1926: Gewitter setzen Coburg unter Wasser

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Dieses Foto im Tageblatt-Archiv ist nicht näher beschrieben. Es zeigt die Itzbrücke bei der Heiligkreuzkirche. Im Hintergrund schießt die Lauter in die Itz.
Dieses Foto im Tageblatt-Archiv ist nicht näher beschrieben. Es zeigt die Itzbrücke bei der Heiligkreuzkirche. Im Hintergrund schießt die Lauter in die Itz.
An der Kreuzung Callenberger Straße/Kanonenweg.
An der Kreuzung Callenberger Straße/Kanonenweg.
 
Pferdefuhrwerk in der Lossaustraße vor der Neuseser Unterführung
Pferdefuhrwerk in der Lossaustraße vor der Neuseser Unterführung
 
Nur noch Schlamm: die Leopoldstraße nach dem Unwetter am Abend des 9. Juli 1926.
Nur noch Schlamm: die Leopoldstraße nach dem Unwetter am Abend des 9. Juli 1926.
 

Vor fast genau 90 Jahren suchten schwere Unwetter das Coburger Land heim. Eine neue Folge unserer Serie zu 130 Jahren Coburger Tageblatt.

Die Heiligkreuzschule geschlossen, der Bahnhof nur mit Hilfe von Pferdefuhrwerken erreichbar, die Leopoldstraße eine Schlammwüste: In der Nacht vom 4. auf den 5. Juli 1926 entlud sich ein Gewitter über Coburg, das allein 54 Liter Wasser pro Quadratmeter herunterbrachte. Die heftigen Regenfälle dauerten stundenlang an und hatten am Vormittag des 5. Juli noch nicht aufgehört.

Die Redaktion des Coburger Tageblatts, die gerade ihr neues Domizil an der Ecke Mohren-/Hindenburgstraße bezogen hatte, verzeichnete bis kurz vor Mittag die Folgen des Unwetters. Der 5. Juli 1926 war ein Montag, und das Tageblatt erschien damals mittags um 12 Uhr. Deshalb findet sich wiederholt der Vermerk "heute".

Vor allem im Einzugsgebiet von Lauter und Sulz hatte es so viel geregnet, dass der Wasserspiegel der Lauter höher war als der der Itz.
Die "Callenberger Unterführung", damals noch "Tunnelunterführung nach Neuses" genannt, stand schon in der Nacht zum Montag unter Wasser. " Die Jugend wusste der Sache eine gute Seite abzugewinnen und hatte bald im oberen Teil der Lossaustraße und auf den Wiesen bei Neuses ein Freibad eröffnet", berichtet das Tageblatt. Große Schäden hatten die Landwirte zu beklagen: Eine eilends zusammengestellte Kommission stellte fest, dass "mindestens 50 Prozent des Futters, mancherorts 75 Prozent, verloren sind". In einigen Ortschaften im Itzgrund und an den Langen Bergen habe das Wasser meterhoch in Häusern und Ställen gestanden.

Doch damit nicht genug: Am Abend des 9. Juli 1926 ging ein Unwetter über dem östlichen Stadtgebiet nieder. Wasser und Schlamm fluteten die Leopoldstraße hinab, vom Schlossplatz schoss das Wasser zum Markt, der kurzzeitig unter Wasser stand, und die Besucher des Gregoriusfestes flüchteten vom Anger.

Im folgenden einige Texte, wie sie in den Tageblatt-Ausgaben vom 5., 6. und 10. Juli 1926 zu lesen waren. Die Rechtschreibung wurde teilweise heutigen Gepflogenheiten angepasst.


Der Pegel steigt

Coburg, 5. Juli (1926). Unwetter auch bei uns. Der gestern nachmittag hier niedergegangene und heute vormittag noch fortdauernde wolkenbruchartige Regen hat im Flussgebiet der Sulz, der Röden, der Itz und Lauter Hochwasser verursacht. Der Pegel an der Mohrenbrücke heute heute vormittag über zwei Meter und das Wasser ist im Steigen begriffen. Die Tunnelunterführung nach Neuses steht total unter Wasser und einzelne Straßen sehen wie von Granatfeuer aufgewühlt aus. Der Unterricht in der Heiligkreuzschule , deren Zugänge zum Teil unter Wasser stehen, musste geschlossen werden. Auch der Eisenbahnverkehr wurde durch die Wasserfluten beeinträchtigt. Wie wir hören, ist in der Richtung Ummerstadt-Meeder ein Wolkenbruch niedergegangen, der besonders das Sulztal in einen See verwandelte und den Damm der Bahn Coburg-Rodach auf eine Strecke von 2 1/2 Metern wegspülte. Infolgedessen konnte der heutige Frühzug von Rodach nicht verkehren, ebenso ist auf der Rossacher Strecke bei Großheirat eine Bahndammunterspülung zu verzeichnen. Hilfszüge sind an die betroffenen Stellen abgegangen. Die Talwiesen sind überschwemmt und auch die Felder haben durch die Regenmassen stark gelitten. Gegen Mittag zeigte der Pegelstand 2,30 Meter. Das Hochwasser ist bereits bis zum Bahnhofsgebäude vorgedrungen.


Die Statistik des Wetterkundlers

Unser Coburger Wetterkundige, Herr Sch., schreibt uns: Die gestern über unsere Stadt hinziehenden mehrfachen Gewitter waren von Regenfluten begleitet, wie sie seit Bestehen der Wetterwarte, seit dem Jahre 1883, hier nicht beobachtet worden sind. Es fielen insgesamt 75 Liter Regenmenge auf einen Quadratmeter. Davon ergab das Abendgewitter 54 Liter. Stellt man sich vor, dass von dieser Flut kein Tropfen abgelaufen oder eingesickert wäre, dann müsste jede Bodenfläche weit und breit ungefähr 8 Zentimeter hoch mit Wasser bedeckt sein. Die bis jetzt beobachteten Höchstmengen der Niederschläge reichen bei weitem nicht an die heutige heran. Es fielen am 6. August 1890 45 Millimeter und am 15. August 1924 49 Millimeter. Der langjährige Monatsdurchschnitt des Juli beträgt geradeaus 76 Liter Regenmenge.


Wer hat den Kugelblitz gesehen?

Coburg, 5. Juli: Gewittererscheinung. Am 3. Juli, abends 10 Uhr, wurde hier ein Kugelblitz beobachtet. Vom Naturwissenschaftlichen Museum im Hofgarten aus nahm die Erscheinung folgenden Verlauf. Unter der dichten Wolkendecke war in Richtung nach dem Schloss Hohenfels ein Stern von der Helligkeit des Jupiter zu sehen, der jedoch deutlich flächenhafte Ausdehnung hatte. Von einer Bewegung wurde zunächst nichts bemerkt, der Stern setzte sich jedoch alsbald langsam in waagrechte Bewegung und war so als Kugelblitz zu erkennen. Nach einer Beobachtungszeit von etwa sechs Sekunden wurde er in Richtung nach dem Bismarckturm hinter dem Gebäude unsichtbar. Donner oder sonstige Geräusche wurden nicht bemerkt. Die Bahn des Blitzes lag etwa 25 Grad über dem Horizont. Wenn von unseren Lesern noch weitere Beobachtungen dieser seltenen Erscheinung gemacht worden sind, bitten wir um baldige Mitteilung, damit die Angaben der wissenschaftlichen Bearbeitung zugänglich gemacht werden können.


Zusammenfassung am Tag darauf

Coburg, 6. Juli. Das Unwetter, von dem gestern unsere Stadt heimgesucht wurde, war das größte seit dem Jahre 1909 und hat unseren im Norden wohnenden Mitbürgern sehr viel Schaden verursacht. Die durch die Sulz verstärkte Lauter führte derart große Wassermengen in das Itzbett, dass am Einfluss in dasselbe eine Stauung hervorgerufen wurde. Der Wasserspiegel der Lauter lag höher als der der Itz, welchen Unterschied man beim Zusammenfluss ganz deutlich beobachten konnte. Die ersten Überflutungen machten sich bei Neuses bemerkbar: Schon in den ersten Morgenstunden es gestrigen Tages waren die Wiesen des unteren Lautergrundes bis zur Bahnunterführung nach Neuses total überschwemmt. Mit großer Heftigkeit fluteten die bies gegen 4 Uhr nachmittags steigenden Wassermassen in die Lauter und verursachten am Hoffmeister und Grasserschen Grundstück großen Uferschaden. Es wurde ein Birnbaum mit dem gesamten Erdreich weggerissen und eines der am Ufer stehenden kleinen Gebäude zum Teil zum Einsturz gebracht. Das Wasser trat dort auch bald über die Ufer, verursachte in der benachbarten Blumstrittschen Gärtnerei großen Schaden und flutete die Kreuzwehrstraße hinunter. Schon gegen ½ 11 Uhr konnte der Verkehr nach dem Bahnhofshotel nur durch eine Notbrücke aufrecht erhalten werden. Aber auch diese musste bald weggeräumt werden, denn in den Mittagstunden stieg das Wasser rapid. Dabei zeigte sich, dass unter Bahnhof durchaus nicht außerhalb des Hochwassergebietes liegt. Er war während des ganzen Nachmittags trockenen Fußes nicht zu erreichen, und alle Reisenden mussten mit Wagen aufs "Festland" oder vom "Festland" zum Bahnhof gefahren werden. Der Pegel an der Mohrenbrücke zeigte inzwischen 2,40 Meter.


Spektakel und Badespaß

(Fortsetzung vom 6. Juli): Die ganze Stadt war auf den Beinen, um sich das Schauspiel anzusehen, bei dem es an ergötzlichen Bildern nicht fehlte. Mehrfach sah man Radfahrer in den Fluten verschwinden, um nach einem Vollbad wieder aufzutauchen. Kraftwagen blieben an verschiedenen Stellen im Wasser stecken und mussten mit "Pferdekraft" herausgezogen werden. Bald entwickelte sich ein lebhafter Wagenverkehr im Bahnhofsviertel und selbst kleine Handwagen wurden zum begehrten Verkehrsmittel. Die Jugend wusste der Sache eine gute Seite abzugewinnen und hatte bald im oberen Teild er Lossaustraße und auf den Wiesen bei Neuses ein Freibad eröffnet, und auf der Straße nach Neues sah man mehrere Faltboote. In den späten Nachmittagsstunden sank das Wasser dann langsam und im Laufe der vergangenen Nacht ist es erfreulicherweise um fast 1 Meter zurückgegangen. Der Pegel an der Mohrenstraße zeigte heute vormittag 1,50 Meter. Die Wiesen des Itz- und Lautergrundes sind aber zum Teil noch überschwemmt. Der Flurschaden, den das Hochwasser und der wolkenbruchartige Regen angerichtet haben, ist recht erheblich. An vielen Stellen hat das Getreide stark gelitten und ist die Heuernte vollständig vernichtet.


Düstere Bilanz der Landwirte

Bericht der Landwirtschaft, Ausgabe 6. Juli 1926, auszugsweise: Ganz besonders schwere Schäden wurden im Rodachgrund und Itzgrund und deren Nebentälern festgestellt. Im allgemeinen sind die Verwüstungen in den Talniederungen am schlimmsten. (...) Nach eingehender Besichtigung der Flurschäden muss damit gerechnet werden, dass mindestens 50 Prozent des Futters, in einigen Gegenden 75 Prozent, verloren sind. (...) Es gibt eine Anzahl von Orten im Itzgrund und an den Langen Bergen, wo das Wasser meterhoch in den Gebäuden und Ställen gestanden hat und damit die letzen Vorräte des Vorjahres und die bereits geborgene Heuernte vernichtet hat. Es scheint undenkbar, dass in den Gemeinden, in denen kilometerweise die Straßen und Feldwege ruiniert wurden, diese ohne öffentliche Hilfe wieder in Ordnung gebracht werden können. Selbst die ältesten Bewohner er Ortschaften können sich nicht erinnern, jemals eine derartige Zerstörung der landwirtschaftlichen Werte durch Hochwasser erlebt zu haben.


Schaulustige am Schafsteg in Ketschendorf

Ketschendorf, 6. Juli (auszugsweise) (...) Zur Schafstegbrücke war gestern ein förmliche Völkerwanderung. Man fischte auch allerlei an Brettern, Bohlen und sonstigem Holz heraus,das meiste ging aber "durch die Lappen" und wird wohl im Itzgrund gelandet sein. Auch zwei Coburger Herren gehörige und durchgangene Köhne wurden aufgefangen und in Sicherheit gebracht. Auf einem derselben vergnügte sich die Jugend auf den anliegenden überschwemmten Wiesen. Überhaupt unsere sporttreibende Jugend hatte gestern Gelegenheit, sich im Wasser auszutoben. Und sie tat es tüchtig, kopfüber gings vom Geländer der Schafstegbrücke in die strömende Flut, und es war trotz allen Unglücks eine helle Freude, wie sich die jugendkräftigen Gestalten im brausenden Strom tummelten. Die zahlreichen Coburger, die tagsüber die Neugierde auf die Schafstegbrücke führte, werden mit stillem Dank derer gedacht haben, die die Itzregulierung seinerzeit durchführten und dadurch auch diesmal wieder die Stadt Coburg und ihre Bewohner vor ungeheurem Schaden bewahrten.