Als ob die Welt unterginge: die Orkannacht im Jahr 1958

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Stark in Mitleidenschaft gezogen wurde der Friedhof an der Eisfelder Straße. Soldaten einer amerikanischen Einheit aus Bamberg halfen bei den Aufräumarbeiten mit. Foto/Repro: Dieter Seyfarth
Stark in Mitleidenschaft gezogen wurde der Friedhof an der Eisfelder Straße. Soldaten einer amerikanischen Einheit aus Bamberg halfen bei den Aufräumarbeiten mit. Foto/Repro: Dieter Seyfarth
Bereits nach 14 Tagen im Amt musste sich der neu gewählte Oberbürgermeister Ernst Bergmann als "Krisenmanager" bewähren. Hier im Bild bei seiner Vereidigung am 1. Mai 1958 durch 2. Bürgermeister Adolf Pittler. Repro/Foto: Dieter Seyfarth
Bereits nach 14 Tagen im Amt musste sich der neu gewählte Oberbürgermeister Ernst Bergmann als "Krisenmanager" bewähren. Hier im Bild bei seiner Vereidigung am 1. Mai 1958 durch 2. Bürgermeister Adolf Pittler. Repro/Foto: Dieter Seyfarth
 
Wie wenn eine Bombe eingeschlagen hätte: Der Bereich zwischen der Arnoldhütte und dem Prinzregententurm auf dem Muppberg Repro/Foto. Dieter Seyfarth
Wie wenn eine Bombe eingeschlagen hätte: Der Bereich zwischen der Arnoldhütte und dem Prinzregententurm auf dem Muppberg Repro/Foto. Dieter Seyfarth
 
Am Grüntal wurden selbst die mächtigsten Baumriesen entwurzelt. Hier half die Freiwillige Feuerwehr, wie auch anderswo, bei den Aufräumungsarbeiten. Repro/Foto: Dieter Seyfarth
Am Grüntal wurden selbst die mächtigsten Baumriesen entwurzelt. Hier half die Freiwillige Feuerwehr, wie auch anderswo, bei den Aufräumungsarbeiten. Repro/Foto: Dieter Seyfarth
 
Das beschädigte Wohnhaus bei der Firma Hermann Steiner. Repro/Foto: Dieter Seyfarth
Das beschädigte Wohnhaus bei der Firma Hermann Steiner. Repro/Foto: Dieter Seyfarth
 
Die Arnoldhütte hatte wohl einen Schutzengel. Obwohl im Umfeld viele mächtige Bäume umstürzten, blieb sie verschont. Repro/Foto: Dieter Seyfarth
Die Arnoldhütte hatte wohl einen Schutzengel. Obwohl im Umfeld viele mächtige Bäume umstürzten, blieb sie verschont. Repro/Foto: Dieter Seyfarth
 
Während bisher der Prinzregententurm von Wald umgeben war, steht er nun einsam, leicht zur Seite geneigt, auf dem völlig kahlen Plateau. Foto: Dieter Seyfarth
Während bisher der Prinzregententurm von Wald umgeben war, steht er nun einsam, leicht zur Seite geneigt, auf dem völlig kahlen Plateau. Foto: Dieter Seyfarth
 
Dieser "Sturmstein" auf dem Arnoldweg im Muppberg erinnert heute noch an die Unwetterkatastrophe vom 15. Mai 1958. Foto: Dieter Seyfarth
Dieser "Sturmstein" auf dem Arnoldweg im Muppberg erinnert heute noch an die Unwetterkatastrophe      vom 15. Mai 1958. Foto: Dieter Seyfarth
 
Der stehengebliebene Stumpf des Schornsteins vom Ferngaswerk, dessen Einsturz ein Menschenleben forderte. Foto: Dieter Seyfarth
Der stehengebliebene Stumpf des Schornsteins vom Ferngaswerk, dessen Einsturz ein Menschenleben forderte. Foto: Dieter Seyfarth
 

Die verheerende Sturmnacht vor 60 Jahren ist den älteren Neustadtern im Gedächtnis geblieben. Nur wenige Gebäude blieben verschont. Es gab ein Todesopfer.

Wer schon einmal im Neustadter Muppberg entlang des "Arnoldweges" gewandert ist, dem ist sicherlich auf dem Pfad zwischen der Auffahrtsstraße zur Arnoldhütte und dem zweiten Reitweg ein markanter Stein aufgefallen. Es ist der "Sturmstein", der an die schreckliche Unwetterkatastrophe in der Nacht zum Himmelfahrtstag am 15. Mai 1958 erinnert. Zwei Tage später, am 17. Mai 1958, berichteten die Heimatzeitungen mit folgenden Schlagzeilen darüber: Unwetter-Katastrophe über Neustadt/Der Orkan schlug zu/Orkanartiger Gewittersturm verursachte Schäden größten Ausmaßes/Wie nach einer Artillerieschlacht/Erste Schätzungen belaufen sich auf 3 Millionen DM/Die Stadt bot ein Bild schlimmster Verwüstungen/Auf dem Muppberg ganze Waldstücke umgelegt/Einstürzender Schornstein forderte ein Menschenleben/51 Personen obdachlos/Katastropheneinsatz bewährte sich.

Was war geschehen? Ein orkanartiger Sturm, der 15 Minuten nach Mitternacht begann, tobte ungefähr eine Dreiviertelstunde. Schwere Gewitter mit Hagelschlag in Taubeneiergröße und Spitzenböen bis 100 Kilometer in der Stunde (Richtung West bis Südwest) verursachten verheerende Schäden im Neustadter Stadtgebiet sowie im Coburger und Sonneberger Raum. Nach kurzer Zeit war in der Stadt die Stromzufuhr unterbrochen und die Häuser lagen in gespenstischer Dunkelheit. Immer wieder verfärbten die unzähligen Blitze die Finsternis der Nacht zu einem ungewöhnlich kiesgelb-hellorangenen Bild. Krachende Donnerschläge, dazu aus jeder Himmelsrichtung zuckende Blitze, als ob die Welt unterginge, versetzten die Menschen in Angst und Schrecken. Dazu prasselten starke Hagelkörner nur so herab.

Eine Unwetterkatastrophe dieses Ausmaßes hatte die hiesige Bevölkerung wohl noch nicht erlebt.
Der orkanartige Sturm fegte mit so einer elementaren Gewalt übers Land, dass selbst stärkste Bäume wie Streichhölzer umgeknickt oder entwurzelt wurden, Schuppen und Wohnbaracken zusammenbrachen, Fabrikschornsteine einfielen, Dächer abgetragen, Fenster und Türen eingedrückt und durch Hagel- und Gewitterregen viele Keller unter Wasser gesetzt wurden. Nur wenige Gebäude blieben verschont. Telegrafenmasten schlugen um. Lichtleitungen wurden zerfetzt.
Ein Berichterstatter formulierte seinerzeit die Geschehnisse kurz und knapp so: "Zuckende Blitze waren die gespenstische Beleuchtung für ein Werk der Zerstörung. Im Heulen des Sturmes, im Prasseln des Hagels, im Krachen der Bäume, im Bersten der Gemäuer gingen die Schreckensrufe der Einwohner unter. An Schlaf war nicht zu denken. Jeder versuchte, sich und sein Eigentum vor den gröbsten Schäden zu bewahren. Schwache Menschenkraft gegen die Gewalt der entfesselten Elemente - ein ungleicher Kampf!"


Verwüstungen, wohin das Auge blickte

Nach Abflauen des Sturmes rückte der Katastrophendienst noch in der Nacht zu ersten Hilfseinsätzen aus. Aber erst im Morgengrauen konnte man sich ein Bild von den verheerenden Verwüstungen machen. Schäden waren an zahlreichen Firmen- und vielen Privatgebäuden und in den Wohnungen entstanden. Im Kabelwerk der Firma Siemens war das Dach einer Lagerhalle abgerissen, wobei das eindringende Wasser den Hauptschaden verursacht hatte (circa 500 000 DM). Das Ferngaswerk war mit einem Schaden in Höhe von etwa 400 000 DM betroffen. Außerdem war hier ein Todesopfer zu beklagen. Als der 57-jährige Vorarbeiter Johann Rosenberg nach einer Überprüfung der technischen Anlagen ins Freie trat, stürzte der 62 Meter hohe Schornstein des Gaswerkes bis zur Hälfte ein. Von den Trümmern schwer verletzt starb der Vorarbeiter wenig später im Krankenhaus. Bei der Firma Hausser war auch ein Schornstein eingebrochen und hatte dabei die Fabrikgebäude beschädigt (Schaden circa 180 000 DM).

Fast völlig vernichtet wurde bei dem Unwetter die angrenzende Gärtnerei Wacker. Im Schwimmbad wurden sämtliche Umkleidekabinen zerstört. Das Dach des Kassenhäuschen wurde weggefegt (Schaden ungefähr 30.000 DM). Schwere Schäden verursachte der Orkan bei der Firma Hermann Steiner in der Eisfelder Straße. Hier wurde die Wand des Wohnhauses eingedrückt (Schaden circa 200.000 DM). Auf dem Friedhof brachen die mächtigen Bäume wie Strohhalme. Grabsteine wurden aus den Fundamenten gehoben. In der Rückertstraße wurde das Dach der Firma Florschütz abgetragen, ebenso wie beim katholischen Kindergarten.


Die Leute mussten in eine Obdachlosenunterkunft

Mit den Schrecken davon kamen die Bewohner der Wohnbaracken in der Walderholung. Obwohl dort Bäume auf die Dächer stürzten, blieben die Behausungen bewohnbar. Anders dagegen in der sogenannten "Dr. Weppler-Siedlung" am Ferngaswerk. Hier bot sich ein furchtbarer Anblick. Wie Streichhölzer waren die Stützbalken der Holzbaracken von dem Orkan geknickt und die Wände eingeworfen worden. Die hier wohnenden kinderreichen Familien, insgesamt 49 Personen, fanden vorübergehend im städtischen Kultursaal in der Feldstraße eine Obdachlosenunterkunft. In der Stadtrandsiedlung wurden viele Häuser beschädigt, da sie, anders als in der Stadtmitte, dem Sturm mehr ausgesetzt waren. Besonders schlimm waren die Verwüstungen im Bereich des Kalmusrangens. Am Grüntal knickte der Sturm 26 Bäume um. Das Gesellschaftshaus der Grüntalgesellschaft erlitt schwere Schäden.

Schwer heimgesucht wurde vor allem der Muppberg. Es zeigten sich Bilder wie nach einem Trommelfeuer im Krieg. Fast alle Wege waren durch die umgestürzten Bäume unzugänglich. Ein schlimmes Szenario hatte der Gewittersturm um den Aussichtsturm hinterlassen. Von der "Linder Ruh" bis zum Prinzregententurm stand kein Baum mehr, die Baumwipfel waren alle abrasiert. Der Turm selbst hatte sich nur leicht zur Seite geneigt. Über die Arnoldhütte hatte der liebe Gott wohl eine schützende Hand gelegt; denn sie bliebt verschont von den zu Hunderten stürzenden Riesenstämmen.

Einige Hüttengäste mussten die Nacht in der Arnoldhütte verbringen. Die Telefonverbindung war abgerissen. Der Hüttenwirt Hermann Faber konnte erst in den frühen Morgenstunden mit der Axt einen Pfad hinunter in die Stadt bahnen. Das Neustadter Forstamt meldete in seinem Bereich einen Schaden in Höhe von 10 000 bis 12 000 Festmeter Holz, 3000 Festmeter entfielen allein auf dem Muppbergwald.

Bereits am 1. August 1958 wütete wieder ein verheerendes Unwetter über Deutschland. In der näheren Umgebung betroffen waren vor allem die Bereiche um Rodach, Heldritt, Wiesenfeld und Meeder sowie Coburg und der Frankenwald. Die Schäden im Neustadter Stadtgebiet waren geringer als am Himmelfahrtstag, jedoch wurde erneut der Friedhof in Mitleidenschaft gezogen. Hier hatte der Sturm starke Bäume gefällt, die teilweise die Grabsteine zertrümmerten oder verschoben. Weitere Schäden entstanden im Schwimmbad. Die Grenzmauer zwischen dem Bad und der Firma August Richard Dietz & Sohn wurde umgelegt. Die überdachten Fahrradständer der Firma Siemens wurden stark beschädigt. Erneut wurden im Bereich des Forstamtes Neustadt 32 000 Festmeter Holz geworfen, wobei auf den Distrikt Muppberg rund 2000 Festmeter gestürztes Holz entfielen.


Erinnerung an Unwetter mit ähnlichen Ausmaßen

Am 31. Mai 1856 fegte ein orkanartiger Sturm über die Region, der, wie das auch diesmal der Fall war, die Straße von Coburg nach Oeslau und Neustadt durch reihenweise gefällte Bäume unpassierbar machte.
Genau 50 Jahre später, am 31. Mai 1906, kam es wieder zu einem so schweren Unwetter, das abermals die Straße nach Neustadt durch entwurzelte Bäume sperrte. Diesmal war die Straße zwischen Mönchröden und Neustadt durch 70 umgestürtzte Bäume unpassierbar.
Das nächste schwere Unwetter suchte das Coburger Gebiet 1909 auf.
1926 erlebten die Coburger eine Schreckensnacht. Ein Wolkenbruch im Gebiet von Rögen und Bausenberg setzte derartige Wassermassen in Bewegung, dass in der Leopoldstraße am Ende der Marstallecke beinahe ein junger Mann ertrunken wäre.
1946 wurden von einem Sturm hauptsächlich nur die Waldungen heimgesucht. Der Windbruch verursachte damals im ganzen Bereich des Forstamtsbezirkes Neustadt etwa 7000 Festmeter Holz.

In unguter Erinnerung ist auch der Orkan "Kyrill", der am 18. Januar 2007 über Mitteleuropa erhebliche Schäden anrichtete. Auch Neustadt und das gesamte Coburger Land wurden von diesem schlimmen Wintersturm betroffen.