Bayreuth
Poetry-Slam

Nicht nur schwarz-weiß: Themenvielfalt beim Poetry-Slam Saisonauftakt

Der erste Poeten-Wettstreit der Saison überzeugt durch ein breites Themenspektrum. Gewonnen hat Victoria Bergemann aus Hamburg.
Moderator Michael Jakob beim Bayreuther Poetry-Slam Saisonauftakt im Zentrum. Foto: Florian Just
Moderator Michael Jakob beim Bayreuther Poetry-Slam Saisonauftakt im Zentrum. Foto: Florian Just
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Seine Freundin habe gesagt, er sei zu schüchtern und könne seine Gefühle nicht zeigen. Das verarbeitet Andreas Rebholz aus Sigmaringen nun auf der Bühne im Zentrum, vor rund 200 Zuschauern, als er reimt: "Um unverkrampft zu sein/ brauch ich Franzbranntwein". Sein Stil, die vielen Reime innerhalb und zwischen den Zeilen, erinnert an den deutschen Rapper Dendemann. Sein flüssiger Vortrag mit starken Betonungen, Auf- und Abwippen und ruckartigen Gesten mit den Armen wirkt weniger schüchtern als die Figur seiner selbst, die er im Text beschreibt. Erst als er nach dem Vortrag während des Applauses mit schnellen Schritten die Bühne verlässt, wird das Beschriebene mit dem Menschen vereinbar.

Nach Rebholz betritt Hank Flemming die Bühne. Flemming ist aus Tübingen angereist. Die schwäbische Stadt beschreibt er in seiner Vorrede bildgewaltig als "dreispurige Einbahnstraße bei Tempo 30 - und man findet nie einen Parkplatz." Eigentlich kommt er aber aus dem Erzgebirge, und die Tristesse dieser Heimat beschreibt er dann in seinem Text "Ich lauf". Er erzählt von einer "verloren Generation", vom Plattenbau und perspektivlosen Säufern, vom Weglaufen vor rechtsexrtremen Schlägern, die sich laut Flemming zu seiner Schulzeit gerne die kleinen Schmächtigen wie ihn zum Verprügeln aussuchten: "Ich lauf, lauf, lauf,/ das Wasser im Gesicht läuft auch, und dann seh ich die Faust." Er erzählt mit emotionaler Aufgewühltheit und vielen Reime seine Geschichte, wie er vom Plattenbau auf die Bühne kam, die ihm die nötige Freiheit gäbe, eine Perspektive böte und die Möglichkeit, etwas zu sagen oder wenigstens die Zuschauer zu unterhalten.

Das schafft sein Nachfolger Marvin Suckut aus Konstanz durch seinen witzig-provozierenden Text und seine schauspielerische Art, ihn vorzutragen. Suckuts Vortrag ist eine "Kritik an der Konsumkritik", in dem er darüber erzählt, dass es zwar sinnlos sei, 20 Schuhe zu besitzen; der Schuhschrank, den er deshalb benötige ,sei dann ja aber notwendig. Er spricht provokant von den Vorteilen von Kinderarbeit, was bei dem größtenteils studentischen Publikum gewollt Anstoß hervorgerufen haben dürfte. Oft weiß man nicht, was davon jetzt Ironie, Post-Ironie oder gar ernst gemeint ist. Diese markante Mischung bringt ihm die höchstmögliche Punktzahl, 27, ein. Damit kam er ins Finale.


Die Regeln und der Käse

Die Jury aus dem Publikum gab Rebholz 20 und Flemming 23 Punkte. Die Regeln erklärte zu Beginn der Moderator und Begründer des Bayreuther Poetry-Slam, Michael Jakob: Punktetafeln mit den Werten von eins bis zehn werden zu Beginn an fünf Zuschauer verlost. Die entscheiden anhand des Applauses der anderen und ihrem eigenen Geschmack, wie viele Punkte sie dem jeweiligen Poeten geben wollen. Der höchste und der niedrigste Wert werden jeweils gestrichen, die drei mittleren Werte ergeben in der Summe die Punktzahl (Beispiel: 9,5,7,7,8 = 22 Punkte, weil die 5 als niedrigster und die 9 als höchster Wert gestrichen werden).

Wohl wegen der warmen Temperatur kamen "nur" rund 200 Zuschauer zu Saisoneröffnung des Poeten-Wettstreits. Normalerweise sind es laut Jakob doppelt so viele. "Es ist das erste Mal, dass wir Minus machen", sagt der Moderator, zuckt aber mit den Schultern und lächelt, während er die weiteren Regeln erklärt: Der Text muss selbst geschrieben sein, der Vortrag darf nicht länger als sieben Minuten dauern, und es dürfen keine Hilfsmittel verwendet werden. Die vierte Regel laute: "Respect the Poets! Die sieben Minuten gehören dem Vortragenden, also bitte in dieser Zeit keine Pokemons fangen." Auch er bekommt seine sieben Minuten Aufmerksamkeit beim Vortrag seines "Märchens vom Käser", das den Wahnsinn der schnellen, billigen Überproduktion anhand eines Käsers aus dem Allgäu darstellt. Der will sein von allen geschätztes Produkt nicht an einen Großproduzenten verkaufen. Daraufhin produziert der Anbieter eine ungereifte Kopie und überschwemmt damit den Markt bis ins Allgäu, worauf niemand mehr zur Alm des Käsers kommt und der Käser die Menschheit zur heutigen Überproduktion verflucht. Der zentrale Satz: "Der Käse muss noch reifen."


Der Olaf und die Teewurst


Statt an guten Käse erinnert Vicotria Helene Bergemann aus Hamburg der Name "Olaf" an Teewurst. Anhand rascher Gedankensprünge und gewagter Vergleiche gelingt ihr ein vielfältiges, chaotisches Bild von Mecklenburg-Vorpommern, vom Stasi-Opa und dem Rest der Familie, von Freuden und Sorgen. Wie ein Mosaik, dessen Steine sich wild über die Seenplatte verstreut haben. Damit bekommt sie die Höchstpunktzahl und zieht ins Finale ein.




Liebe aus Bayreuth


Die Bayreuther Slammer Lena Hacker und Dominic Hopp sind beide etwas nervöser auf der Bühne als die Gäste. Hacker ist zwar erfahren, habe ihren Text aber erst eine halbe Stunde vor Beginn beendet und ist seit einem Jahr nicht mehr aufgetreten. Einmal verhaspelt sie sich leicht, kommt aber mit einem selbstironischen Kommentar schnell wieder rein und erzählt von Glaube, Liebe und Hoffnung; von schmerzhaften und schönen Erfahrungen mit der Liebe, und von ihren Rückschlüssen: Sie glaube nicht mehr an "die perfekte Liebe als "Stolz & Vorurteil Kopie "(Anspielung auf den gleichnamigen Romanklassiker und Liebesfilm), bewahre sich aber die Erinnerungen, die Erfahrungen und die Freundschaft.

Auch Hopps Text geht um Liebe, allerdings nicht der zwischen zwei Menschen, sondern der Liebe als Lösung für die Menschheit.Vorher stellt er Weltbilder von Kirche, Biologie, Wissenschaft und Gesellschaft in starken Bildern vor und in Frage ("Sind Kunst, Philosophie und Musik nichts weiter als erweiterter Vogelgesang?"). Wie er auch im Vorfeld angekündigt hat, ist sein Text stark von der Philosophie Albert Schweizers und Erich Fromms geprägt. "Wer die gelesen hat, erkennt das schon", wird Hopp nach der Veranstaltung sagen. "Das Schauspielerische gelingt mir noch nicht so habe ich gemerkt", zeigt er sich selbstkritisch, "mir war schon während des Auftirtts klar, dass das Punkte kosten wird." Während seines Vortrags blieb er recht regungslos, erzählte aber flüssig und in unaufgeregtem, angenehmem Ton, mit Pausen nach den rhetorischen Fragen, die dem Publikum Zeit zum Nachdenken gaben. "Spaß gemacht hat es auf jeden Fall. Ich werde bestimmt nochmal mitmachen", sagt er zum Abschluss. Hopp erreicht für seinen ersten Auftritt 23 Punkte, Lena Hacker bekam 21 Punkte.



Sven Hensel aus Bochum versuchte sich mit seinem Text "An meine Nichte" in ebenjene und ihre Zukunft hineinzuversetzen. Er wünscht sich für sie eine Befreiung von ihrer Geschlechterrolle, sie solle für ihre Persönlichkeit und nicht ihr Geschlecht wahrgenommen werden, aber unverkrampft: "Sie kann ihr Zimmer so rosa haben wie sie will, wenn sie es macht, weil sie es will, und nicht weil Mädchen das so machen." Hensels Vortrag hat die meisten schauspielerischen Elemente und erinnert an einen Tanz: Er hebt die Stimme bis hin zu Delfinklängen, hebt und senkt oft seine Beine, seine Arme und seinen Kopf. Dafür bekommt er 25 Punkte und wird zum dritten Finalisten.


Das Finale

Die Finalisten treten mit neuen Texten gegeneinander an. Marvin Suckut schreibt einen Brief an sein sechzehnjähriges Ich. "Kleine Schritte kleiner Mann" rät er ihm zur Geduld, weil er trotz Akne und Problemen mit Klassenkameraden zwischen mal bösem mal gutem Rausch, mal peinlichem mal schönem Sex, zwischen Lehramsts- und Philosophie-Studium schon irgendwann seinen Weg finden werde. Sven Hensel beschreibt in "Leonie" eine Begegnung mit einer heroinabhängigen Punkerin am Düsseldorfer Hauptbahnhof mit viel Emotionalität und Details. Victoria Bergemannbehandelt in ihrem Text ein Thema, das laut ihrer Meinung "die meisten entweder oberflächlich behandeln oder viel zu krass, so dass keiner mehr zuhört." Ihr Text "Wenn ich mutig wäre" geht um Depressionen. Sie schafft es, aus Kindheitswünschen und Lebenserfahrungen wie im ersten Text durch zahlreiche Vergleiche und Gedankensprünge, das ernste Thema mit einer witzigen Note zu versehen. Nur ihr letzter Satz geht dann tief und lässt das Lächeln auf den Gesichtern im Publikum verschwinden.

Damit gewinnt sie die erste Slam der Saison und damit eine Flasche Wein. Denn um den Sieg gehe es nicht, sagt Moderator Michael Jakob, sondern um Poesie und Unterhaltung. Um etwas geht es dann aber doch: Die Monatssieger treffen sich am 16. Mai 2017 zum letzten Slam der Saison, dem sogenannten "Highlander" wieder im Zentrum. Wer dort gewinnt sichert sich einen Platz bei den deutschsprachigen Meisterschaften 2017 in Stuttgart. Der nächste Bayreuther Poetry-Slam findet am 11. Oktober im Zentrum statt. Für Oktober und November sind die Plätze schon belegt, für Dezember können sich Poeten noch anmelden. Das geht mit einem Anruf bei Michael Jakob unter 0160 941 965 97.