Anlässlich des Gedenkens an die Reichspogromnacht beklagt die Bamberger Judaistik-Professorin Susanne Talabardon Feindseligkeit gegenüber dem Anderen.
                           
          
           
   
          Vor 80 Jahren, in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938, zerstörten die Nationalsozialisten in ganz Deutschland Synagogen, jüdische Einrichtungen sowie Geschäfte und Häuser jüdischer Mitbürger. Sie schikanierten Juden und verschleppten sie. Daran erinnern Gedenkveranstaltungen in Deutschland, so auch am  Freitag in Bamberg am Synagogenplatz (16.30 Uhr).
       
 In einem Interview  geht Susanne Talabardon, Professorin für Judaistik an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, auf dieses Gedenken ein und nimmt Stellung zu antisemitischen Tendenzen und Fremdenfeindlichkeit.  Ist ein Gedenken an die Reichspogromnacht nur noch eine ritualisierte Pflicht oder Notwendigkeit? Prof. Susanne Talabardon: Als nüchtern argumentierende Wissenschaftlerin müsste ich antworten: Ich weiß nicht, ob die am Gedenken Beteiligten die ganze Sache als eine ritualisierte Pflicht betrachten. Wenn es so wäre, müsste man die Betreffenden fragen, warum sie den Bezug zu den Gedenkveranstaltungen verloren haben. Liegt es an den gewählten Formen, denen die innere Verbindlichkeit oder die passende Ansprache fehlt oder mangelt es den Teilnehmenden an Überzeugungskraft oder Empathie?
Angesichts des gesellschaftlichen Klimas, das spürbar und beinahe täglich rauer wird, scheint mir das Gedenken an die Pogromnacht notwendiger denn je. Woraus sich selbstverständlich keine Pflicht zur Teilnahme ableitet - aber es ist nötig, an das gemeinschaftliche Versagen des Staates, der Kommunen und der Bürgerinnen und Bürger vor achtzig Jahren zu erinnern und immer wieder neu nach Gründen für den Zusammenbruch von Rechtsstaatlichkeit, von zivilen Normen und der Nächstenliebe zu fragen.  Wie kann grassierendem Antisemitismus wirksam begegnet werden? Wir sollten den Antisemitismus nicht von anderen Haltungen isolieren, die auf Menschenverachtung oder Feindseligkeit gegenüber Minderheiten hinauslaufen. Auch wenn antisemitische Überzeugungen eine lange Tradition haben, sind sie doch leicht mit anderen misanthropischen Haltungen zu verknüpfen oder auszutauschen - sei es gegen andere Kulturen gerichtet, gegen Frauen oder seien es Ressentiments gegen Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung.
An dieser Stelle wird nun in der Regel Toleranz eingefordert. Das ist vielleicht zu abstrakt, vielleicht zu viel verlangt. Bürgerliches Engagement und Zivilcourage kann man gewiss nicht von jedem Menschen erwarten - wenn es auch sehr hilfreich wäre. Aber andere Menschen, seien es jüdische, arabische, lesbische oder sonst irgendwie (vermeintlich) andersartige, in Ruhe zu lassen, das kann man einfordern. Wir brauchen keine Vermutungen darüber anzustellen, wer wo und wie dazugehört oder mit der Mehrheit kompatibel ist - solange den Gesetzen und der öffentlichen Sicherheit Genüge getan wird.
Wenn ich sehe, wie vergleichsweise gut wir es haben: in einer wunderbaren Stadt zu leben, die in eine bemerkenswert schöne Landschaft eingebettet liegt, in Sicherheit und fast durchweg mit allem Lebensnotwendigen ausgestattet - dann frage ich mich ernsthaft, was eigentlich mit uns los ist. Warum all die Feindseligkeit dem Anderen, dem Fremden gegenüber? Wie überaus trübsinnig ist es, wenn ausgerechnet bei uns die Angst dominiert, etwas zu verlieren oder abgeben zu sollen. Wer nicht zufrieden sein kann - wie wäre dem zu helfen?  Sie sind selbst Jüdin. Erleben Sie Anfeindungen in Bamberg? Nein, bisher nicht. Ich fühle mich sehr wohl in dieser Stadt - aber ich bin ja auch keine Exotin, nur eine Deutsche jüdischen Glaubens. Schwerer wiegt vielleicht der Makel, eine Preußin zu sein, die sich dann und wann noch immer im fränkischen Dialekt verheddert.
Was mich allerdings schon beeinträchtigt, sind die zahlreichen rechtsextremen und antisemitischen Graffitos unter Brücken und an Mauern und Häuserwänden. Sie erinnern mich daran, dass es hier durchaus anmaßende Leute gibt, die mir meine Kultur abzusprechen versuchen. Die tatsächlich glauben darüber entscheiden zu dürfen, wer hier deutsch ist und wer nicht.  Juden sind die älteren Geschwister der Christen. Was erwarten Sie von Ihren jüngeren Brüdern und Schwestern im Blick auf ein Zusammenleben? Also, zunächst mal streitet die Wissenschaft darüber, wer von uns beiden älter ist und wer jünger. Wahrscheinlich sind Judentum und Christentum sogar gleich alt. Oder jung. Erwarten - möchte ich nur Höflichkeit und Fairness.
Erhoffen - da ginge mehr, und zwar gerade weil der interreligiöse Dialog in Bamberg auf einem guten Weg ist. Was zum Beispiel "Geschwisterlichkeit" von Judentum und Christentum in der kirchlichen Praxis bedeutet, ist noch längst nicht durchdekliniert. Wir dürfen tapfer sein - die wirklich interessanten theologischen Fragen brauchen nicht zugunsten allgemeinen Wohlbefindens von der Tagesordnung genommen werden. Die extremen Ränder aller Religionen erstarken - wir anderen sollten uns darauf einstellen und gemeinsam agieren: offen miteinander diskutieren und füreinander einstehen.  Das Interview führte  Marion Krüger-Hundrup.