Kontrast der Kulturen und Künste

Denkt man an China nicht nur in der Nacht, ist mancher um den Schlaf gebracht: Zu gewaltig scheint der explosionsartige wirtschaftliche Aufstieg des 1,4-Milliarden-Volks, zu träge im Gegensatz die westlichen Gesellschaften. Doch wie sieht's aus mit den schönen Künsten? Bekannt ist das Faible der Chinesen für deutsche Komponisten und Klassiker, aber umgekehrt? Ja, das Reich der Mitte hat auch eine blühende Szene für bildende Kunst, weit über das Schaffen des hierzulande zu Zeiten omnipräsenten Ai Weiwei hinausreichend.
Dies dokumentieren Ausstellungen nun nicht in Berlin oder Düsseldorf, sondern ausgerechnet in sechs fränkischen Städten: Roth, Erlangen, Bamberg, Schweinfurt, Ansbach, Bayreuth. Diese unter dem Signum "2. Deutsch-Chinesischer Kunstaustausch" fungierenden Expositionen namens "Amplitude der Differenz" haben eine Vorgeschichte. Bereits 2015 gab es einen Austausch zwischen sieben fränkischen Kulturinstitutionen, darunter der Kunstverein Bamberg und der Berufsverband Bildender Künstler in Oberfranken (BBK), mit der Yunnan Arts University in Kunming. Das ist die Hauptstadt der südwestchinesischen Provinz Yunnan, deren vier Millionen Einwohner etwa der Zahl in Franken entsprechen. 10 000 Studenten lernen an der Universität, an der Ma Ning lehrt, der Initiator der chinesisch-fränkischen Kunstkontakte.
Bereits vergangenen Herbst war in zwei Museen in Yunnan die zweite Welle von Werken chinesischer und fränkischer Künstler im Rahmen dieses Austauschprojekts zu sehen. Ausgewählt jeweils aus Werkserien hat sie eine deutsche und eine chinesische Jury. Von Frühjahr bis Herbst dieses Jahres ist "Amplitude der Differenz" nun in sechs fränkischen Städten zu sehen, und zwar wegen ihres Umfangs jeweils als Doppelausstellung - im Sommer in der Villa Dessauer und in der Kunsthalle Schweinfurt, wie BBK-Vorsitzender Gerhard Schlötzer erläutert, der für Bamberg federführende Kurator. Hauptorganisator ist der Vorsitzende des Bayreuther Kunstvereins, Hans-Hubertus Esser, der zusammen mit dem Präsidenten der Yunnan Arts University, Guo Hao, einen schön gestalteten Katalog herausgegeben hat.
Gegenständlichkeit überwiegt
Es sind etwa 130 Arbeiten von jeweils 26 deutschen und chinesischen Künstlern ausgewählt worden, davon zwei Drittel in der Villa Dessauer, ein Drittel in der Kunsthalle. Es sei versucht worden, Koinzidenzen zwischen Farbe, Form oder Material herzustellen, auch in Korrespondenz mit dem Raum, versichert Schlötzer. Beim Rundgang durch die Villa Dessauer beeindruckt zunächst das handwerkliche Niveau der chinesischen Arbeiten. Und: Im Großen und Ganzen beharren die Künstler aus Fernost auf der Gegenständlichkeit. Abstraktion, Fluxus, Performance werden entweder weitgehend ignoriert oder sind noch zu entdecken.
Vielleicht spielt auch die Geografie Yunnans eine Rolle: Die Provinz ist bekannt für ihre landschaftliche Schönheit, ihr angenehmes Klima und auch viele hier lebende ethnische Minderheiten. Eine Delegation fränkischer Künstler hat im Herbst die Kunstuniversität in Yunnan besucht und festgestellt, dass hier viel Wert auf eine traditionelle, handwerklich fundierte Ausbildung gelegt wird, auf Tusch-, Aquarell- und Ölmalerei und eine Druckwerkstatt. Jedoch heißt es im Katalog-Essay Ma Nings einmal lapidar: "Im Zuge des wirtschaftlichen Booms wurde die alte Stadt Kunming durch eine neue ersetzt."
Elegantes Ausweichen
Bereits im Foyer der Villa fällt ein großformatiges Ölbild auf. "Vergangenheit 1" von Chen Liu ist ein Farbfest, das realistisch gemalte Menschenköpfe und Tiere durcheinanderwirbelt. Der Fokus auf der Gegenständlichkeit heißt nun nicht, dass die chinesischen Künstler bieder oder altbacken arbeiteten: Surrealistische Motive finden sich im Gebäude auf dem Stuhl, "Sammlung der Memoria 2" von Anke Deng ebenso wie in den - beschädigten - "Fisch-Landschaften 1 und 2" Duan Yuhais oder in den Männern mit Tigerköpfen Wang Yangs. Da stellt sich die Frage nach politischen Anspielungen in einem autoritären System oder nach Zensur. Höflich und elegant pflegen Chinesen derlei auszuweichen mit dem Verweis, man sei noch nicht so weit oder gewisse Diskussionen seien nicht zu führen, sagt Schlötzer.
Subkutane Anspielungen könnte man durchaus in den Menschen mit Gasmasken vermuten, die eine Treppe hinaufgehen ("Treppenstufe" von Ying Borui), oder dem auf dem Bauch liegenden halbnackten Mann in "Gefalteter Raum 6" von Luan Xiaojie. Auch "Traum - Tigerfüttern mit dem eigenen Leib" von Gao Xiang öffnet solche Deutungsräume.
Keine harmlosen Spielereien
Auch die fränkischen Künstler meiden vordergründige politische Kunst. Doch die Plastik "Nato-Draht-Maske" von Helga Schwalt-Scherer oder der Spielzeug-Hubschrauber über der Gliederpuppe ("Kaputt" von Barbara Gröne-Trux) sind keine harmlosen Spielereien. Es fallen die vielfältigen Formen und Techniken auf wie chinesische Schriftzeichen auf Geweben mit Lücken, "Why 1 - What human beings are ..." von Geli Haberbosch, andererseits das hyperrealistische, an Edward Hopper erinnernde "Alte Café" Nikolai Lagoidas. Auch Gerhard Schlötzer ist mit zwei Zeichnungen vertreten, eine davon eine Meditation über "Let it be". Und Videokunst präsentieren Werner Bernhard Nowka und Monika Schödel-Müller mit einer immerhin optimistischen Botschaft. Die auch als Thema der Ausstellung dienen könnte, einer Ausstellung, wie sie so opulent in Bamberg lange nicht zu sehen war.
Vernissage Die Schau "Amplitude und Differenz" wird am Freitag, 12. Juli, um 19 Uhr in der Villa Dessauer eröffnet, Hainstraße 4a. Es sprechen unter anderem Prof. Guo Hao, Dr. Ma Ning und Gerhard Schlötzer. Eingeladen sind alle. Öffnungszeiten Do-So, feiertags 12-18 Uhr, bis 9. August. Katalog 207 Seiten, ca. 36 Euro