"Mehr republikanischen Stolz wagen"

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Cem Özdemir (l.) im Gespräch mit Jonas Glüsenkamp und Ursula Sowa Fotos: Andreas Thamm
Cem Özdemir (l.) im Gespräch mit Jonas Glüsenkamp und Ursula Sowa Fotos: Andreas Thamm
 
 
 
Zaungäste
Zaungäste
 

Cem Özdemir trank noch ein Bier in Bamberg. Und unterhielt sich mit den Kollegen der Grünen aus der Lokalpolitik.

"Ich habe den Geschmack heute noch auf der Zunge", so erinnert sich, nur mittelmäßig begeistert, Cem Özdemir an sein erstes Rauchbier am 22. September 2017 in der Sandstraße. Nun ist Landtags- nicht Bundestagswahl, und Jonas Glüsenkamp (GAL) drückt ihm zum Abschied wieder ein solches in die Hand. Özdemir ironisch: "Wie sehr ich mich freue."

Spätestens seit diesem Abend bringt der Bundestagsabgeordnete auch ein Versprechen mit nach Bamberg: Wenn Cem kommt, wird's lustig. Konsequenterweise haben die Bamberger Grünen die Veranstaltung auch "Noch ein Bier mit Özdemir" genannt, sie dann aber in die größere Alte Seilerei verlegt.

Schreien wie in der Sandstraße muss Özdemir trotzdem, denn auch nach mehrmaligen Versuchen - die Technik streikt als wäre sie von der Braunkohlelobby. Aus Bamberg reise er also stets heißer ab, so Özdemir. In den folgenden gut eineinhalb Stunden schlängelt er sich gemeinsam mit Landtagskandidatin Ursula Sowa und Bezirkstagskandidat Andreas Lösche durch zumindest die naheliegendsten Themen.

Die Schwierigkeit besteht darin, dem Gast ausreichend Raum zu geben für seine bundespolitische Haltung und trotzdem die Themen des Bayernwahlkampfs zu platzieren. Ursula Sowa berichtet von den vielen leerstehenden Häusern, die sie auf ihrer Oberfrankentour zu sehen bekam. "Das ist tragisch, aber vorprogrammiert." Sie wolle Anreizprogramme finden, um junge Leute ins fränkische Land zu locken.

Andreas Lösche sieht sich der unschönen Tatsache gegenüber, dass ein Großteil der Wähler gar nicht weiß, was ein Bezirkstag eigentlich so macht. Er wolle sich darum bemühen, dass in den Bezirkskrankenhäusern vernünftige Bedingungen herrschen, anständig bezahlt werde. Und in der Kulturförderung sorgfältig gearbeitet wird: "Wir müssen schauen, das gefördert wird, was gefördert gehört. Nicht wie zuletzt auch privatwirtschaftliche Geschichten."

Am Tag nach dem Diesel-Gipfel

Den größten Redeanteil aber erhält natürlich der schwäbische Gast mit türkischem Migrationshintergrund. Nach Ausführungen über seine Arbeit im Verkehrsausschuss, es ist schließlich der Tag nach dem Diesel-Gipfel, liest Glüsenkamp ihm Publikumsfragen vor. Unter anderem: Was er denn zu Tayip Erdogan gesagt habe.

Özdemir erklärt, dass er es nicht grundsätzlich für falsch halte, auch mit Diktatoren zu sprechen. Entsprechend hätte er sich aber einen Arbeitsbesuch gewünscht, damit zum Sprechen Zeit bliebe. In den wenigen Sekunden, die er mit Erdogan hatte, habe er deshalb gesagt, dass es viel zu besprechen gäbe. "Und zweitens, dass der jetzige Erdogan mit dem früheren und dessen Versprechungen nichts mehr gemeint hat."

In den türkischen Medien sei von diesem Aufeinandertreffen nur ein Bild angekommen, auf dem der Ministerpräsident den Handschlag Özdemirs anscheinend nicht erwidert. Özdemir wünscht sich deshalb mehr Öffentlichkeitsarbeit der liberalen Demokratien, auch in türkischer und russischer Sprache. Gern auch mal mit Pathos: "Den republikanischen Stolz auf Redefreiheit, Pressefreiheit, Demonstrationsfreiheit darf man der deutschen Politik gerne mehr anmerken."

Es ist vielleicht auch dieses Pathos, das Özdemir, weil er dazu in der Lage ist, von vielen Politikern abhebt. Und erklärt, warum nicht nur die knapp 200 Plätze in der Seilerei voll sind. Auch vor dem Fenster hat sich eine Menschentraube gebildet. Man versteht dort zwar nicht viel, aber man ist dabei.

Klar kommt wenig Neues rum an einem solchen Abend. Özdemir ist ein Wahlkampfschub mit Promibonus, der auch markige Sprüche aus der Hüfte schießen kann. Zum Thema Flüchtlinge: "Natürlich kommen nicht nur Mutter Theresas. Es wäre falsch zu sagen, das sind alles bessere Menschen - das Gegenteil ist genauso falsch." Momentan würden aber Gefährder nur beobachtet und arbeitswillige, junge Menschen abgeschoben. "Mit uns wäre das umgekehrt."

Mauern sind keine Lösung

Immer wieder spricht Özdemir von der politischen Energie, die man besser verwenden könnte. Zum Beispiel, indem man endlich Fluchtursachen in den Blick nähme. Deutschland liefert weiterhin Waffen in Krisengebiete: "Das C im Namen gibt vieles her, aber nicht Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien." Aggressive Fischerei, Subventionspolitik und der Klimawandel vernichten die afrikanische Landwirtschaft: "Da kann Bayern noch so viele Grenzsoldaten einstellen: Diese Menschen werden wir auch durch Mauern nicht aufhalten können."

Und trotzdem will Özdemir sich als Optimist verstanden wissen. Ein großer Teil grüner Politik ist auf Innovation angewiesen, Energiewende, E-Mobilität ... Er stellt sich eine Stadt der Zukunft vor, in der mehr Autos geteilt und weniger Parkplätze benötigt werden, die leiser und sicherer ist, mehr Raum für alle bietet: "Das ist", sagt er, "eine spannende Zukunft, die Lust macht aufs Gestalten."

Die Publikumsfrage, ob er denn noch auf ein Bier in die Sandstraße mitkommen wolle, muss Özdemir verneinen. Der Zug wartet. Der Sicherheitsdienst schaut auf die Uhr. So bleibt am Ende diesmal bloß noch Zeit für ein Selfie mit Özdemir.