Zum 20. Todestag der Grunge-Ikone Kurt Cobain unterhalten sich die beiden Fans und Redakteure Sebastian Martin und Christoph Hägele über ihre Erinnerungen, das Erbe und den Einfluss von Cobain. Der Sänger der Rockband Nirvana erschoss sich am 5. April 1994.
Christoph Hägele An den Tag, an dem die Welt vom Tod Kurt Cobains erfuhr, kann ich mich noch gut erinnern. Es fühlte sich ein wenig so an, als sei der große Bruder gestorben. Woher kam eigentlich das Gefühl, Cobain denke, was man selbst denkt und spreche aus, was man selber gern aussprechen würde?
Sebastian Martin An die Zeit erinnere ich mich gut. Auf die Jugendlichen - und dazu zählte ich mich damals auch - hatte Cobain meiner Meinung nach einen enormen Einfluss, weil er seine innere Zerrissenheit so radikal nach außen gelebt hat. Seine Lieder, sein Verhalten sind Beweis genug: Der ekstatischen Energie, mit der er seine Gitarre am Ende jedes Konzertes zertrümmerte, stand seine unendliche Lethargie abseits der Bühne gegenüber. Auf eine Formel gebracht: Cobain hat sich die Selbstzerrissenheit, die Unsicherheit der ganzen Jugend aufgeladen und wurde so quasi zu einem modernen Märtyrer. Vielleicht ist das der ganze Zauber. Oder war da noch mehr?
Christoph Hägele Cobain hat es völlig ernst gemeint. Da war kein Platz für Ironie oder Rollenspiel. Und mit seinem Selbstmord hat er seine Selbst- und Weltverachtung ja mit maximaler Konsequenz beglaubigt. Er war mit einem Wort authentisch. Heute berührt mich diese Haltung bei Künstlern immer ein wenig peinlich, damals muss sie sehr verführerisch gewesen sein. Wahrscheinlich ist das schlicht eine Frage des Alters: Mit 14, 15 oder 16 Jahren glaubt man ja noch an die lebensverändernde Kraft von Popmusik. Mit den Jahren wird dieser Glaube immer fadenscheiniger. Das ist vielleicht der Preis des Erwachsenwerdens. Kannst Du eigentlich noch unbefangen die Lieder von Nirvana hören?
Sebastian Martin Ehrlich gesagt höre ich die Lieder von Nirvana gar nicht mehr. Sicher werden sie jetzt aus Anlass des Todestages von vielen noch einmal hervorgekramt. Und die sind natürlich voller Erinnerung an die Zeit damals. Wobei Cobain mich wahrscheinlich als Fan gar nicht akzeptiert hätte - schließlich habe ich parallel zu Nirvana auch Guns'n'Roses ganz gern gehört. Axl Rose war ja nicht gerade ein Freund von Cobain. Dagegen war Neil Young, den ich immer noch gern höre, für Cobain und Nirvana umso bedeutender ...
Christoph Hägele Axl Rose war ja der mit den lächerlich engen weißen Radlershorts. Rose war im Grunde all das, was Cobain nicht war und verachtete: Mainstream, Machismo, Glamour. Mit den Songs von Nirvana geht es mir im Übrigen ähnlich. Ich ertrage die schlicht und ergreifend nicht mehr. Das könnte damit zusammenhängen, dass Cobains ausgestelltes Leiden an der Welt und sein jämmerlicher Tod in einer unaufgeräumten Garage den Blick auf seine Songs völlig verstellen.
Das scheint mir bei anderen Bands, deren Mitglieder gewaltsam zu Tode gekommen sind, so nicht der Fall zu sein. Die Bea tles, The Doors oder selbst Amy Winehouse laufen ja Tag für Tag im Formatradio, ohne dass es einen stört. Bei Nirvana wäre das undenkbar. Und das liegt nicht nur an den etwas lärmigeren Gitarren. Hattest Du eigentlich ein Lieblingslied von denen?
Sebastian Martin Lieblingslied? Gute Frage. Natürlich fand ich "Smells Like Teen Spirit" beeindruckend. Das Lied war ja massentauglich. Auch "Heart Shaped Box" oder "Pennyroyal Tea" fand ich immer gut. Aber am meisten reißt es mich - und das ist tatsächlich ein Lied, das ich nach wie vor gern höre - bei "Come As You Are". Den Basslauf hat ein Freund von mir immer nachgespielt, der geht mir bis heute nicht aus dem Ohr. Ich merke jetzt gerade, dass mich vor allem die Musik prägte und weniger die Texte - wie ist das bei Dir?
Christoph Hägele Mit den Texten habe ich mich kaum auseinander gesetzt. Dafür war wohl mein Schulenglisch einfach zu schlecht. Ein Gefühl, was Cobain mit seiner Musik ausrücken wollte, hatte ich aber auch so. Allein die schlaffe Haltung, die zerrissenen Hosen und ungewaschenen Haare waren ja Botschaft genug: Anti-alles für immer. Ich merke, dass ich schon wieder von Cobains Musik abschweife.
Es ist wohl so: Cobain ist schnell größer geworden als die Musik, die er spielte. Wahrscheinlich sogar völlig wider Willen. Plötzlich war er nicht mehr nur der talentierte Bandleader, sondern eine globale Projektionsfläche für jugendlichen Furor und das unbestimmte Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt mit der Welt. Das ist auf der anderen Seite auch der Grund, weshalb sein Poster noch heute in einigen Jugendzimmern hängen dürfte. Aber hängt er dort richtig neben, sagen wir mal, Che Guevera und Julian Assange?
Sebastian Martin Ob Julian Assange in den Zimmern hängt, bezweifle ich ja. Ich verstehe aber, auf was Du hinauswillst. Die Leistung von Cobain ist zumindest zweifelhaft, wenn man nur mal nüchtern betrachtet, wer er war: ein kaputter Drogensüchtiger.
Oder tue ich ihm da Unrecht? Dass man als Rockstar auch anders leben kann, beweist Ex-Nirvana-Drummer Dave Grohl, der sich mit den Foo Fighters zu den gefragtesten Größen im Alternative-Bereich gemausert hat. Ohne Skandale. Er hängt aber gerade deshalb vielleicht auch nicht so oft in den Jugendzimmern ... Muss ein Musiker über die Stränge schlagen, um ein richtiger Rockstar zu sein? Geht es gar nicht anders?
Christoph Hägele Das Besondere an Cobain war doch, dass er überhaupt nicht über die Stränge geschlagen hat. Er war ja vieles, aber sicher kein Hedonist. Oder kannst Du Dich an Berichte über rauschende Partys und viele Affären erinnern? Und auch das Heroin, das er spritzte, gilt weniger als Treibmittel für ein beschleunigtes Lebensgefühl, sondern steht eher für Rückzug und Betäubung. Was würde Cobain eigentlich heute als Überlebender mit 47 Jahren machen? Hätte er der Welt noch was zu sagen und zu geben? Wahrscheinlich würde er Hip-Hop machen.
Sebastian Martin Cobain, der Held der Jugend, heute? Schwer vorstellbar. Er würde wahrscheinlich irgendwo in kleinen Clubs auftreten, als unauffälliger Liedermacher die Westküste der USA hoch und runter tingeln. Seine Hosen hätten vielleicht keine Löcher mehr, das Flanellhemd könnte er aber immer noch tragen. Und im Publikum würden sie sagen: Kurt Cobain? Ach, das war doch mal der von Nirvana, der größten Rockband der 90er-Jahre.