"Ich dachte, jetzt stirbst du" - Weißer Ring ermöglicht Katja S. ein neues Leben

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Katja S. im Gespräch mit Brigitte Merz (links), der sie sich anvertrauen konnte. Foto: Petra Mayer
Katja S. im Gespräch mit Brigitte Merz (links), der sie sich anvertrauen konnte. Foto: Petra Mayer

Erst schlug sie der Vater, später der Ehemann. Über den Weißen Ring fand eine zweifache Mutter endlich die nötige Unterstützung, um in Bamberg ein neues Leben zu beginnen. Zum Tag der Kriminalitätsopfer am 22. März erzählt Katja S. (Name geändert) ihre Geschichte, um anderen Mut zu machen.

"Ich weiß nicht, wann mein Vater anfing, mich zu schlagen - mit dem Ledergürtel, wieder und wieder. Alles begann aber, bevor ich in den Kindergarten kam", sagt Katja S. (Name von der Redaktion geändert). "Als ich älter war, packte er mich am Hals, würgte mich und hob mich hoch, bis meine Füße baumelten. Ich dachte: Jetzt stirbst du, jetzt ist's gleich aus, vorbei."

Katja S. blickt aus dem Fenster, erinnert sich zurück an die Jahre, in denen sie dem Alkoholiker ausgeliefert war, wie ihre Mutter und die fünf Geschwister. Dabei konnte der Vater so charmant sein, gegenüber Nachbarn, Verwandten und Bekannten, denen er eine ganz andere Seite zeigte.

"Das Gefühl, nichts wert zu sein"
"Schläge waren für uns Kinder ganz normal.
Ich war froh, dass mein Vater zu keinem Messer oder einer Schusswaffe griff." Bald hatte sich Katja daran gewöhnt, geprügelt zu werden. Ebenso "das Gefühl, nichts wert zu sein", das den Geschwistern auch die mitleidslose Mutter vermittelte. "Sie hatte vier Jobs, kam irgendwann heim und wollte kein Gejammer hören."

36 Jahre alt ist Katja S. heute. Sie ist Mutter zweier Kinder, sieht den Vater nicht mehr, dessen letzte Gewaltausbrüche ihr gegenüber lange zurückliegen. "Alles ist aber wieder ganz präsent, sobald ich beginne, über ihn zu reden: das Gefühl, nichts wert, ohnmächtig zu sein und seine Prügel zu verdienen", sagt die Wahlfränkin und kämpft mit den Tränen. "Dabei gab ich mir solche Mühe, alles richtig zu machen: Ich räumte auf, spülte ab. Warum schlug mich mein Vater dennoch, warum nicht meine Schwester?"

Romantisch und liebevoll
Was es Katja S. bedeutete, von zu Hause auszuziehen, kann sich jeder angesichts ihrer Geschichte vorstellen. Ein Grafikdesignstudium begann die junge Frau, um "später mal ein besseres Leben als meine Mutter mit ihren vier Jobs" zu führen. Noch vor dem Abschluss lernte die 27-Jährige ihren späteren Mann kennen, "der ein ganz anderer Typ als mein Vater war - so liebevoll und romantisch". Wie er sie nach der Heirat dominieren, seelisch und körperlich quälen sollte, ahnte Katja S. nicht, die zuvor keine längere Beziehung hatte.



Drei Jahre lang war die verliebte junge Frau mit Jan Towald (Name geändert) glücklich. "Bis wir zusammenzogen und er heimlich damit begann, meine Sachen wegzuwerfen: Briefe verschwanden, Töpferarbeiten und andere Erinnerungsstücke, die mir wichtig waren." Irgendwann verkaufte der werdende Vater noch Katjas Auto, das ebenfalls für die Unabhängigkeit stand, die sich die Grafikdesignerin erkämpft hatte. "Alles, worauf ich stolz war, nahm mir dieser Mann nach und nach." Bis hin zum Selbstwertgefühl, das Katja S. nach dem Auszug bei den Eltern entwickelt hatte. "Ohne ihn wäre ich aufgeschmissen, sagte Jan mir, ich könne sowieso nicht auf eigenen Beinen stehen."

Die totale Kontrolle
Depressiv wurde die junge Mutter, als sie das Haus kaum mehr verlassen und sich nur noch um die Kinder kümmern konnte. "Mein Mann kontrollierte mich völlig, ich musste ihn anbetteln, wenn ich Geld brauchte." Streitigkeiten eskalierten. Danach Entschuldigungen, Jans Versprechen, sich zu bessern, eine Therapie zu beginnen. Die Situation aber verschlimmerte sich nur weiter, nachdem der Musiker seine Frau noch mehr dominierte und isolierte. "Wir lebten irgendwann in einer Hütte im Wald - weit entfernt von allen anderen Menschen. Da schlug mich Jan dann auch zum ersten Mal."

Leere Versprechungen
Das nächste Gefängnis, der nächste Teufelskreis, aus dem es für Katja S. sieben Jahre lang kein Entrinnen gab. "Ich hätte ohne Hilfe wohl nie den Absprung geschafft", sagt die 36-Jährige, die den Vater ihrer Kinder eben auch liebte und seinen Versprechungen glauben wollte. Mehrfach hatte Katja S. Jan verlassen und suchte selbst bei ihrem Vater vorübergehend Unterschlupf. "Meine Mutter hatte mir nie geholfen. Wie konnte ich mich also an sie wenden?" Irgendwann aber stand Jan wieder vor der Tür und alles begann von neuem.

In Bamberg kam für Katja S. die Wende. Zu einer Freundin aus der Kindheit flüchtete sich die zweifache Mutter. "Sie gab mir die Nummer vom Weißen Ring, über den ich auch eine Wohnung für mich und meine Kinder fand." Brigitte Merz, die als ehrenamtliche Mitarbeiterin schon viele Hilfe suchende Menschen begleitete, wurde zu Katjas Ansprechpartnerin. Ihr konnte sich die Wahlbambergerin endlich anvertrauen. Ihr konnte sie sich öffnen - wie schon lange keinem Menschen mehr. Über ihre Geschichte zu sprechen, fällt der 36-Jährigen dennoch schwer - "dann kommt alles zurück, dann habe ich wieder diese Albträume".

210 Kilo gewogen
Jahrzehnte sind vergangen seit den Schlägen ihres Vaters, Monate seit den letzten Demütigungen ihres Mannes. "Mittlerweile kann ich wieder lachen", sagt Katja S., die auch abgenommen hat, bildhübsch und schlank erscheint wie in ihrer Studienzeit. Dabei wog die Grafikdesignerin vor ihrer Flucht vor Jan Towald 210 Kilo: "Ich aß normal. Aber mehr und mehr Wasser sammelte sich in meinem Körper an."

Ganz ist die Angst ist aus Katja S. Leben nicht verschwunden, die sich nun wegen der bevorstehenden Scheidung sorgt: "Jan drohte, mir die Kinder zu nehmen. Allerdings bin ich jetzt nicht mehr allein, habe jemanden, der mir hilft": Brigitte Merz, an die sich die zweifache Mutter bei allen Nöten und Problemen wenden kann.

Einen neuen Mann in ihr Leben zu lassen, kann sich Katja S. nicht vorstellen. "Was, wenn ich wieder auf jemanden wie Jan treffe?" Lieber wagt die 36-Jährige den Wiedereinstieg in ihren Beruf. "Ich suche dringend eine Stelle, würde anfangs auch als Praktikantin arbeiten - kein Problem."



Trailer zum Weißer Ring-Kurzfilm "Du musst kein Held sein, um ein Held zu sein".