt vom Freistaat Bayern, der Oberfrankenstiftung, dem Bezirk Oberfranken und aus Eigenmitteln des Vereins.
Wie gut der Zuschuss des Bezirks in Höhe von 1,8 Millionen Euro angelegt ist, davon konnten sich Denzler, die Leiterin der Bezirks-Sozialverwaltung Angela Trautmann-Janovsky und Sozialplaner Robert Stiefler beim Rundgang überzeugen. Die Gäste besichtigten sowohl einige der modernen Klassen- und Therapieräume als auch die Sporthalle, das Therapiebecken mit Hubboden, die Pausenhalle und den Pausenhof mit großer Spielfläche als auch das Schulcafé "Bella".
  
  Trotz 
Inklusion werden immer noch Förderzentren gebraucht
 
Trotz des "Paradigmenwechsels von der Integration zur Inklusion" sieht Günther Denzler großen Bedarf für diese speziell auf die Bedürfnisse der Menschen mit Handicap zugeschnittenen Förderschulen: "Sie nützen dem Kindswohl mit Sicherheit mehr als der Umstand, in einer normalen Regelschule immer zu den Letzten zu gehören", sagte der ehemalige Bamberger Landrat. Der Bezirkstagspräsident sieht für "gut ausgebildete Schüler durchaus Chancen am Arbeitsmarkt". 
Michel bezeichnete die Einrichtung als "Angebotsschule", niemand werde zu ihrem Besuch gezwungen. Laut Schulleiter Helmut Franz entschließen sich Eltern in rund 60 Prozent der möglichen Fälle, ihre Kinder gleich in die Förderschule zu schicken. Die übrigen 40 Prozent probierten es in der Regelschule und kämen erst, wenn dieser Weg scheitert. 
Franz: "Diese Kinder haben oft eine leidensvolle Karriere hinter sich: Immer nur die schlechtesten Noten zu haben oder gar durchzufallen, das hält kein Kind auf Dauer aus." Die Folge seien häufig Frustration und Aggression, manche Kinder landeten gar in der Psychiatrie. Der schwerste Schritt, so fügte Michel hinzu, sei das Loslassen durch die Eltern: "Wer anfangs stirbt, das sind die Eltern, nicht die Kinder."
  
  Individuell und altersgerecht
 
Das "Dreigestirn" aus Schule, Heilpädagogischer Tagesstätte und Therapie soll den Schülern vermitteln, wie sie ihr Leben möglichst selbstständig und selbstbestimmt leben können. Bis zum Ende der Schulpflicht werden die Kinder und Jugendlichen mit körperlichen und motorischen Beeinträchtigungen individuell und altersgerecht gefördert. Nach dem Besuch des Unterrichts am Vormittag wechseln die Schüler in die Tagesstätte. 
Physio- und Ergotherapeuten sowie Logopäden nehmen sich der Schüler an, einzeln oder in Kleingruppen. Mit vielen Hilfsmitteln werden Stärken gefördert, Schwächen bekämpft. HPT-Gruppenleiterin Ursula Hermann-Geiger erläuterte den Gästen das Konzept aus Konsumferne und Naturnähe. Die Sechs- bis Elfjährigen sollen einerseits Loyalität und Individualität erfahren, andererseits Sozialverhalten trainieren und lernen, sich der Gruppe anzupassen. Der Anteil der Schüler mit Wahrnehmungsstörungen und fein- oder grobmotorischen Unzulänglichkeiten habe sich zuletzt von zehn auf 30 Prozent verdreifacht. "Wir versuchen uns darauf einzustellen", sagte Michel. 
Er zeigte, wie zum Beispiel Kinder, denen das Gefühl für den Tagesablauf fehlt, mittels des Teacch-Konzepts ihren Alltag, nur mit Symbolen und ohne Sprache, strukturieren können.
Inklusion oder spezielle Förderung? Der Eltern- und Selbsthilfeverein beschreitet beide Wege: "Wir brauchen die Regelschulen als Partner", betonte die Geschäftsführerin des Vereins Karolin Netschiporenko beim anschließenden Pressegespräch. An den Partnerschulen in Ahorn, Lautertal, Rödental und Coburg klappe die Zusammenarbeit. Hier gebe es "so viel gemeinsamen Unterricht wie möglich" sowie Differenzierungen, wo sie nötig seien, wie es Franz ausdrückte. Mit dem Förderzentrum hat der Verein nach den Worten des Schulleiters "das Kompetenzzentrum in Oberfranken" geschaffen. 
Michel dankte dafür, dass mit der Betriebsgenehmigung nun auch der rechtliche Rahmen gesichert sei: "Bisher waren wir da in Oberfranken nicht auf der sicheren Seite." Indem er "die Ohren am Bedarf der Eltern" hat, fungiert der Verein laut Netschiporenko als "Impulsgeber für neue Entwicklungen". 
  
  Das nächste Projekt im Blick
 
Kaum konnte der Neubau bezogen werden, haben die Verantwortlichen bereits das nächste Projekt im Blick: An die Heilpädagogische Tagesstätte soll ein "Wohnheim mit Familiencharakter" angegliedert werden. Geplant ist die Errichtung von vier Bungalows um einen zentralen Innenhof, die insgesamt 32 Kindern ein Zuhause bieten werden, wie Eberhardt-Schramm erläuterte. Die Schüler aus Bayreuth, aus Forchheim, dem Frankenwald oder Wunsiedel, die nicht jeden Tag pendeln können, sind derzeit noch im Internat an der Leopoldstraße untergebracht. Da die Finanzierung größtenteils steht, hofft der Vorstandsvorsitzende auf einen Baubeginn im Frühjahr 2016. Der Bezirk wird auch das neue Schülerinternat finanziell unterstützen.