Stegaurach leistet Pionierarbeit in Sachen Asylpolitik

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Der überfüllte Bürgersaal: Die Stegauracher lässt das Schicksal von Flüchtlingen nicht kalt. Jetzt ergreifen sie die Initiative. Fotos: Dieter Grams
Der überfüllte Bürgersaal: Die Stegauracher lässt das Schicksal von Flüchtlingen nicht kalt. Jetzt ergreifen sie die Initiative. Fotos: Dieter Grams
Auf dem Podium (v.l.): Werner Waßmann, Bernd Fricke, Thilo Wagner, Steffen Nickel, Jessica Aigner
Auf dem Podium (v.l.): Werner Waßmann, Bernd Fricke, Thilo Wagner, Steffen Nickel, Jessica Aigner
 
Bernd Fricke beim Vortrag
Bernd Fricke beim Vortrag
 

Stegaurach ist die erste Kommune, die die Unterbringung und Betreuung von Asylbewerbern komplett in die eigenen Hände nimmt. Die Bürger ziehen mit.

Von 1944 bis 1946 erlebte Deutschland einen beispiellosen Ansturm von Flüchtlingen. 12 bis 14 Millionen Menschen waren auf der Flucht vor Krieg, Mord, Vergewaltigung, Folter, Misshandlungen, Plünderungen oder Deportation. 500.000 Flüchtlinge kamen bei ihrem Treck nach Westen ums Leben. Manche Quellen sprechen von zwei Millionen Opfern. Die Überlebenden kamen in ein Land, das in Schutt und Asche lag, Lichtjahre entfernt von unserem heutigen, flächendeckendem Wohlstand. Wie auch die aktuellen Flüchtlinge besaßen sie buchstäblich nichts. In manchen Gegenden, besonders in der Fläche, verdoppelte sich die Einwohnerzahl durch die Ansiedlung der Neubürger, die allerdings gegenüber den heutigen Flüchtlingen einen großen Vorteil hatten - sie sprachen deutsch. Aber haben wollte auch sie so recht eigentlich niemand.


Stegaurach nimmt 50 Asylbewerber auf

Angesichts dieser Zahlen scheint die Aufnahme von 50 Flüchtlingen in der Gemeinde Stegaurach, einer Kommune mit rund 6900 Einwohnern, eigentlich vernachlässigbar beziehungsweise ist ein Bevölkerungsanteil von 0,72 Prozent im Grunde gar nicht erwähnenswert.

Die Zeiten haben sich geändert, die Menschen nicht. Wer lässt sich schon gerne in seiner eigenen Komfortzone stören? In Stegaurach tun das erstaunlich viele Bürger. 54 Eintragungen in eine Helferliste, darunter 15 für Deutschunterricht, aber auch zum Spielen, Behördenwege, Kleiderpflege, Kinderbetreuung und vieles mehr waren das abschließende Ergebnis der kurzfristig einberufenen und außerordentlich gut besuchten Bürgerversammlung zum Thema Asylbewerber. Die vorbereiteten Sitzplätze im Bürgersaal langten nicht aus. "Ich bin stolz auf Stegaurach. Das ist einfach toll", kommentierte Zweiter Bürgermeister Bernd Fricke (Bündnis 90/Die Grünen) das Ergebnis.

Tatsächlich leistet die Gemeinde vor dem Hintergrund der aktuellen Problematik Pionierarbeit und hat ihre "Komfortzone" längst verlassen. "Wir reißen uns nicht um Asylbewerber, aber wir stellen uns unserer sozialen Verpflichtung", sagte Erster Bürgermeister Thilo Wagner (FW-FL). 13 weitere Landkreisgemeinden haben das auch schon getan, aber Stegaurach ist die erste Kommune, die die Unterbringung und Betreuung von Asylbewerbern komplett in die eigenen Hände nimmt und selbst Regie führen will.

Da es in der Gemeinde keinerlei geeignete Immobilien gibt, will man auf einer Freifläche im Debringer Industriegebiet ein Containerhaus errichten. "Wir wollen keinen externen Betreiber, der ausschließlich profitorientiert arbeitet", so Wagner. Immerhin sei die Unterbringung von Asylbewerbern ein lukratives Geschäft. "Draufgelegt hat da noch keiner." Überschüsse sollen in Stegaurach reinvestiert werden - in die Integrationsmaßnahmen, die Ausstattung der Unterkünfte oder die Infrastruktur der Gemeinde.


Arbeit gibt es genug

Verwaltungsrat Steffen Nickel vom Büro des Landrats sprach der Gemeinde für ihre Initiative seinen Respekt aus. Nickel nahm in Begleitung von Jessica Aigner, der Landkreisbeauftragten zur Koordination von Unterbringungsmaßnahmen, an der Versammlung teil. Arbeit gibt es genug. "Der Landkreis beherbergt aktuell 700 Asylbewerber, und täglich kommen 19 dazu", so Nickel. Das Landratsamt werde sich der Unterbringung auch kleinerer Gruppen nicht grundsätzlich verschließen. Das Prinzip einer dezentralen Verteilung werde auch weiterhin verfolgt, aber "alle diese Standorte müssen zunächst unter den verschiedensten Gesichtspunkten begutachtet und dann auch betreut werden, und auch unsere personellen Ressourcen sind durchaus beschränkt." Eine Mindestanzahl von Flüchtlingen an einem Standort sei daher unerlässlich.

Natürlich gab es auch Bedenken, besonders aus Sicht der Debringer, zum Beispiel in Richtung Lärmbelästigung oder der Befürchtung, dass junge, männliche Asylbewerber "Frauen begrapschen". Diese Vorbehalte konnte Dritter Bürgermeister Werner Waßmann (FW-FL), im wahren Leben Polizeibeamter, überzeugend entkräften und als Vorurteil entlarven. Natürlich sei die Polizei wegen ruhestörendem Lärm unterwegs gewesen, aber niemals zu einem Asylantenheim gerufen worden. Auch sexuelle Belästigungen habe es zwar gegeben, aber in keinem einzigen Fall sei ein Asylbewerber beteiligt gewesen.

Primär in den Beiträgen von Pfarrer Walter Ries sowie von Pfarrer Friedrich Wagner wurde deutlich, dass "die Ängste der Hilfesuchenden um ein vielfaches höher sind, als die unseren". "Angst haben die Flüchtlinge", betonte auch Gemeinderat Heinrich Schubert (BNL), der sich vor Ort in einem Asylantenheim kundig gemacht hatte. "Wir müssen keine Angst haben." Ries wies daraufhin, dass der kleine Libanon bei einer Bevölkerungszahl von 4,5 Millionen inzwischen 1,2 Millionen Flüchtlinge aufgenommen habe.

Die Reaktionen der Besucher machten deutlich, dass die Stegaurach bereit und offen sind, auch ihren Beitrag zu leisten. Die informativen Vorträge der Bürgermeister wurden häufig von anhaltendem Beifall unterbrochen, auch wenn nicht alle Fragen erschöpfend beantwortet werden konnten. Dafür ist die logistische Herausforderung auch für die Gemeinde noch zu neu.


Traumatisierte Menschen

"Es kommen traumatisierte Menschen zu uns, die ihre Mitte verloren haben, ihre Familien, ihre Heimat, ihre Stabilität. Selbst die Fluchtwege bedeuten ein hohes Risiko. Es kommen andere Kulturen, andere Religionen, Menschen, die kaum oder keine Deutschkenntnisse haben und auch unsere Kultur nicht kennen", so Fricke, der vier Schwerpunkte einer erfolgreichen Integration skizzierte - Sicherheit und Versorgung, ein Beziehungsnetzwerk, die deutsche Sprache und primär Arbeit und Beschäftigung. "Es ist an uns, den Hilfesuchenden die Hand entgegen zu strecken", so Walter Ries. Stegaurach macht das.