Studie aus Bamberg mit überraschenden Ergebnissen: Deutschland auf dem Weg in eine Politik der Lügen?
Autor: Andreas Hofbauer, Redaktion
Bamberg, Freitag, 10. Sept. 2021
Eine Studie der Universität Bamberg bringt ein verblüffendes Stimmungsbild zum Vorschein. Ist Deutschland auf dem Weg in eine "postfaktische Demokratie"? Also in eine "Politik der Lügen"?
Deutschland hat eines der größten Privilegien der Welt: Die Meinungs- und Pressefreiheit. Laut einer Erhebung der „Reporter ohne Grenzen“ liegt Deutschland derzeit auf Platz 13 im weltweiten Ranking der Presse- und Informationsfreiheit. Im Gegensatz zu Deutschland werden in Ländern wie Belarus oder China Journalisten regelmäßig verhaftet, verfolgt und angeklagt.
Trotzdem glauben immer mehr Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, dass sie belogen werden. Gerade im aktuellen Wahlkampf sind diese Aussagen deutlich häufiger geworden. Die Universität Bamberg hat erstmals eine Umfrage zum Stimmungsbild in Deutschland durchgeführt. Damit wollten die Forschenden untersuchen, wie verbreitet „postfaktische“ Annahmen in der deutschen Politik und im Journalismus sind. Unter „postfaktisch“ verstehen die Forscher Erzählungen, bei denen nicht die Sache, sondern die Emotion im Mittelpunkt steht.
Studienergebnis: "Postfaktische" Demokratie scheint sich in den Köpfen der Menschen festgesetzt zu haben
„In einer postfaktischen Politik werden Fakten und ein Wahrheitsbezug zunehmend unwichtiger“, erläutert Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Olaf Hoffjann von der Universität Bamberg. Eine postfaktische Realität wurde sowohl in Deutschland, als auch weltweit bislang kaum erforscht. Aus diesem Grund haben Hoffjann und sein Kollege Lucas Seeber vom Institut für Kommunikationswissenschaft eine entsprechende Umfrage durchgeführt.
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Im Zentrum der bislang unveröffentlichten Studie steht, dass sich etwa die Hälfte der Befragten als Teil einer postfaktischen Demokratie sieht. Trotzdem fordern mehr als 90 Prozent der Befragten eine Politik, die ernsthaft, aufrichtig und mit Wahrheitsanspruch auftritt. Im Zeitraum von Oktober 2020 bis Januar 2021 haben die Wissenschaftler insgesamt 758 Personen aus drei Gruppen online befragt. Die Gruppen der Befragten teilen die Kommunikationswissenschaftler in „Bundestags- und Landtagsabgeordnete“, „Pressesprecherinnen und -sprecher“ sowie „Journalistinnen und Journalisten“ ein.
Bei der Auswertung der Umfrage kamen folgende Ergebnisse zutage: Die Befragten unterstellen Politikerinnen und Politikern selten Lügen (15 Prozent). Deutlich häufiger unterstellen Politikerinnen und Politiker ihren Kollegen Lügen (21,8 Prozent). Von den Pressesprecherinnen und Pressesprechern waren es 5,1 Prozent, bei den Journalistinnen und Journalisten 14,3 Prozent. 1,2 Prozent der Befragten gaben an, dass sie Lügen in der Politik für legitim halten.
Übertreibung in der Politik wird als weit verbreitet gesehen
32 Prozent der Befragten halten zudem sogenannten „Bullshit“ für weit verbreitet. Unter „Bullshit“ verstehen die Wissenschaftler „das Ergänzen von ungeprüften Aussagen, die wahr sein könnten, um die These einer eigenen Aussage zu unterstützen.“ Etwa 5 Prozent der Befragten denken, dass „Bullshit“ legitim sei. Übertreibung in der Politik wird als weit verbreitet gesehen (rund 78 Prozent) und gleichzeitig von rund einem Drittel (33,8 Prozent) als legitim angesehen. Olaf Hoffjann interpretiert die Studienergebnisse: „Die bewusste Täuschung gilt offenbar als kritikwürdiger als ein gleichgültiges Verhältnis gegenüber der Wahrheit.“
Buchtipp: Bruckmann Wanderführer - Entdeckertouren Fränkische SchweizEtwa die Hälfte der Befragten (50,8 Prozent) waren der Meinung, dass sie Teil einer postfaktischen Demokratie seien. Das heißt, sie unterstellen Politikerinnen und Politikern, dass ihnen der Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen weniger wichtig als das emotionale Gewicht sei. Von den drei befragten Gruppen glauben vor allem Politikerinnen und Politiker nicht an eine faktische Politik (rund 55 Prozent). „Pointiert formuliert: Journalistinnen und Journalisten glauben eher an den Wahrheitsgehalt der Aussagen von Politikerinnen und Politikern als diese selbst“, sagt Lucas Seeber.