Vergessene Vetreibung: Entrechtet, enteignet und eingepfercht in Viehwaggons

3 Min
Diese Dokumentation ist eine Seltenheit im Film-Businnes.
Diese Dokumentation ist eine Seltenheit im Film-Businnes.
Udo Pörschke hat viele Stunden lang mit Zeitzeugen wie László W. gesprochen und tiefe Einblicke in deren Leben bekommen. Fotos: Pörschke
Udo Pörschke hat viele Stunden lang mit Zeitzeugen wie László W. gesprochen und tiefe Einblicke in deren Leben bekommen.  Fotos: Pörschke
 
Udo Pörschke ist mit Zeitzeugin Monika P. unterwegs. Pörschke
Udo Pörschke ist mit Zeitzeugin Monika  P. unterwegs. Pörschke
 

Für sein neues Projekt arbeitete Udo Pörschke drei Jahre lang die Vertreibung der Ungarndeutschen auf - und ein bisschen auch seine eigene Geschichte.

Sie müssen raus aus ihren Häusern. Kinder, Mütter, Großeltern. Die Väter sind meist ohnehin schon weg, eingezogen in den Krieg. Die Vertreibung beginnt teils ohne Vorwarnung. Nicht morgen, nicht nachher, sondern jetzt sofort. Draußen warten schon die neuen Bewohner. Drinnen bleiben Schmuck und Geldbeutel zurück, wo sie gerade liegen. Eingepfercht in Viehwaggons geht es fort.

Das geschichtliche Kapitel, das der aus Bamberg stammende Filmemacher Udo Pörschke in seinem neuen Dokumentarfilm aufarbeitet, ist so düster, wie es vielen Menschen weitgehend unbekannt ist. Zum 75-jährigen Ende des Zweiten Weltkriegs erzählt "Heimatlos", die zweite Produktion des professionell arbeitenden Amateurproduzenten, die Vertreibung der Ungarndeutschen. Im Kern behandelt der Film jedoch eine politisch wie gesellschaftlich erschreckend aktuelle Thematik: "Mir ist es wichtig, dass die Zuschauer des Films erkennen, was aus Hass, Wut, Zorn auf Andersdenkende und Andersaussehende passiert ist und was aus fremdenfeindlichen Anfängen werden kann."

Die dreijährige Arbeit an der Dokumentation beginnt damit, dass Pörschkes Frau als Austauschlehrerin nach Ungarn entsandt wird, in das ungarndeutsche Gebiet. Er begleitet seine Frau und ahnt noch nicht, dass er während dieses Auslandsaufenthalts ein verlorenes Stück Familiengeschichte ausgraben wird.

Eigentlich ist Udo Pörschke im Hauptberuf ebenfalls Lehrer. Irgendwann beginnt er jedoch, sich dem literarischen Schreiben zu widmen. Pörschke veröffentlicht Kurzgeschichten und fährt erste Preise ein. Als er durch Zufall ein verstecktes Tagebuch seines Großvaters entdeckt, das die letzten Monate des Zweiten Weltkriegs und die anschließende Kriegsgefangenschaft schildert, probiert sich der Lehrer auch noch als Filmemacher aus. Eine erste Dokumentation entsteht. So ungewöhnlich diese Biografie bis hierhin klingt, so überraschend ist auch der Erfolg dieses ersten filmischen Werks aus dem Jahr 2015: Der öffentlich-rechtliche Fernsehsender "Phoenix" strahlt die Produktion aus.

Während es für Menschen mit einem Roman in der Schublade bereits unwahrscheinlich genug ist, einen Verlag für das Manuskript zu finden, stellt sich die Aufgabe in der Filmbranche ungleich schwerer dar, erklärt Pörschke: "Die Chance, als nicht berufsmäßig produzierender Filmemacher ins Fernsehen zu kommen, ist extrem gering." Laut Aussage des Senders ist Pörschkes Film die erste Hobby-Dokumentation, die das öffentlich-rechtliche Programm jemals gekauft hat.

Dabei benennt Udo Pörschke deutlich den Eigenwert von Filmproduktionen, die nicht das Ergebnis der alltäglichen Fernsehmaschinerie sind: "Üblicherweise läuft das so ab: Es gibt ein großes Budget, um möglichst flott einen Film abzudrehen. Mein Ziel ist es dagegen, Dokumentationen umzusetzen, bei denen tatsächlich Kontakt zu Personen aufgebaut werden kann."

Die lange Entstehungszeit merkt man seinem Film an. Sie wird in den Gesprächen spürbar, die er mit etlichen Zeitzeugen geführt hat. Keine sterilen Interviews, sondern Stunden, in denen Menschen aufeinandertreffen, die gemeinsam Geschichte aufarbeiten. Der Filmemacher sitzt als fremder Freund in den Zimmern der Menschen, die ihn mit herzerwärmender Gastfreundschaft aufnehmen und mit herzzerreißenden Berichten wieder ziehen lassen.

In Pörschkes Familie wurde nie über die Themen Krieg, Vertreibung und all das Unvorstellbare gesprochen, das seine Vorfahren erlebt hatten. Dabei hatten seine Eltern als Vertriebene nach dem Krieg selbst eine neue Heimat in Süddeutschland finden müssen. Als der jugendliche Udo in der Schule vom Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust erfährt, beginnt er zu fragen. In "jugendlich stürmerischer Form, teils anklagend", wie Pörschke sich heute erinnert. Was taten die Eltern in dieser unmenschlichen Zeit? Im Erwachsenenalter veränderten sich die Fragen dann: "Wo sind meine Wurzeln, woher komme ich und was könnte für mich eigentlich Heimat sein?"

Für Pörschke seien diese Themen nie eine Belastung gewesen, vielmehr eine Möglichkeit, sich selbst näher zu kommen: "Ich bin Bamberger, aber mein Fränkisch war immer zu wenig fränkisch. Genauso habe ich immer schon andere Dinge gegessen. "Königsberger Klopse" genauso wie "Schlesisches Himmelreich".

In Ungarn traf der Filme produzierende Lehrer dann auf eine deutsche Minderheit, die einem Großteil der Menschen hierzulande unbekannt ist: die Ungarndeutschen. Ihre Vorfahren waren einst aus existenzieller Not in das Land umgesiedelt, das mittlerweile längst zu ihrer Heimat geworden ist. Die Hälfte der Ungarndeutschen wurde nach Ende des Zweiten Weltkriegs entrechtet, enteignet und vertrieben. Heute leben dort die wenigen Verbliebenen. Es sind Menschen, die noch immer die vor 300 Jahren mitgebrachten Traditionen pflegen.

Pörschke beschreibt die besondere Situation dieser Vertreibung mit einem Gedankenexperiment: "Das wäre ähnlich, wie wenn wir alle türkischstämmigen Menschen aus dem Land schmeißen würden, die in der Bundesrepublik geboren sind."

Der Dokumentarfilm versammelt Schicksale, die allesamt einzeln verfilmbar wären. Etwa das des Mannes, der illegal nach Ungarn zurückgeflüchtet ist, um in seinem Heimatort leben zu können, wo er sich jedoch versteckt halten musste, unweit vom Elternhaus. Der Film gibt einen Eindruck davon, wie Menschen mit diesem Verlust und dem Erlebten umgehen. Und er schlägt eine bedenkliche Brücke ins Jetzt: "Es ist genau das, worüber wir heute reden. Wenn etwas fremdartig ist, ist es immer leichter, die Schuld denjenigen zu geben, die anders sind, die man nicht versteht."

Infokasten: "HEIMATlos - Vertreibung der Ungarndeutschen", Doku, 45 Minuten, Hessischer Rundfunk, 5. Mai 2020, 22.30 Uhr.