Zeitgeist weht auch heute in der Medizin

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Professor Johannes Dietl (links) und Dr. Georg Knoblach lieferten bedrückende Fakten. Foto. Marion Krüger-Hundrup
Professor Johannes Dietl (links) und Dr. Georg Knoblach lieferten bedrückende Fakten. Foto. Marion Krüger-Hundrup

Die Diskussion um den damaligen Bamberger Krankenhausdirektor Lobenhoffer war Anlass für einen Vortrag im Klinikum.

Es sei "erschütternd und schwer zu ertragen, dass Ärzte mitgemacht haben", sagte Georg Knoblach am Ende des Vortragsabends im Klinikum am Bruderwald. Der Vorsitzende des Ärztlichen Kreisverbandes Bamberg hatte mit zahlreichen Besuchern ein Referat über durchgeführte Zwangssterilisationen und -abtreibungen in der Nazizeit gehört.

Ohne "das Furchtbare aus ideologischen Gründen relativieren zu wollen", wie Knoblach erklärte, warne er jedoch vor einer "Erinnerungskultur vom Podest herab": Ärzte hätten damals teilweise im Zeitgeist gehandelt. Und Zeitgeist wehe auch heute "als große Gefahr", so der Arbeitsmediziner: "Wir müssen uns an die eigene Nase fassen." In der Gegenwart sei die Ökonomie im Gesundheitswesen, die Gewinnmaximierung in der Gesundheitswirtschaft mit gravierenden Folgen für die Patienten, der Widersacher des ärztlichen Berufsethos‘ schlechthin: "Wer erhebt sich glaubwürdig dagegen?" fragte Knoblach mahnend.

Anlass des medizinhistorischen und Gegenwartsbezogenen Exkurses war die in diesem Jahr aufgekommene Diskussion um die Person Wilhelm Lobenhoffers. Es ging um die Frage, ob nach dem damaligen Ärztlichen Direktor des Krankenhauses Bamberg (zwischen 1918 und 1945) weiterhin eine Straße benannt werden könne. Denn Lobenhoffer sei für die einst in seinem Krankenhaus durchgeführten Zwangssterilisationen verantwortlich.

Georg Knoblach wies darauf hin, dass im Fall Lobenhoffer "die Aktenlage sehr dürftig ist". Es sei bekannt, dass dieser Mitglied der NSDAP und an fünf Zwangssterilisationen von Männern direkt beteiligt war. Lobenhoffer habe Befunde gefälscht, um diese Zwangsmaßnahme anderweitig zu verhindern. Zudem habe er trotz des offiziellen Verbotes den in der Reichspogromnacht schwer misshandelten Willy Lessing stationär behandelt und sich im April 1945 für einen kampflose Übergabe der Stadt Bamberg eingesetzt.

"Eugenik und der Sozialdarwinismus beeinflussten die Medizin damals", leitete Knoblach zu den Ausführungen des Referenten über. Professor Johannes Dietl, emeritierter Direktor der Universitätsfrauenklinik in Würzburg, beleuchtete denn auch die Hintergründe von "Rassenhygiene, Menschenzüchtungsvisionen, Erblichkeitslehre", die keine Erfindung der Nazis gewesen seien. Das erste rassenhygienische Institut sei 1921 im schwedischen Uppsala gegründet worden. Bis 1975 bzw. 1979 seien beispielsweise in Schweden, Dänemark, Finnland in hoher Zahl Zwangssterilisationen durchgeführt worden.

Professor Dietl ging auf das 1933 von den Nazis erlassene "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" ein. Demnach konnte das Erbgesundheitsgericht Sterilisationen gegen den Willen der Betroffenen anordnen. Sterilisationspflichtig seien Hilfsschüler, Wohlfahrtsempfänger, sexuell Abwegige, Kriminelle oder alleinstehende Frauen mit Kindern von verschiedenen Vätern gewesen. (In Bamberg wurden während des Dritten Reiches 847 Anträge auf Zwangssterilisation ans Erbgesundheitsgericht gestellt, wie Georg Knoblach wusste.)

Referent Dietl machte am Beispiel des Würzburger Gynäkologen Professor Dr. Carl Joseph Gauß (1875 bis 1957) deutlich, wie ein Arzt dem damaligen Zeitgeist folgend in Zwangssterilisationen und -abtreibungen bei Ostarbeiterinnen verstrickt war und nach 1945 auch nicht bestraft wurde. Im Spruchkammerverfahren 1946 in Bad Kissingen "wurde er als Mitläufer eingestuft".

Das "Erbgesundheits-Gesetz" von 1933 galt formal in der Bundesrepublik Deutschland bis 1968 weiter, wurde seit 1945 freilich nicht mehr angewendet. Professor Dietl nannte ein weiteres Faktum: 1990 beschloss der Bundestag, den einst Zwangssterilisierten eine monatliche Rente von umgerechnet 100 Euro zuzubilligen.

Veranstalter dieser lehrreichen Geschichtsstunde war der Arbeitskreis Geschichte des Ärztlichen Kreisverbandes Bamberg.