Ohne Westwinde bleibt es in Bamberg grau

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Bleibt der Atlantik warm, könnte es künftig häufiger zu Hochwassern und monatelangem Dauergrau kommen. So sah am Montag der Main-Donau-Kanal unterhalb der Heinrichsbrücke aus. Die Pegelstände waren zu diesem Zeitpunkt bereits wieder etwas gesunken. Foto: Ronald Rinklef
Bleibt der Atlantik warm, könnte es künftig häufiger zu Hochwassern und monatelangem Dauergrau kommen. So sah am Montag der Main-Donau-Kanal unterhalb der Heinrichsbrücke aus. Die Pegelstände waren zu diesem Zeitpunkt bereits wieder etwas gesunken.  Foto: Ronald Rinklef
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Thomas Foken
Thomas Foken
 

Das Mai-Hochwasser bestätigt jene, die eine veränderte globale Wetterküche fürchten. Vor allem Mitteleuropa würde unter einem Abflauen der Westwinddrift leiden. Die schwächelt seit Monaten, und ebenso lang straft die Sonne Bamberg bereits mit Missachtung. Klimaforscher Thomas Foken schließt nicht aus, dass sich solche Wetterlagen künftig häufen könnten.

Wasserdichte Jacken und Schuhe halfen nicht. Die pitschnassen Fahrradfahrer aus Norddeutschland, die in einem Bamberger Getränkemarkt Zuflucht vor den Regenmassen gesucht hatten, konnten sich des Mitleids nicht erwehren: "Da haben Sie sich ja ein Sauwetter ausgesucht für den Maintalradweg." So gut die Bemerkung gemeint war, sie trifft dennoch nicht den Kern der Lage: In den Pfingstferien konnte man sich kein schlechtes Wetter aussuchen. Es gab nur schlechtes. Wann hätte man in den letzten Wochen je durch Franken touren können, ohne von Starkregen, kühlem Nordwind und tristem Dauergrau gepeinigt zu werden?

Wer das Trauerspiel unter unserem Himmel mit Fakten untermauern will , der kann sich als Ergebnis des Wonnemonats die überschwemmte Landschaft rund um Bamberg ansehen.
Er kann sich aber auch die statistische Bilanz des diesjährigen Lenz zu Gemüte führen: Der zweitnasseste Mai seit Beginn der Wetteraufzeichnungen 1881 schloss einen Frühling ab, der eher ein Winterling war - so trüb, wie seit 30 Jahren und so kalt wie seit 25 Jahren nicht mehr. Könnte es sein, dass wir nicht da waren, als Mitteleuropa 1000 Kilometer nach Norden gerückt wurde?

Und in Bamberg sieht es nicht besser aus als im bundesdeutschen Durchschnitt. Hier fiel im fünften Monat des Jahres fast drei Mal so viel Regen wie im langjährigen Mittel. Und mindestens so schlimm wie die Sintflut ist das Meer der Wolken, das Bamberg seit gefühlter Ewigkeit von unserem Zentralgestirn abschirmt: Nach den an der Wetterwarte aufgezeichneten Daten dauert das Jahr ohne Sonne nun bereits sieben (!) Monate. Seit November 2012 schien die Sonne in Bamberg aufaddiert nur 436 Stunden. Wann gab es das zuletzt? Selbst hartgesottene Mitteleuropäer können sich nicht erinnern, je vergleichbare trübe Phasen erlebt zu haben

Dabei ist der Schuldige schnell ausgemacht: Es ist die abflauende Westwinddrift, die uns laut Jürgen Schmidt, Diplom-Meteorologe von Wetterkontor.de, eine der unfreundlichsten Witterungsperioden seit langem beschert. Ein Faktum, über das die Fachwelt längst nicht mehr rätselt: Mitteleuropas sonst hochaktive Wetterküche über dem Atlantik ist förmlich eingeschlafen.

Tiefausläufer nahezu ortsfest

Mit spürbaren Folgen: Während früher auf einen Tiefausläufer auch mal ein Zwischenhoch folgte, scheinen sich die Tiefdruckgebiete in den letzten Monaten in unseren Breiten häuslich niederzulassen, um hier ihre ganze Last abzuwerfen. Was fehlt, ist die starke, von atlantischen Temperaturunterschieden ausgehende Zirkulation, die uns in früheren Jahren mit raschem Wetterwechsel versorgte. Statt dessen dominiert wochenlanges Dauergrau: "Außergewöhnlich häufig kam es in den vergangenen Monaten zu Nord- und Nordostwetterlagen. West fehlte praktisch völlig", sagt Schmidt. Hoffnung, dass nun der lang ersehnte Ausgleich kommen könnte, kann er trotz kleiner Lichtblicke nicht machen: "Eine Garantie gibt es nie."

Ein paar trockene Tage können den Eindruck ohnehin nicht wegwischen, den die letzten Monate hinterlassen haben. Thomas Foken, Meteorologie-Professor an der Uni Bayreuth, hält es für offenkundig angesichts so vieler "Jahrhunderthochwasser" in so kurzer Zeit, dass sich wichtige Parameter für unser Wetter verändert haben. Beispielsweise die Temperatur des Nordatlantik. Seine kräftige Erwärmung um zwei Grad lässt den gesamten Motor ins Stocken geraten, der uns bisher mit sprichwörtlich wendischem Westwetter versorgte.

"Der Gegensatz zwischen Islandtief und Azorenhoch spielt nicht mehr die Rolle wie früher. Heute sind es die Temperaturkontraste zwischen dem warmen Atlantik und dem kalten Kontinent, die unser Wetter steuern", sagt der Klimaforscher. Die Folge: Statt eines ausgeprägten Westwindbandes dominieren mittlerweile Nord-Süd- oder Süd-Nord-Zirkulationen. Eine Folge kann man in diesem Frühling bestaunen: Während sich Rußland und Westsibirien bis weit nach Norden über anhaltendes Sommerwetter freuen, bekommt Mitteleuropa, teils sogar der Mittelmeerraum eine feuchtkalte Breitseite nach der anderen ab.

Hartnäckig ist es geworden, das schlechte Wetter - auch eine Folge der neuen Zugrichtung von Nord nach Süd. Solche Strömungsformen neigen wegen des Luftaustausches über viele Breitengrade hinweg nicht nur zu starken Temperaturkontrasten. Sie sind wegen blockierender Hochdruckgebiete gewissermaßen die Dauerbrenner einer aufgeheizten Wetterküche. Sie wollen nicht weichen - und was noch schlimmer ist: Sie haben ihre Lieblingseinfallstore, zu denen das mit dem Atlantik verwobene Europa gehört. Sollte sich die Westwinddrift auf Dauer abschwächen, werden die Mitteleuropäer jedenfalls zu denen gehören, die sich häufiger mit unfreundlichem Wetter anfreunden müssen, prophezeit Foken.

Das ist beileibe kein Problem, das sich auf überschwemmte Wiesen und voll gelaufene Keller beschränkt. Was dauerhafter Sonnenmangel in der Seele der Menschen anrichtet, weiß der Bamberger Psychiater Göran Hajak, Chefarzt an der Nervenklinik. Das "kaum noch zu ertragende Wetter" der letzten Wochen hat dazu geführt, dass mittlerweile viele Bürger um Hilfestellung bitten, die sonst nicht zu Depressionen neigen. "Sie leiden an Antriebsschwäche bis hin zu totaler Erschöpfung", sagt Hajak. Auch eine neue Erkältungswelle habe der verzögerte Sommer bereits ausgelöst. Grund: Ein erhöhte Cortisolspiegel schwächt die Immunabwehr. Hajak kann nur davon abraten, den Frust damit zu bekämpfen, dass man mehr isst, wie viele es jetzt tun: "Das einzige was hilft, ist Bewegung. Wenn es nicht anders geht, auch im strömenden Regen."