Vom Zeugenstand in die Freiheit

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Foto: Ferdinand Merzbach
Foto: Ferdinand Merzbach

Im Sandstraßenprozess wurden dieses Mal keine Zeugen verhaftet - dafür hat ein Angeklagter seine Verhandlung vergessen.

Dass Zeugen nach ihrer Aussage im Gerichtssaal festgenommen werden, erleben auch erfahrene Prozessbeobachter eher selten - im Sandstraßenprozess allerdings bereits vier Mal in kurzer Abfolge. Zwischenzeitlich zog das bundesweites Medieninteresse von der Abendzeitung bis zur Zeit auf sich. Das scheint nun wieder abgeklungen, obwohl der Prozess wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung in der Sandstraße sich erst langsam auf die Zielgerade zubewegt.

Der jüngere Angeklagte Tom Z. hatte schon zu Prozessbeginn eingeräumt, dass er den Geschädigten Christian K. in den Morgenstunden des 30. Juli 2017 zu Fall gebracht hatte. Dieser zog sich durch den Sturz schwere Kopfverletzungen zu und wird sein Leben lang an den Folgen leiden. Der ältere Angeklagte Andi H. hatte einen anderen Mann geschlagen. Er behauptet, dass Z. sein Opfer auch noch getreten hat. Oberstaatsanwalt Otto Heyder sucht weiter nach Beweisen für den Tritt, der allerdings laut Rechtsmediziner nicht ursächlich für die Verletzungen K.s war.

So wie der Sandstraßenprozess zuletzt verlaufen ist, war es nun schon fast eine Besonderheit, dass an diesem Prozesstag zwei Zeugen nacheinander das Gericht so einfach verlassen durften. Eine Zeugin hatte sich freilich mit ihrem Rechtsbeistand Martin Gelbricht eine Aussagestrategie aufgebaut, die nicht unbedingt zur weiteren Erhellung beitrug. Ein anderer Zeuge war in den Morgenstunden des 30. Juli zwar nicht in Tatortnähe, aber der Angeklagte Tom Z. (Namen geändert) hatte ihm später von der Gewalttat berichtet.

Auf dem Weg nach München

Bevor die Zeugen drankamen, mussten aber 25 Zuhörer, drei Berufsrichter, zwei Schöffen, ein Oberstaatsanwalt, eine Protokollführerin, zwei Nebenkläger, ein Angeklagter, drei Wachtmeister und Polizisten mehr als drei Stunden warten. Denn der nicht mehr in U-Haft sitzende Angeklagte H. hatte den Prozesstag schlichtweg vergessen - was auch nicht alle Tage vorkommt. "Drehen Sie sofort um und kommen Sie her", rief Strafverteidiger Jochen Kaller seinem Mandanten am späten Vormittag am Telefon zu. Da war der jedoch mit dem Auto schon kurz vor München.

Als der Prozess dann gegen 14.15 Uhr endlich fortgesetzt werden konnte, entschuldigte sich H. bei allen Wartenden: "Das tut mir leid, ich war auf Mittwoch. Für sowas gibt's halt kein Lehrbuch." Dafür fand Vorsitzender Richter Manfred Schmidt deutliche Worte: "Das Lehrbuch ist, dass man Gerichtstermine einzuhalten hat. Herrschaftszeiten!"

Dann trat Verena B., die wegen diverser Prozessverzögerungen mittlerweile zum vierten Mal vor Gericht erschienen war, in den Zeugenstand. Der Anwalt der 21-jährigen Schülerin gab gleich zu Beginn eine Erklärung ab, die ihre folgende Aussage prägen sollte: Da B. bei ihren bisherigen Vernehmungen durch Polizei und Ermittlungsrichter Angaben gemacht habe, die sich teilweise widersprachen, drohe ihr bereits in diesem Zusammenhang ein Ermittlungsverfahren wegen versuchter Strafvereitelung.

Um sich nicht weiter zu belasten, müsse die Zeugin daher auf bestimmte Fragen nicht antworten. Auf dieser Linie blieb Rechtsanwalt Gelbricht konsequent. Das führte dazu, dass die Aussage am Anfang recht ausführlich ausfiel, an den für das Verfahren interessantesten Stellen jedoch knapper. B. war an diesem Abend allein in die Sandstraße gegangen, um Freunde zu treffen. Irgendwann wurde ihr der Rucksack samt Handy und Geldbeutel gestohlen, zuvor seien sie und ihre Freundinnen von den späteren Geschädigten noch auf unangemessene Weis "angemacht" worden. Zum Zeitpunkt der folgenschweren Attacke diskutierte B. mit einem Freund über Beziehungsprobleme und kam erst einige Zeit später am Tatort vorbei.

Als sie dort Christian K. in seinem Blut liegen sah, habe B. helfen wollen. Doch zwei andere Zeugen, die bereits Erste Hilfe leisteten, schickten sie wieder weg. Dann zeigt die Überwachungskamera der Justizvollzugsanstalt, wie die Zeugin mit Marco T. heimläuft. T. hatte noch in der Nacht mit dem Hauptangeklagten telefoniert, er lebt heute in Spanien, die Staatsanwaltschaft kennt seinen Aufenthalt nicht. Insofern wäre es spannend gewesen, was er auf dem Nachhauseweg mit B. gesprochen hat. Doch ihr Anwalt erklärte: "Ab dem Komplex ,Verlassen des Tatorts' wird meine Mandantin nichts mehr sagen."

Der zweite Zeuge berichtete von einem ungewöhnlichen Besuch Z.s, wohl einige Tage nach der Tat: "Er fing gleich mit der Story an, eine Hauerei zwei gegen zwei. Einer wurde geknocked und er hat Angst gehabt, dass der stirbt." Er habe ihm schon länger abgeraten, in der Sandstraße zu feiern, denn "da gibt's immer Stress, das kann ganz schnell losgehen, wenn die Besoffenen aus dem Dorf und Studenten aufeinandertreffen". Von Dritten wisse er, dass in der Skaterszene sehr viel über die Ereignisse dieser Nacht geredet worden sei. "Du hast immer wieder andere Storys gehört."

Der Prozess wird am 22. März mit weiteren Zeugenaussagen fortgesetzt.