Unterlassene Hilfeleistung, Behinderung der Einsatzkräfte: Wer bei einem Unfall nur zuschaut oder gar Fotos macht, kann bestraft werden.
Jörg-Steffen Höger und seine Tochter Annika werden im Internet wie Helden gefeiert: Der Feuerwehrmann aus Marxgrün (Naila) und die ausgebildete Sanitäterin waren zuerst vor Ort, als der Reisebus auf der A 9 in Flammen stand - zufällig. "Wir waren auf der Autobahn unterwegs, und ich habe schon von weitem die Rauchwolke gesehen", sagt Höger.
Das hat der Marxgrüner mit vielen hundert Autofahrern gemeinsam, die zu Augenzeugen der Katastrophe wurden. Der Unterschied: Alle anderen blieben in ihren Autos sitzen, schauten zu oder zückten das Smartphone - in den seltensten Fällen um Hilfe zu rufen, sondern um das "Ereignis" festzuhalten.
"Jeder hätte helfen können"
Vater und Tochter Höger dagegen schalteten sofort in den Modus "helfen". Er verständigte per Handy die Rettungskräfte und gab ihnen eine wichtige Zusatzinformation: Unweit der Unfallstelle befindet sich eine Behelfsauffahrt auf die Autobahn. So waren die Einsatzkräfte viel schneller vor Ort. Von Högers Notruf bis zum Eintreffen der Helfer vergingen kaum zehn Minuten - das war schnell, aber doch nicht schnell genug.
Höger wartete nicht ab, wie er schildert: Er stellte das Schild "Feuerwehr im Einsatz" auf das Dach seines Wagens und bahnte sich den Weg durch den Stau. Bei dem in hellen Flammen stehenden Bus war der Feuerwehrmann machtlos. Er kümmerte sich mit seiner Tochter um die Verletzten, die sich aus dem Bus hatten retten können.
"Jeder hätte helfen können", sagt Höger. "Jeder hat einen Verbandskasten im Auto, jeder kann etwas tun" - und sei es auch nur, einem Verwirrten gut zuzureden. In den Minuten des Infernos hatte Höger keinen Blick für das, was um ihn herum geschah, er konzentrierte sich auf die Unfallopfer. Mit zwei Tagen Abstand wird ihm das Unfassbare der Situation deutlich: "Alle sind in ihren Autos sitzen geblieben. Keiner hat geholfen."
Urteile sind selten
Dabei ist in Deutschland sogar gesetzlich geregelt, was moralisch selbstverständlich sein sollte: Paragraph 323 des Strafgesetzbuches (StGB) lässt keinen Spielraum: "Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr ... nicht Hilfe leistet, ... wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft."
In der Realität sind Urteile aber selten. Gerade in den ersten Minuten haben die professionellen Helfer und die Polizei Wichtigeres zu tun, als Beweise gegen Nicht-Helfer zu sichern. Das gilt auch bei einem anderen Straftatbestand, der durch die Handy-Kameras eine neue Dimension erreicht hat: Gaffer stehen nicht nur den Rettungskräften im Weg. Sie werden selbst zu Tätern, wenn sie Fotos oder Videos von Unfallopfern machen und im Internet verbreiten. Im Paragraf 201 des StGB heißt es dazu: "Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer ... eine Bildaufnahme, die die Hilflosigkeit einer anderen Person zur Schau stellt, unbefugt herstellt oder überträgt und dadurch den höchstpersönlichen Lebensbereich der ... Person verletzt ..."
"Gaffer-Prozess"
In Bremervörde hat es heuer Urteile in einem spektakulären "Gaffer-Prozess" gegeben; dabei ging es aber weniger um die nach einem Unfall geschossenen Bilder als vielmehr um die Behinderung der Einsatzkräfte und Widerstand gegen Polizeibeamte. In der Regel kommen die sensationslüsternen "Fotografen" straffrei davon, weil die Beweisführung gerade in der Anonymität des Internets schwierig ist.
Machen Strafen gegen Gaffer, deren Verschärfung nach dem Unfall auf der A 9 Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt und Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (beide CSU) fordern, überhaupt Sinn? Der Katastrophenforscher Wolf Dombrowsky hat Zweifel. Zunächst einmal sei jeder ein potenzieller Gaffer, denn Neugierde "liegt in der Natur des Menschen und lässt sich auch durch Strafen nicht austreiben".
Fluch und Segen
Die Unart der Handy-Bilder sei etwas anderes. "Da geht es um die Selbstinszenierung: , Sehr her, ich war dabei.' Die Drohung mit Strafe erzeugt da den Reflex, sich nicht erwischen zu lassen", sagt Dombrowsky. Man müsse andere Wege gehen, etwa die Gaffer begaffen und so ihrerseits bloß stellen - was natürlich rechtlich schwierig ist.
Und: Die moderne Technik ist Fluch und Segen: Fotos von Augenzeugen können der Polizei bei der Aufklärung von Straftaten und Unglücksfällen helfen.
Diese Menschheit gehört für ettliche Monate weg gesperrt . keine Geldstrafe , das tut denen nicht weh genug . Ihr seid wirklich DAS ALLERLETZTE . Hoffentlich kommt IHR nicht mal in soooo eine Situation und andere stehen nur rum und gaffen euch dann an .
Das Problem ist wirklich, dass die Bilder sowohl von den Medien gerne aufgenommen werden, als auch die Polizei diese Bilder zur Auswertung nutzt, um evtl. der Ursache auf den Grund zu gehen.
Bei den Medien gab oder gibt es ja sogar noch eine Prämie dafür, wenn das Bild gezeigt wird.
Aber ob eine Androhung von Strafen oder erhöhten Strafen da wirklich hilft? Die Einsatzkräfte vor Ort haben ja andere Dinge zu tun, als sich mit diesen unverantwortlichen Gaffern zu beschäftigen.
Auf der anderen Seite habe ich auch sehr großen Respekt vor Feuer und wenn da neben mir was brennt, weiß ich nicht, ob ich nicht auch sitzen bleiben würde. Es geht ja auch darum, dass ich mich nicht in Gefahr bringe, da sonst möglicherweise noch mehr Opfer zu beklagen sind. Aber die beiden haben schon recht, auf jemanden beruhigend einzureden oder jemanden bei Bewusstsein zu halten, sollte eigentlich jeder schaffen.
Bild, Bild.de, RTL
„Ihr Gaffer seid echt das Letzte!“ Aber eure Fotos nimmt „Bild“ gern
http://www.bildblog.de/90884/ihr-gaffer-seid-echt-das-letzte-aber-eure-fotos-nimmt-bild-gern/