In ihrem Lied "Leider geil" spießt "Deichkind" so pointiert wie keine andere Gruppe die Schizophrenie westlicher Gesellschaften auf. An diesem Montag spielt die Band in Bamberg.
Wenn Erwachsensein bedeutet, die Befriedigung seiner unmittelbaren Bedürfnisse auch einmal aufzuschieben, und wenn Erwachsensein bedeutet, aus Wissen Konsequenzen zu ziehen, dann leben wir in einer zu weiten Teilen kindischen Gesellschaft.
Für einen kurzfristigen Nutzen sind wir allemal bereit, längerfristige Schäden in Kauf zu nehmen. Wir wissen, dass Rauchen ungesund ist, und tun es trotzdem. Wir wissen, dass wir unser Auto öfters mal in der Garage stehen lassen sollten. Pfffft.
Jeder, der es nur wissen möchte, weiß auch, dass die Arbeiter in Drittweltländern unter erniedrigenden Bedingungen schuften. Dass das schön geschnittene T-Shirt in der hippen Mode-Kette nur 4,90 Euro kostet, finden die meisten trotzdem ziemlich toll.
Die Herrschaft der Gegenwart ist total und droht inzwischen auch unsere Zukunft aufzufressen. Weil zwischen dem Wissen und dem Handeln offenbar eine ganze Reihe von hemmenden Faktoren steht: Trägheit zum Beispiel, Anpassung, aber eben auch das gute alte Lustprinzip. Rauchen, trinken, lügen, billig konsumieren ist halt - leider geil.
Die Hamburger Pop-Band "Deichkind" hat aus dieser im Grunde schizophrenen Haltung ein Lied gemacht. "Leider geil" erzählt, wie es sich anfühlt und vor allem anhört, wenn das Wissen und die guten Vorsätze an unserem Anspruch auf ein bisschen Spaß zerschellen. "Ich kann es mir nicht leisten /alles auf Raten / die Karte glüht / leider geil."
Musik wie ein ADHS-Anfall
Deichkind ist wie wir. Die zumindest partielle Anzüglichkeit des eigenen Lebensstils ist intellektuell ja längst Common Sense und in besonders hellsichtigen Momenten auch Anlass für Scham und ein schlechtes Gewissen.
Aber wie soll das bitte gehen, die eigenen Lebens- und Konsumgewohnheiten zu ändern? Wo doch schon allein "Verzicht" so klingt wie aus dem Wörterbuch des Körner fressenden Exzessspießers. Lieber tragen die moralisch Zerknirschten ihre moralische Zerknirschung sündenstolz zu Markte. Die besonders brennenden Schuldgefühle löschen derweil ein paar Flaschen Bionade und eine Extraportion (Selbst-)Ironie. Mit der Hamburger Band Deichkind funktioniert dieser Ablasshandel auch ganz gut. Ihre Platten und Konzerte sind ein großer Kindergeburtstag. Konfetti, platter Humor, große Oper, Reizüberflutung. Musik wie ein großer ADHS-Anfall, die sich die Beats vom Techno holt und die Reime vom Hip Hop.
Und für das Selbstwertgefühl ihrer Fans gibt es obendrauf noch ein bisschen kritisches Bewusstsein, oder anders: ein paar kritisches Bewusstsein antäuschende Schlagwörter aus dem Soziologie-Seminar: Prekariat, Entfremdung, Ausbeutung, Multitude. So Sachen. Unterm Strich natürlich harmloser Quatsch. Gesellschaftskritik als reines Stilmittel.
Bei Deichkind regiert der Spaß und der organisierte Kontrollverlust. Hier ist man Kind, hier darf man es sein.
Das hat Deichkind zur wahrscheinlich erfolgreichsten, auf alle Fälle aber einflussreichsten deutschen Pop-Gruppe unserer Tage werden lassen. Deichkind, das ist - leider (ziemlich) geil.
Gewinnt zwei Deichkind-Karten für das Konzert in Bamberg!
Mach mit bei unserer Umfrage: Was findet ihr in eurem Leben "leider geil"? Schickt die Antwort und eure Telefonnummer an
leserreporter@infranken.de! Am Montag werden wir den glücklichen Gewinner benachrichtigen.
+++ UPDATE: Die Gewinner stehen mittlerweile fest, die Teilnahme am Gewinnspiel ist nicht mehr möglich. Danke an alle, die mitgemacht haben und viel Glück für unsere nächste Verlosung!
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