Was dem Gemeinwohl nützt - So sind Bambergs Vereine vom Attac-Urteil betroffen

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Mit einer schwimmenden "Steueroase" machte Attac Bamberg auf legale und illegale Steuertricks aufmerksam. Fotos: Bernd Zwönitzer/Archiv
Mit einer schwimmenden "Steueroase" machte Attac Bamberg auf legale und illegale Steuertricks aufmerksam.  Fotos: Bernd Zwönitzer/Archiv
Die Polizei beendete die Aktion nach kurzer Zeit.
Die Polizei beendete die Aktion nach kurzer Zeit.
 

Der Organisation Attac ist die Gemeinnützigkeit aberkannt worden. Die Auswirkungen auf die Bamberger Ortsgruppe halten sich in Grenzen - noch. Müssen die etwa 1000 gemeinnützigen Bamberger Organisationen nun bangen?

Ein Floß schwimmt auf der Regnitz, darauf eine Plastik-Palme, Geldsäcke sowie Logos großer Firmen wie Apple, Starbucks und Amazon. Die Untere Brücke ist voller Menschen an diesem heißen Maitag 2018. Amüsiert beobachten sie, wie die Flossinsassen in schicker Kleidung für ihre "Steueroase" werben, und dabei symbolisch Bildung und Pflege über Bord werfen. Damit wollten die "Attacitos", die Bamberger Hochschulgruppe des Attac-Netzwerks, auf legale und illegale Steuertricks Hinweisen, die den Staat und damit die Allgemeinheit jährlich einige Milliarden Euro kosten.

Dient eine solche Aktion der politischen Bildung? "Ja", sagt Günter Winkler, Vorsitzender von Attac-Bamberg. "Nein", sagte kürzlich der Bundesfinanzhof (BFH). Der fällte im Januar ein Urteil und erkannte damit Attac die Gemeinnützigkeit ab. Spenden an Organisationen, die vom Finanzamt als gemeinnützig anerkannt sind, kann der Spender von der Steuer absetzen.

Die Bamberger Ortsgruppe habe finanziell bisher kaum Auswirkungen gespürt. "Unser Spendenniveau ist stabil", sagt Winkler. Er befürchtet aber, dass der Spendenfluss langfristig sinken könnte, wenn das Urteil "endgültig" wird. Denn der BFH hat den Fall ans Hessische Finanzgericht zurückverwiesen, der Rechtsstreit kann sich noch hinziehen.

Attac Bamberg hat etwa 100 Mitglieder, 15 davon beteiligen sich regelmäßig an der Organisation von politischen Aktionen. Die thematische Bandbreite reicht von Kritik am Derivate-Handel, an Abschiebungen und Freihandelsabkommen, bis hin zum Einsatz für Umweltschutz und Feminismus. Die breite Aufstellung kritisiert auch Winkler als nicht immer zielführend, denn so sei nicht immer klar, wofür Attac genau steht; "aber alles dient dem Allgemeinwohl".

25 Gründe

Das sieht der BFH anders. In Paragraf 52 der Abgabenordnungsind 25 Gründe gelistet, die den Status der Gemeinnützigkeit rechtfertigen können, darunter etwa die Förderung von Umweltschutz, Sport, Kunst, Religion und Jugendhilfe. Attac fiel unter Punkt 7: "Förderung der Volksbildung".

Gründungsziel von Attac im Jahr 1998 war der Kampf für eine Finanztransaktionssteuer. Damit sollte ein Teil des internationalen Aktienhandels, bei dem mittlerweile innerhalb von Sekundenbruchteilen Milliardenbeträge verschoben werden, mit 0,5 Prozent versteuert "und die Einnahmen für gute Taten eingesetzt werden", erklärt Winkler. "Das sind konkrete Lösungsvorschläge, die beinahe in der EU umgesetzt worden wären." Doch im letzten Moment sprang Frankreich ab, wonach sich auch Deutschland zurückzog. Die beiden Länder legten im Dezember eine abgeschwächte Version vor.

Mit dem seit der Gründung stark verbreiterten Engagement versuche Attac nach Auffassung des BFH aber, "die politische Willensbildung ... im Sinne eigener Auffassungen zu beeinflussen", heißt es in der Urteilsbegründung. Dies sei nicht gemeinnützig. Für die politische Volksbildung im Sinne der Gemeinnützigkeit sei "geistige Offenheit" erforderlich, so der BFH.

Vereine in Bamberg

"Das ist ein Witz!", sagt Winkler. "Warum gelten Unternehmerverbände, die nur Eigeninteressen vertreten, als gemeinnützig, und wir nicht?" So zählen etwa auch der Deutsche Fußball-Bund, die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände, der CDU-Wirtschaftsrat und die Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik als gemeinnützig. Letztgenannte "betreibt Lobbyismus für die Waffenindustrie. Im Vergleich dazu sind wir eine kleine Gruppe Ehrenamtlicher", sagt Winkler. "Wir haben persönlich nichts davon."

Nach dem Urteil bangen nun andere bundesweit operierende Organisationen wie die Petitionsplattform Campact ebenfalls um ihren Status. Beim Finanzamt Bamberg sind etwa 1000 Vereine als gemeinnützig gelistet, darunter verschiedenste Gruppen wie die Lebenshilfe, das Jugendtheater "Chapeau Claque" und der Börsenverein Bamberg. Müssen diese nun auch um ihren Status bangen?

"Ich finde die Entscheidung bedenklich", sagt Ricardo Schreck vom Bamberger Verein "Change", der sich sowohl dem Umweltschutz als auch der Bildung und der Hilfe für Menschen weltweit verschrieben hat. "Bisher haben wir aber keine Befürchtungen." Zwar hat auch "Change" unter anderem "zivilgesellschaftliches Engagement" als Grund für die Gemeinnützigkeit genannt, "aber wir sind nicht in gleichem Maße politisch. Und auch zu unbedeutend", meint Schreck. Etwas Bedenken habe er nur, wenn der Name des Vereins bei Demos auftaucht, weshalb es schwer sei, eine solche mitzuorganisieren. Schreck könne sich vorstellen, dass die Entscheidung über die Gemeinnützigkeit von Attac bis vors Bundesverfassungsgericht geht "und dort dann klare Richtlinien festgelegt werden."

Prüfungspraxis bleibt gleich

Auch das Landesamt für Finanzen beruhigt die Gemüter der Vereine: "Der BFH hat in seiner Entscheidung eine Abgrenzung des Gemeinnützigkeitsrechts vorgenommen, wie sie im Wesentlichen schon bisher praktiziert wurde. Es ist deshalb nicht damit zu rechnen, dass sich die Prüfungspraxis der Finanzämter ändern wird", teilt Sprecherin Birgit Geißler mit. Die Finanzämter prüfen gemeinnützige Vereine sehr genau. So müssen diese beispielsweise alle drei Jahre nachweisen, dass bei den Aktionen und Ausgaben der in der Satzung angegebene gemeinnützige Zweck im Vordergrund steht.

Was einen solchen Zweck definiert, darüber dürfe im Pluralismus durchaus gestritten werden, ist Winkler von Attac Bamberg überzeugt. Deshalb kann auch er sich vorstellen, dass Attac bis zum Bundesverfassungsgericht für den Status der Gemeinnützigkeit kämpft. "Das Gesetz muss überarbeitet werden. Und was der Allgemeinheit nützt, sollte vielleicht nicht unbedingt ein Finanzgericht entscheiden."

Kommentar: Wessen Wohl?

Politisches Handeln soll sich am Gemeinwohl orientieren. Diese Forderung stellten schon die alten Griechen. Umstritten bleibt, wer erkennen soll, was der Allgemeinheit dient. Während der alte Platon dafür den Philosophen-Herrscher vorschlug, entschied man sich Hierzulande für Finanzbeamte. Das mag überspitzt klingen, denn bei der Gemeinnützigkeit, um die es im Fall Attac geht, handelt es sich ja auch um eine steuerrechtliche Angelegenheit. Trotzdem bleibt die Entscheidung des Bundesfinanzhofs fragwürdig. Denn beeinflussen DFB ("powered by Coca Cola"), Unternehmerverbände und Waffenlobbyisten nicht mindestens ebenso "die politische Willensbildung im Sinne eigener Auffassungen", wie es in der Urteilsbegründung im Falle Attac heißt? Fragen Sie sich selbst: Welche Arbeit nutzt der Gesellschaft mehr? Und sollten nicht lieber Lobbyisten um den Status bangen als die, die sich gegen deren Lobbyarbeit einsetzen?