Um die aufgestellte These vom brüchigen Zusammenhalt zu verifizieren, bedarf es weder des sensationslüsternen Blicks in das von den Gelbwesten aufgewiegelte Frankreich noch in das über dem Brexit verrückt werdenden Großbritannien.
Auch hier in Bamberg fühlen sich Menschen entkoppelt, der Gesellschaft nicht mehr zugehörig. Darüber setzte in seiner Eröffnungsrede OB Andreas Starke das Publikum ins Bild.
Das Ende des Friedens
Hegel selbst identifizierte drei grundlegende soziale Institutionen, die Gesellschaften zusammenhalten: die Familie, den Staat, die Wirtschaft. Den Staat hält Kirchhof für eine unhintergehbare Voraussetzung menschlicher Freiheit. Auch hier bewegt er sich gedanklich in den Bahnen Hegels: "Das Ende des Staates ist das Ende von Frieden, Sozialstaat und Rechtsprechung", sagte Kirchhof.
Damit der Staat seine verbindenden und gleichzeitig auch freiheitlichen Potenziale entfalten kann, benötigt er Staatsbürger in gleich zweifacher Weise: quantitativ in Form einer sich durch Geburten ständig erneuernden Trägerschicht und qualitativ in Form von im Einklang mit den herrschenden Werten, Normen und Traditionen erzogenen Kindern. Denn Kirchhof begreift eine Gesellschaft als Kulturgemeinschaft, die sich kraft spezifischer Werte, Normen und Traditionen von anderen Kulturgemeinschaften unterscheidet: "Wenn wir unsere Kulturgemeinschaft sichern wollen, brauchen wir Nachwuchs."
Mann, Frau, Kind
Familie ist für Kirchhof der Ort, an dem Staatsbürger zu Gemeinsinn erzogen und zur Freiheit befähigt werden.
Aus dieser Leistung erwächst für Kirchhof die Pflicht, Familien besserzustellen: mit einem steuerlich vorteilhaften Familiensplitting beispielsweise, einem Wahlrecht für Kinder und einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Familie, das ist für Kirchhof im Übrigen eine Frau, ein Mann und gemeinsam gezeugte Kinder. Alternativen Familienformen trug er in Bamberg keine Rechnung, weder im Guten noch im Schlechten.
Mit dem Selbstverständnis vieler Zuhörerinnen dürfte Kirchhof am Dienstag gerade dort über Kreuz gelegen haben, wo er den Müttern einen Altar errichtete.
Als "fundamentalen Fehler" kritisierte es der 76-Jährige, dass in der gesellschaftlichen Bewertung von Frauen berufliche Erfolge über der Mutterschaft stünden. Die Unterstellung, er reduziere Frauen auf ihre Rolle als Mutter, parierte Kirchhof am Dienstagabend ohne weltanschaulichen Furor. Es gebe unzählige Varianten eines gelingenden Lebens. Die Kinderlosigkeit sei eine davon. Nur solle diese Entscheidung bewusst getroffen und nicht dem Zufall der Biologie überantwortet werden.
Hegel wäre mit dieser Antwort wohl einverstanden gewesen.