Viele Unterbrechungen und ein Schlagabtausch zwischen Verteidigung und dem Gericht. Der geladene Sachverständige wartete acht Stunden auf dem Gang.
Am Ende durfte er doch noch ganz kurz in den Sitzungssaal: Der forensische Toxikologe vom Rechtsmedizinischen Institut in Erlangen. Seine Jacke brauchte er gar nicht ausziehen, denn das Gericht hatte nur eine Frage: Ob er denn alle Unterlagen dabei habe, die mit dem Prozess zusammenhängen - und bereit wäre, diese herauszugeben.
Wenige Minuten später wanderte ein dicker Ordner des Fachmannes über den Tisch. Der Inhalt: Messergebnisse aus Blutproben der Hauptzeugin und Ausführungen dazu. Im Laufe des Mittwochs sollen die Papiere in digitalisierter Form allen Prozessbeteiligten vorliegen.
Das ist vorerst der kleinste gemeinsame Nenner, zu dem sich die Zweite Strafkammer des Bamberger Landgerichts und die Verteidigung des Angeklagten nach zahlreichen Unterbrechungen durchringen konnten.
Vorausgegangen war ein stundenlanges juristisches Ping-Pong-Spiel aus Anträgen, Entscheidungen, Beanstandungen dieser Entscheidungen, dem lauten Nachdenken über weitere Anträge und schließlich dem Zurücknehmen eines bereits gestellten Antrags.
Vorwurf: Experte, der doch kein Experte ist?
Das Ganze gipfelte im Paragraphen-Jonglieren zwischen dem Vorsitzenden Richter Manfred Schmidt, Oberstaatsanwalt Bernhard Lieb und Chefarzt-Verteidiger Klaus Bernsmann. Ergebnis war schließlich eine "vermittelnde Verfügung" des Gerichts, die da besagt: Der Gutachter aus Erlangen darf kurz den Gerichtssaal betreten, damit er seine Prozess-Unterlagen der Kammer übergeben kann. Zusätzlich wird die Staatsanwaltschaft beim Leiter des Rechtsmedizinischen Instituts Erlangen nachfragen, ob dort weitere Dokumente zum Verfahren existieren - und diese gegebenenfalls verlangen.
Es war eine der Kernforderungen von Bernsmann gewesen, eine "Vollständigkeitserklärung" des Institutsleiters zu erhalten. Für den Verteidiger steht nämlich fest: Bei dem geladenen Zeugen handelt es sich um "einen Sachverständigen, der unserer Meinung nach keiner ist". Der forensische Toxikologe hatte insgesamt vier Gutachten erstellt und deren Ergebnisse bereits am 12. Januar vor Gericht erläutert. Im Blut der Hauptzeugin hatte er unter anderem sedierende Arzneistoffe festgestellt.
Heinz W., ehemaliger Leiter der Gefäßchirurgie am Klinikum
Bamberg, hat laut Anklageschrift zwölf junge Frauen mit einem Betäubungsmittel ruhiggestellt, um sie im Intimbereich zu berühren und Aufnahmen anzufertigen.
Die Hauptzeugin, eine 28-jährige Medizinstudentin, ist das einzige mutmaßliche Opfer, bei dem ein Beruhigungsmittel im Blut nachgewiesen werden konnte.
Doch das Gutachten des Erlanger Toxikologen, der gestern erneut vor Gericht geladen war, bezeichnete Verteidiger Bernsmann als "durchzogen von Nachlässigkeit und Widersprüchen". Deswegen stellte er direkt zu Beginn von Verhandlungstag Nummer 43 mehrere Anträge: Sämtliche Unterlagen, die in Zusammenhang mit dem Prozess stehen und sich noch in der Rechtsmedizin in Erlangen befinden, mögen beschlagnahmt werden. Zudem soll ein anderes Labor die Ergebnisse überprüfen und drittens sollen die Befunde durch einen labormedizinischen Sachverständigen ausgewertet werden.
Viertens: Die erneute Vernehmung des forensischen Toxikologen - die eigentlich für gestern geplant war - möge so lange zurückgestellt werden, bis die Ergebnisse vorlägen.
Machtkämpfe im Gerichtssaal
Als Klaus Bernsmann die mehrseitigen Anträge verlesen hatte, war es 9.40 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt wartete im Gang vor dem Sitzungssaal bereits der Erlanger Gutachter, dem der Chefarzt-Verteidiger "Nicht-Wissenschaftlichkeit" attestierte. Das Gericht sah das anders und wollte die Vernehmung zunächst fortsetzen, woraufhin sich der eingangs erwähnte juristische Schlagabtausch entfachte, bei dem Bernsmann zwischenzeitlich von "Machtkämpfen" sprach.
Am Ende des Tages verbrachte der kritisierte Gutachter etwa zehn Minuten im Gerichtssaal, um seinen Ordner zu übergeben. Außerdem wurde eine Frau aus dem Bekanntenkreis einer der Opferzeuginnen vernommen. Wer nicht aussagte: ein Gynäkologe aus Würzburg, der dem Verfahren vom ersten Prozesstag an als Sachverständiger beiwohnt. Er soll heute vernommen werden: Die Verhandlung beginnt um 12.30 Uhr.
Wenn der Vorsitzende Richter das Kasperl-Theater des Verteidigers mitmacht, dann ist doch nicht der Verteidiger am schleppenden Fortgang des Prozesses schuld, sondern der Richter, der dieses Spiel zulässt. Nur der Vorsitzende Richter und niemand sonst bestimmt, wie der Prozess abläuft. Und wenn die Verteidigung noch so viele Anträge stellt, die rechtlich korrekt und zulässig sind, muss das Gericht sie zulassen. So einfach ist das.
Die Prozesskosten muss der bezahlen, der verliert. Entweder der Angeklagte, wenn er verliert, oder der Staat, wenn der Staatsanwalt eine Klage erhoben hat, die vor dem Gericht keinen Bestand hat. Da gibt es kein Gewackel.
bezahlt höchstwahrscheinlich immer der Steuerzahler. Oder hat der Arzt im Rahmen seiner Tätigkeit so viel Geld verdient (erhalten) und auf der hohen Kante, um die Gerichtskosten - die nicht unerheblich sein dürften - zu bezahlen? Die Gewinner sind auf jeden Fall die Verteidiger. Jede Stunde bringt denen Bares. Weshalb sollten die dann ein Interesse an einem schnellen Abschluss haben?
... "kurzen Prozess" machen? Ok, kurz wird er dadurch auch nicht mehr, aber diese Verarsche von Opfern, Gutachtern und Öffentlichkeit müsste endlich mal beendet werden. Der Prozess dauert jetzt wirklich schon lange genug, und wer weiß, wie viel an Steuergeldern da schon reingeflossen ist und noch reingebuttert werden muss. Es kann doch nicht sein, dass nur die Verteidigung bestimmt, wie der Prozess abläuft. Ein Richter muss doch einfach mal einen Prozess zügig beenden können.
Wann endlich beendet der Richter dieses Kasperl-Theater. Ein derart wildgewordener Verteidiger müßte wegen Mißachtung des Gerichts und vorsätzlicher Strafvereitelung vom Prozess ausgeschlossen werden.