In der Bamberger Villa Kunigunde wird Nachbarschaft gelebt

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Die kleine Johanna ist die jüngste Bewohnerin der Villa Kunigunde. Auf dem Bild sieht man sie mit ihrer Mama Susanne Geber und zwei Frauen, die seit der Eröffnung 2006 dort leben: Renate Rupprecht (Mitte) und Yvonne Schubert. Foto: Matthias Hoch
Die kleine Johanna ist die jüngste Bewohnerin der Villa Kunigunde. Auf dem Bild sieht man sie mit ihrer Mama Susanne Geber und zwei Frauen, die seit der Eröffnung 2006 dort leben: Renate Rupprecht (Mitte) und Yvonne Schubert.  Foto: Matthias Hoch
 

Im bislang einzigen Mehrgenerationenwohnhaus in Bamberg ist gute Nachbarschaft nicht dem Zufall überlassen.

Die meisten Menschen möchten im Alter nicht allein leben, sondern wünschen sich eine gute Nachbarschaft und Aufgaben, die sie jung halten. Für viele bleibt dieser Wunsch unerfüllt. Auch deshalb, weil die gängigen Wohnformen der Vereinzelung Vorschub leisten.

Am Mittleren Kaulberg in Bamberg hat sich vor zehn Jahren eine Gruppe Gleichgesinnter den Traum von einem nachbarschaftlichen Miteinander erfüllt, das nicht dem Zufall überlassen ist: Sie haben die "Villa Kunigunde" ins Leben gerufen, Bambergs noch immer einziges Mehrgenerationenwohnprojekt.

15 Menschen bilden zur Zeit die Hausgemeinschaft. Renate Rupprecht ist mit 71 Jahren die älteste Bewohnerin. Sie war der Motor des Pilotprojektes und ist bis heute die Sprecherin des Vereins WEGE. 2003 gegründet, versteht er sich als Anlaufstelle für alle, die Alternativen zu gängigen Wohnformen suchen.
Der Vereinsname ist Programm: W steht für Wohnen, E für Eigenständig, G für gemeinschaftlich, das weitere E für engagiert.


Immer noch große Hürden

Rupprecht weiß aus der Vereinsarbeit, wie mühsam es nach wie vor ist, Wohnprojekte der anderen Art in die Tat umzusetzen: "Die größte Hürde ist - damals wie heute - das passende Haus oder Grundstück zu finden." Deshalb hat es nach ihren Worten so lange gedauert, bis weitere Mehrgenerationenhäuser in Bamberg gebaut wurden. Zwei Vorhaben, die der Verein begleitet (hat), entstehen zur Zeit an der Färbergasse.

Zurück zur Villa Kunigunde und ihren Menschen. Das Nesthäkchen heißt Johanna. Sie kam im Juni zur Welt - wie es der Zufall wollte, genau an dem Tag, an dem mit vielen Gästen das zehnjährige Bestehen des Generationenprojekts gefeiert wurde.

Johannas Eltern Susanne und Georg Geber sind erst im Februar eingezogen. Schon nach der kurzen Zeit könnten sie sich nicht mehr vorstellen, irgendwo anders in einer anonymen Nachbarschaft zu leben, sagt die frisch gebackene Mama. Was sie auch zu schätzen weiß: "Als Erstlingsmutter gibt es mir auch eine gewisse Sicherheit."


Viele gute Gründe

Mit am Tisch beim FT-Besuch sitzt Yvonne Schubert. Die 50-jährige Steinrestauratorin gehört, wie Rupprecht, zu den Bewohnerinnen der ersten Stunde. Sie zog mit ihrer damals zwölfjährigen Tochter ein. Das Mädchen brachte die Vorteile der Hausgemeinschaft einmal so auf den Punkt: "Früher musste ich nach der Schule in den Hort. Jetzt darf ich heim, weil immer jemand da ist."

Wie muss man sich das Miteinander vorstellen? Die Antworten unserer drei Gesprächspartnerinnen machen deutlich, dass es täglich neu gelebt und gepflegt werden muss. Von selbst stelle es sich nicht ein, es setze die Bereitschaft zur Auseinandersetzung im positiven Sinn voraus - auch zur Auseinandersetzung mit sich selbst.
Sie habe ganz viel über sich selbst gelernt, seit sie in der Villa Kunigunde zu Hause ist, sagt Schubert. Jeder dort müsse sich und seine Rolle in der Gemeinschaft immer wieder selbst hinterfragen. Die 50-Jährige empfindet das nicht als lästige Notwendigkeit, sondern als einen "Schatz", weil man an dieser Aufgabe wachsen könne.

Susanne Geber (36) pflichtet ihr bei: "Man sieht sich oft gespiegelt" und lerne im Miteinander sich selbst als Persönlichkeit viel besser kennen.

Wie so ein Lernprozess aussehen kann, erzählt Renate Rupprecht freimütig. Sie wird, sagt sie, nie den Samstag vergessen, als sie im großen gemeinsamen Garten arbeitete und andere Mitbewohner auf ihren Balkonen saßen. Es habe sie maßlos geärgert, dass scheinbar niemand sah, wie sie sich allein plagte. Auf die Idee, um Hilfe zu bitten, kam sie nicht. "Du hast ja nichts gesagt", hörte sie, als sie das Thema später angesprochen hat.

Kommunikation, das macht das Interview deutlich, ist - wie in einer Familie auch - unverzichtbar, wenn ein Mehrgenerationen-Projekt funktionieren soll. Feste Spielregeln für das Miteinander gibt es dagegen keine. Sie hätten sich "gewisse Standards" (Schubert) erarbeitet, die aber nicht in Stein gemeißelt seien. Einig sind sich die drei Frauen darin, dass ihre Art zu wohnen nichts für Leute ist, die mit der Vorstellung kommen, sich "versorgen" zu lassen.

Es ist auch kein Ersatz für das Pflegeheim. Diese bittere Erkenntnis machte Rupprecht, die 2006 mit ihrer Mutter in die Villa Kunigunde gezogen war. Am Ende habe kein Weg daran vorbei geführt, die alte Dame in einer speziellen Einrichtung unterzubringen. Heute herrscht Konsens in der Villa Kunigunde, dass man sich bei Bedarf nachbarschaftlich versorgt, aber nicht gegenseitig pflegt.


Wenige Wechsel seit 2006

Die Fluktuation im Haus ist gering. In sieben von neun Wohnungen gab es noch gar keinen Wechsel. Die Entscheidung über neue Hausgenossen treffen alle gemeinsam: Es wird eine Versammlung einberufen, in der sich die Interessierten und Bewohner vorstellen und jeder Fragen stellen kann. Wenn die Bewerber gegangen sind, "dann gucken wir, wie's uns geht", so Rupprecht. In erster Linie müssten die Menschen zu ihnen passen, müsse die Chemie stimmen. Man achte zugleich darauf, dass "nicht alle gleich sind", in Typus, Alter und Tätigkeit.

Die erwachsenen Hausbewohner haben ganz unterschiedliche Berufe: Vertreten sind Bankkauffrau, Gärtnermeisterin, Kaufmann, Grafikerin, Webdesignerin, Steinrestauratorin, Krankenschwester, Pharmareferentin. Zeitweise lebt ein Student der Betriebswirtschaft im Gästezimmer. Gut passen würde in ihre Mischung nach Rupprechts Dafür halten ein Schreiner oder Installateur.


Keine Alternative für alle

Im Gespräch kommen Rupprecht und Schubert wiederholt auf die Schwierigkeiten zu sprechen, vor denen Leute stehen, die alternative Vorstellungen vom Wohnen und Altwerden realisieren wollen. Neben der Suche nach einer Immobilie sei die Finanzierung ein Problem. Schubert glaubt, dass sich das nicht ändert, "so lange es lukrativ ist, Seniorenresidenzen zu bauen". Rupprecht gibt zu bedenken, dass ein Zusammenleben, wie sie es führen, "nichts für jedermann und jedefrau" sei.